Prinzessin für einen Tag

Wohnt man in Kreuzberg, hat man es gut. Im Unterschied zu den etwa 700 000 Besuchern des Karnevals der Kulturen muss man keine beschwerlichen Wege durch Berlin auf sich nehmen, um dabei zu sein. Pünktlich am Sonntag um neun Uhr früh wird man von Trommeln geweckt, die für die passende Einstimmung auf das Ereignis sorgen. Es bleibt eine Stunde Zeit, dann verabschieden sich die Trommler, und aus den Lautsprechern schallt für den Rest des Tages der Beat für die Samba-, HipHop- und Techno-Folklore. Während das Mobiliar in der Wohnung schon enthusiastisch im Takt mitwackelt, genießt man seinen Kaffee am Fenster und verschafft sich erst einmal einen Überblick über die liebevoll gestalteten Umzugswagen und Kostümierungen. Dank der Vogelperspektive, die schon Le Corbusier zu schätzen wusste, kommen die Farbenpracht und die Choreographie der Formationen erst richtig zur Geltung. Die dominierende Farbe scheint Grün zu sein, dazu passend tragen als Frösche kostümierte Menschen Schilder, auf denen »Sustainibility« steht. Das Lieblingswort der ökologisch bewegten Lohas hat also auch beim 17. Karneval der Kulturen, den die Juryvorsitzende Shermin Langhoff als »größtes antirassistisches Spektakel« der Stadt bezeichnete, Einzug gehalten. Und die Stimmung bei diesem Spektakel ist großartig, man kriegt sogar Applaus, wenn man sich nicht ins Getümmel begibt, sondern einfach nur am Fenster steht. Passanten klatschen, während einem die Crew der Umzugswagen fröhlich zuwinkt. Man fühlt sich fast wie ein Mitglied der Monarchie auf der Balustrade. Nur dem huldvollen Zurückwinken fehlt noch ein wenig die Übung. Am nächsten Tag muss man leider zurück in sein Leben als stinknormaler Berliner. Beim Verlassen des Hauses denkt man angesichts der zerbrochenen Sekt- und Bierflaschen, die einem zu Füßen liegen, dass es vernünftig wäre, sein Fahrrad vorsichtshalber zu tragen. Aber so ist Berlin: Im Winter schlittern wir über Eis und im Sommer staksen wir über ein Meer aus Scherben.