Die Präsidentschaftswahl in Ägypten

Der Bruder ist unter Kontrolle

Die Muslimbrüder stellen den ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens. Frei regieren wird Mohammed Morsi allerdings nicht können.

Mohammed Morsi, der bisherige Vorsitzende der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, hat Ahmed Shafik, den Kandidaten des alten Regimes, mit einem Vorsprung von knapp einer Million Stimmen geschlagen. Doch dass dieses eindeutige Ergebnis am Sonntag endlich verkündet wurde, ist wohl Teil einer Vereinbarung. Nachdem der Militärrat schon das Parlament aufgelöst hatte, sah es zunächst so aus, als wolle er auch seinen favorisierten Kandidaten durchsetzen. Tausende versammelten sich auf dem Tahrir-Platz, um gegen diesen Militärputsch zu protestieren. Schließlich wurde bekannt, dass der Militärrat mit den Muslimbrüdern verhandelt. Seine Bedingungen: Das Parlament müsse neu gewählt und die gerade erlassene Ergänzung der Verfassung akzeptiert werden. Diese Ergänzung ist ein Militärputsch in sich. Darin sichern sich die Generäle die Entscheidung über Krieg und Frieden und sie ernennen den Verteidigungsminister. Sie können den Haushalt ebenso ablehnen wie die Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung. Solange kein neues Parlament gewählt worden ist, obliegt die Gesetzgebung ihnen.
Kurz nach Verkündung von Morsis Sieg rief der Muslimbruder Mohammed al-Beltagi die feiernden Massen auf dem Tahrir-Platz auf, die Revolution zu vollenden und gegen diese Verfassungsergänzung zu kämpfen. Doch die Muslimbrüder sind bekannt für ihre Deals mit den Mächtigen.
Drei Bereiche will das Militär weiterhin bestimmen: die Außenpolitik, den Sicherheitsapparat und die Wirtschaftsstruktur des Landes. Damit etabliert sich ein »tiefer Staat«, wie es ihn bis vor kurzem ähnlich in der Türkei gab. Kurzfristig allerdings verhindert die Einmischung des Militärs Schlimmeres. Morsi kann nicht, wie er ankündigte, den Friedensvertrag mit Israel »überprüfen« oder sich mit dem Iran verbünden. Auch ist die Dominanz der Islamisten im Parlament mit fast 70 Prozent der Abgeordneten gebrochen. Die Präsidentschaftswahlen haben gezeigt, dass die Mehrheitsverhältnisse nach Neuwahlen wohl deutlich anders wären. So erhielten die beiden islamistischen Kandidaten in der ersten Runde zusammen nur 40 Prozent der Stimmen. Überraschend kam der Nasserist Hamdeen Sabahi mit 21 Prozent der Stimmen auf Platz drei.
Der Militärrat fordert, dass die verfassungsgebende Versammlung eine Vertretung aller gesellschaftlichen Gruppen sein soll. Kopten und Säkulare hatten gegen die bisherige Zusammensetzung protestiert: Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament seien kein Abbild der Gesellschaft.
Der neue Präsident scheint das verstanden zu haben. Es heißt, er verhandele mit Mohammed el-Baradei und den unterlegenen Kandidaten Sabahi und Abdel Moneim Aboul Fotouh über eine Regierung der »nationalen Einheit«.
Dass Baradei, der frühere Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, sich darauf einlassen wird, ist allerdings unwahrscheinlich. Bisher hat der Gründer der »Bewegung für den Wandel« auf reine Oppositionsarbeit gesetzt. Auch Sabahi hat andere Pläne. Er möchte mit Baradei und anderen Säkularen eine neue Bewegung gründen, die vereint bei den kommenden Wahlen den Islamisten die Mehrheit streitig machen kann. Zumindest bis zu den nächsten Wahlen dürfte das Regieren schwierig werden.