Asylsuchende bekommen vielleicht mehr Geld

Auf Taschengeldniveau

Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob der Staat Asylsuchenden mehr Geld zahlen muss.

Es gehört zu den schrecklichsten Wortschöpfungen deutscher Behörden: Das Wort »Asylbewerberleistungsgesetz« ist nicht nur durch seine schiere Länge ein Monstrum, sondern vor allem durch seinen Euphemismus. Das 1993 eingeführte Gesetz brachte Flüchtlingen keine besonderen Leistungen, sondern reduzierte sie. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun am Weltflüchtlingstag, dem 20. Juni, mit den mündlichen Verhandlungen über das Gesetz begonnen. Es hat zu prüfen, ob die Sozialleistungen nach dem Asyl­bewerberleistungsgesetz mit den Grundrechten vereinbar sind.
Ein 35jähriger Iraker und ein zwölfjähriges Mädchen, das inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, hatten vor dem Sozialgericht Aachen geklagt, weil das Geld nicht für ein menschenwürdiges Existenzminimum ausreiche. Insgesamt 225 Euro monatlich erhält der Mann, das Mädchen 179 Euro. Teilweise wurde das Geld nicht bar ausgezahlt, sondern als Gutschein oder Sachleistung, so wie es das Gesetz vorsieht. Nur einen wie bei Kindern als »Taschengeld« bezeichneten Betrag durften sie behalten. Insgesamt liegen die Beträge für Asylsuchende oder Menschen mit einem Duldungsstatus viel niedriger als reguläre Sozialleistungen. Ein sechsjähriges Kind erhält im Hartz-IV-Bezug 251 Euro monatlich, ein gleichaltriges Flüchtlingskind muss mit 132 Euro auskommen.
»Das Asylbewerberleistungsgesetz muss endlich abgeschafft werden. Das Zwei-Klassen-System in der Grundsicherung ist menschenunwürdig«, sagte Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes, einen Tag vor der Verhandlung in Karlsruhe. Auch Flüchtlingsinitiativen fordern seit Jahren ein Ende der Sonderregelungen für Menschen auf der Flucht, zu diesen zählen Essenspakete, das Leben in abgelegenen Heimen oder die Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die Residenzpflicht.

Die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes oder des Sachleistungsprinzips steht in Karlsruhe allerdings nicht auf der Tagesordnung. Sollten die Verfassungsrichter des Ersten Senats die geringen Sätze monieren, müsste der Gesetzgeber lediglich die Höhe der Leistungen für Asylbewerber neu regeln. Eine Entscheidung gibt es vermutlich erst nach der Sommerpause. Derzeit seien rund 130 000 Menschen betroffen, von denen zwei Drittel seit mehr als sechs Jahren in Deutschland lebten, hieß es in Karlsruhe. Dass trotz einer Preissteigerung um mehr als 30 Prozent seit 1993 keine Anpassung der Leistungen erfolgte, stieß bei den Verfassungsrichtern auf Unverständnis. Der Vizepräsident des Gerichts, Ferdinand Kirchhof, sagte zum Prozessvertreter der Bundesregierung, dem Ausländerrechtler Kay Hailbronner: »Nach dem Motto, ›Ein bisschen Hunger, dann gehen die schon‹ – das wird es ja wohl nicht sein.« Hailbronner hatte bereits 1993 für die Bundesregierung die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl vor dem BVerfG verteidigt und sieht angesichts des »migrationspolitischen Kontextes« kein Problem darin, die Menschenwürde und das Existenzminimum in Deutschland mit zweierlei Maß zu messen.
Dennoch verwies nun die Bundesregierung darauf, dass sie die Sätze bereits zwei Mal anheben wollte, aber am Widerstand der Länder gescheitert sei. Die Vertreterin von Rheinland-Pfalz, Margit Gottstein (Grüne), war allerdings der Ansicht, dass es das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales selbst gewesen sei, das die Neuregelung der Sozialleistungen für Asylsuchende hinausgezögert habe. Nun liegt die Entscheidung beim BVerfG.
Die geladenen Menschenrechtsorganisationen, darunter Pro Asyl, machten deutlich, dass sie die reduzierten Leistungen weder mit der Verfassung noch mit dem Völkerrecht für vereinbar halten. Vertreter der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände und Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat waren ebenfalls geladen. »Wenn hier lebenden Flüchtlingen nur 60 Prozent des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums gewährt wird, ihnen das Arbeiten verboten wird, sie mit Sachleistungen und Minimalmedizin mangelhaft versorgt und in Sammellager eingewiesen werden, dann verletzt das die Menschenwürde«, sagte Classen.
Fast zeitgleich zur Verhandlung in Karlsruhe wurde übrigens bekannt, dass vier Landkreise in Thüringen mit dem Geld, das für Flüchtlinge vorgesehen war, ihre Haushaltslöcher gestopft haben. Nach Informationen des MDR haben sie in den vergangenen Jahren mehr als eine Million Euro abgezweigt. Die Thüringer Landesregierung zahlt für die Unterbringung und Versorgung von Menschen auf der Flucht Pauschalen an die Landkreise und kreisfreien Städte. Überschüsse müssen nicht zurückgezahlt werden. Was liegt da für Sachbearbeiter in den Verwaltungen näher, als bei den Ausgaben für Kinder aus Afghanistan und Roma aus Serbien zu kürzen?