Arbeitskampf bei der Firma Rittal

Ora et labora

Im hessischen Unternehmen Rittal wird seit Wochen um einen Firmentarifvertrag gekämpft. Sein Chef Friedhelm Loh präsentiert sich in der Öffentlichkeit als christlich und sozial und engagiert sich für evangelikale Organisationen. Arbeitnehmerrechte scheinen nicht in sein Weltbild zu passen.

Die Welt des Friedhelm Loh könnte aus den Fugen geraten. Der Unternehmer und Milliardär aus dem mittelhessischen Haiger sieht sich derzeit mit einem Arbeitskampf konfrontiert, der mög­licherweise die Kräfteverhältnisse in seinem Betrieb verändern wird. Denn sollte sich die IG Metall Herborn mit ihrer Forderung nach einem Haustarifvertrag durchsetzen, wäre die Firma Rittal tarifgebunden und damit erstmals in der 51jährigen Geschichte des Betriebs eine Gewerkschaft institutionell verankert. Mit dem Tarifvertrag möchte die IG Metall die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich durchsetzen. Einfach wird dies nicht, denn für den Firmenpatriarchen geht es hier nicht nur um einen Konflikt um Arbeitszeiten zwischen ihm und den Lohnabhängigen. Er spricht einiges dafür, dass er sich in einen Kulturkampf verstrickt sieht.
Friedhelm Loh wird auf der Liste der reichsten Deutschen des Wirtschaftsmagazins Forbes auf Platz 28 geführt. Mehr als zwei Milliarden Euro soll sein Vermögen im März 2012 betragen haben. Seit 1974 steht er der Firma Rittal vor, dem Weltmarktführer bei der Produktion von Schaltschränken. Der Betrieb mit seinen gut 10 000 Angestellten ist der lukrativste im Konzern Loh-Group, zu dem über 100 weitere Firmen im In- und Ausland gehören. Der Umsatz des Konglomerates betrug im Jahr 2010 1,8 Milliarden Euro. Bis 2015 soll er auf drei Milliarden Euro ansteigen.
Neben seiner Tätigkeit als Vorsitzender des nach ihm benannten Konzerns ist Loh auch Vorsitzender des Zentralverbands der Elektrotechnik- und Elektroindustrie sowie Vizevorsitzender des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Darüber hinaus engagiert sich Loh für verschiedene evangelikale Organisationen. Sein christliches Weltbild dürfte sich auf seinen Konflikt mit der Gewerkschaft auswirken.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Region Mittelhessen von der Erweckungsbewegung erfasst. Die damals begründete freikirchliche Tradition setzt sich bis heute fort. So gibt es nirgendwo in Deutschland eine solch hohe Konzentration von freikirchlichen evangelischen Gemeinden wie in der Gegend rund um die Kleinstädte Herborn, Dillenburg und Haiger, wo Loh aufwuchs. Es gibt zwischen diesen evangelikalen Gemeinden einige Unterschiede, gemeinsam ist ihnen jedoch, dass ihre Mitglieder ihren Glauben auf einen Bekehrungsakt gründen und die Bibel mal enger, mal weiter, aber stets wörtlich auslegen. Von den Gläubigen werden aktive Gemeindearbeit und Missionsfähigkeit erwartet. Die Freikirchen vertreten in der Regel erzkonservatives Gedankengut. Demnach ist Homosexualität eine Krankheit, die es zu heilen gilt, die Evolutionstheorie ist ein einflussreiches Hirngespinst, welches von ungläubigen Menschen verbreitet wird, und eine Abtreibung verstößt gegen den Willen des Schöpfers. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden abgelehnt, so sie der Bibel widersprechen. In vielen dieser Freikirchen wird ein antiaufklärerischer Lifestyle-Fundamentalismus kultiviert. Es handelt sich um eine Parallelgesellschaft mit anderen Regeln, die sich von ihrer Umwelt scharf abgrenzt.

Personen wie Friedhelm Loh nehmen dabei eine Mittlerrolle zwischen diesen »Sekten als Vereinen der religiös Qualifizierten« (Max Weber) und der Öffentlichkeit ein. Neben seinen weltlichen Aufgaben in den Unternehmerverbänden engagiert Loh sich auch für verschiedene evangelikale Organisationen und Veranstaltungen, wie Pro Christ oder das Christival. Loh ist Vorsitzender der Stiftung Christlicher Medien (SCM) und fördert dadurch zahlreiche evangelikale Zeitschriften für verschiedene Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel Family, Teensmag und 55plus. Auf der Homepage des SCM bezeichnet Loh die Stiftung als »missionarisches Unternehmen«.
Dass eine Gewerkschaft bei Rittal keine Rolle zu spielen hat, gehört bis heute zu den Grundsätzen der Firmenpolitik. »In den letzten 50 Jahren ist es Rittal immer im Gespräch mit den Betriebsräten gelungen, solche Themen betriebsintern und einvernehmlich zu lösen. Das soll so beibehalten werden«, ließ sich Wolfram Eberhardt, Sprecher von Rittal, im Mai auf Mittelhessen.de, dem Onlineportal der regionalen Zeitungsgruppe, bezüglich des Arbeitskampfs zitieren. Doch in den vergangenen Jahren wuchs der Unmut über die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bei Rittal.
Hans-Peter Wieth, der erste Bevollmächtigte der IG Metall Herborn, räumt im Gespräch mit der Jungle World ein, dass die Arbeitsbedingungen bei Rittal bis Mitte der neunziger Jahre durchaus überdurchschnittlich gewesen seien. Nachdem damals eine Krise die Metallindustrie erfasst habe, sei die Firmenpolitik allerdings grundlegend geändert worden. Heute würden sich die Arbeitsbedingungen im Betrieb unter dem Tarifniveau bewegen. Im Zuge der Wirtschaftskrise habe Rittal viele Arbeiter entlassen, um dann in den letzten Jahren verstärkt auf Leiharbeit zu setzen. Wegen dieser und anderer Verschlechterungen sei der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Betrieb in den letzten Jahren stark angestiegen.

Ein Problem für die Gewerkschaft ist allerdings, dass nicht alle Betriebsräte auf ihrer Seite stehen. Nachdem es im Mai zu mehreren Warnstreiks gekommen war, legte Loh den Betriebsräten der westdeutschen Rittal-Werke ein Angebot über eine Betriebsvereinbarung vor, welches eine Absenkung der Wochenarbeitszeit von derzeit 40 Stunden auf 37,5 Stunden vorsieht. Die Betriebsräte von vier Standorten unterschrieben, die der restlichen drei Standorte verweigerten die Unterschrift und pochen nach wie vor auf einen Tarifvertrag und die 35-Stunden-Woche. Sie verwiesen darauf, dass eine Betriebsvereinbarung kurzfristig von oben gekündigt werden kann, wie es in der Vergangenheit schon geschehen ist. Deshalb möchte man sich nun mit einem Tarifvertrag absichern. Zusätzlich wird die rechtliche Zulässigkeit der Betriebsvereinbarung angezweifelt, da laut Betriebsverfassungsgesetz in einer solchen Vereinbarung nur Arbeitsbedingungen festgehalten werden können, die nicht üblicherweise in einem Tarifvertrag geregelt werden.
Wieth bezeichnet diese Vorgehensweise seitens des Vorstandes als »letzten verzweifelten Versuch, ohne Tarif davonzukommen«. Nachdem am Dienstag voriger Woche schon der vierte Warnstreik erfolgreich verlaufen ist, möchte man, sollte sich Loh nicht doch noch auf Verhandlungen mit der IG Metall einlassen, nun eine Abstimmung über einen unbefristeten Streik einleiten.

Sollte es tatsächlich zu einem Streik kommen, wird sich zeigen, wie sehr es Loh ums Prinzip geht. »Je größer der Besitz wird«, schrieb der Soziologe Max Weber in »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus«, »desto schwerer wird das Gefühl der Verantwortung dafür, ihn zu Gottes Ruhm ungeschmälert zu erhalten und durch rastlose Arbeit zu vermehren.« Es ist erstaunlich, wie sehr die heutigen Verhältnisse in einigen Milieus der Situation ähneln, die Weber vorfand, als er vor über 100 Jahren diese Zeilen schrieb. Auch dass Loh eine Vorliebe für teure Oldtimer hat, mit denen er an seinen freien Tagen im nahen Westerwald spazieren fährt, passt in dieses Bild.