Der Krieg in Syrien geht trotz Verhandlungstheater weiter

Beirut lässt grüßen

Die neueste Verhandlungsrunde zum Konflikt in Syrien hat wieder einmal nichts gebracht. Inzwischen spricht auch das syrische Regime von einem Krieg.

Für einen Moment klang es wie früher. In einem Interview mit dem iranischen Fernsehen erklärte Bashar al-Assad jüngst den Imperialismus: »Vom Standpunkt der Kolonialisten aus gesehen, dürfen sich die Länder der Region nicht gemäß ihren nationalen Interessen verhalten. Und sobald sich ein Land gegen die westlichen Werte und Interessen wendet, sagen sie: nein. So wie im Fall des Iran und seines Nuklearprogramms.« Und wie gegen den Iran und seine atomaren Bestrebungen, so wenden sich die bösen Kolonialmächte eben auch gegen Syrien, vor allem, weil Assads Syrien den »Widerstand« unterstützt – in Palästina nämlich. Mit dem Widerstand im eigenen Land sieht die Sache etwas anders aus: Im selben Interview sprach Assad von der Verantwortung einer Regierung, ihre Bevölkerung zu schützen und Terroristen überall, in jedem Landeswinkel, zu vernichten. Vernichten kann das Regime in Damaskus gut, das hat es in den letzten 15 Monaten pausenlos bewiesen.

Aber nicht nur im iranischen Fernsehen oder im Damaszener Präsidentenpalast wird schlechtes Polittheater aufgeführt. Kofi Annans jüngste Syrien-Initiative, bei der Anspruch und Wirklichkeit, Schlagzeilenproduktion und kleingedruckten Anmerkungen meilenweit auseinanderklafften, ist ganz große schlechte diplomatische Kunst. Da traf sich die »Task Force« der um Syrien Besorgten in Genf, nur die Iraner durften nicht kommen, weil die USA es nicht wollten, aber dafür wurden im Sinne der Russen auch die Saudis nicht eingeladen, womit also die zwei regionalen Mächte fehlten, die die Bürgerkriegsfraktionen in Syrien am stärksten unterstützten. Allerdings wären es wohl kaum erfolgversprechendere Verhandlungen geworden, wenn Iraner und Saudis hätten kommen dürfen. Vertreter der syrischen Opposition und des syrischen Regimes waren übrigens auch nicht anwesend. Im Grunde wirkte die ganze Veranstaltung ein bisschen so, als ob sich die Teilnehmer darauf geeinigt hätten, tatsächlich die guten alten Zeiten des echten Imperialismus nachzuspielen und das Problem in Syrien per Kommuniqué einer Lösung zuzuführen. Das Ergebnis der Genfer Verhandlungen war erneut die Simulation von politischem Handeln durch symbolische Akte. Wie schon bei den Versuchen, eine arabische Beobachtertruppe oder UN-Beobachter zu entsenden, die längst nur noch in ihren Hotelzimmern sitzen, weil draußen dauernd auf sie geschossen wird.
Dieser symbolische Handlungsersatz hat im Falle von Syrien allerdings nur eine Halbwertszeit von ein oder zwei Tagen. So lange dauerte es, bis einigermaßen klar geworden war, dass die große Nachrichtenmeldung aus Genf, man habe sich nun »international« auf eine Übergangsregierung für Syrien geeinigt, ein paar seltsame Interpretationsvarianten aufwies. Diese Übergangsregierung, so hatte man schlau formuliert, solle aus Mitgliedern der jetzigen Regierung, der Opposition »und anderen Gruppen« bestehen, dies »basierend auf gegenseitiger Zustimmung«. Der russische Außenminister Sergej Lawrow war »erleichtert«, da dies keine fremde Lösung sei, die man Syrien aufzwinge. Für ihn war klar, dass die angebliche Übereinkunft über eine syrische Übergangsregierung Präsident Assad nicht automatisch ausschließe, während die US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton der Meinung war, genau das tue sie doch. Das bedeutet: Man hatte sich in Genf auf gar nichts geeinigt. Selbst in der Zeitung der syrischen Ba’ath-Partei wurde gespottet, das Genfer Treffen habe einer vergrößerten Tagung des UN-Sicherheitsrates geähnelt, bei gleichbleibenden Positionen der Teilnehmer.

Die syrische Opposition inner- wie außerhalb des Landes lehnte das Ergebnis einhellig ab. In einer Stellungnahme der lokalen Koordinationskomitees war von der »vagen Sprache« der Vereinbarung der Rede, die nicht nur für Interpretationen offen sei, sondern auch dem Regime erneut die Gelegenheit zu weiteren Gewalttaten böte. Diese folgten auch umgehend, nur dass vor lauter Genfer Jubelnachrichten gerade niemand Zeit hatte, genauer hinzusehen. Inmitten eines Trauerzugs für einen getöteten Demonstranten gab es am Sonntag im Damaszener Vorort Zamalka eine Explosion, deren unmittelbare Folgen auf Handyvideos dokumentiert sind. Diese Aufnahmen gehören bisher zu den grauenhaftesten Bildern des syrischen Bürgerkriegs. Es ist nicht klar, ob es eine Mörsergranate, eine Autobombe oder eine Helikopterrakete war, die nach dem bisherigen Zwischenstand 85 Menschen tötete und Hunderte verletzte, wobei die Verletzten nicht einmal in ein staatliches Krankenhaus gehen können, ohne sich in Lebensgefahr zu begeben. Die Politik der Massaker hat angefangen, und es ist zu befürchten, dass sie so schnell nicht aufhören wird. Seit dem Massaker von Houla ist klar, dass es keine Grenzen mehr gibt. Wobei es der FAZ – und ein bisschen schlingernd im Nachhinein der Welt – überlassen blieb, Assads Darstellung dieses Massakers an die internationale Öffentlichkeit zu bringen: Die Aufständischen selbst sollen es angerichtet haben. Nun hat der vorläufige Untersuchungsbericht der UN festgestellt, dass es »mutmaßlich loyal zur Regierung stehende bewaffnete Kräfte« waren, die für »viele der Toten« in Houla verantwortlich seien. In der Sprache der UN ist das einigermaßen deutlich. Die deutschen Blätter haben es leider unterlassen, ihre Leserinnen und Leser darauf hinzuweisen, dass ihre Hauptzeugen für das angebliche Massaker der Rebellen von einer Nonne präsentiert wurden, die sich bisher mit lobenden Äußerungen über Präsident Assads Reformeifer und ihre publizistische Nähe zu 9/11-Verschwörungstheoretikern hervorgetan hat.

Assad hat jedenfalls längst deutlich gesagt, um was es nun geht. In einer Rede vor seinem »Parlament« hat er darauf hingewiesen, dass man sich im Kriegszustand befinde, und alle Handlungen und alle Bereiche des Staates nun darauf ausgerichtet werden müssten, diesen Krieg zu gewinnen. Die akademischen Diskussionen, ob es sich bei der Situation in Syrien nun endlich um einen Bürgerkrieg handele oder immer noch nicht ganz, braucht man sich wenigstens nicht mehr anzuhören. Egal, was die Regierungen Russlands und der USA äußern, sowohl das Regime als auch die Aufständischen haben sich für den bewaffneten Kampf entschieden. Das ist letztlich bereits klar, seit das Regime im vergangenen Jahr monatelang auf friedliche Demonstrierende schießen ließ. Die bewaffnete Opposition kam – man muss immer wieder daran erinnern – erst danach ins Spiel.
Nun wird es langsam enger für Assad, nachdem die Aufständischen über die türkische Grenze mittlerweile reichlich Nachschub an leichten Waffen erhalten, die Zahl der Überläufer zunimmt und der Gefechtslärm sogar in Damaskus hörbar geworden ist. Allerdings ist das Regime bei Weitem noch nicht so geschwächt, dass ein Ende auch nur absehbar wäre. Im Gegenteil, es spricht momentan alles dafür, dass die Kräfte, Assads, ausreichen werden, auch den Rest des Landes aussehen zu lassen wie Stadtviertel von Homs oder Hama. Diese erinnern längst an die Aufnahmen aus den Hochzeiten des libanesischen Bürgerkriegs rund um das zerschossene Niemandsland der »grünen Grenze« in Beirut.