Nazis und die deutsche Nationalmannschaft

Der Stürmer muss weiß bleiben

Wie hältst du es mit der deutschen Nationalmannschaft? Für Nazis ist das angesichts von Spielern wie Mesut Özil, Sami Khedira oder Jérôme Boateng eine heikle Frage.

Sie ist ihnen nicht deutsch genug. Deshalb haben viele Nazis ihre Schwierigkeiten mit der deutschen Nationalmannschaft. Bereits zur WM 2006 brachte die NPD einen »WM-Planer« heraus, auf dem es hieß: »Weiß – nicht nur eine Trikot-Farbe? Für eine echte Nationalmannschaft«. Diese rassistische Kampagne richtete sich insbesondere gegen Patrick Owomoyela, der damals für Werder Bremen und die DFB-Auswahl spielte. Zum selben Anlass produzierte eine Gruppe namens »Schutzbund Deutschland« Plakate mit einem Bild des damaligen Schalke- und Nationalspielers Gerald Asamoah, auf denen der Slogan stand: »Nein, Gerald, du bist nicht Deutschland. Du bist BRD!«

Das zweite Beispiel zeigt auch, was Nazis ganz prinzipiell an der deutschen Nationalmannschaft auszusetzen haben. Aus ihrer Sicht ist die Bundesrepublik nur ein von den Alliierten nach dem Sieg über die Nazis installiertes Besatzungsregime. Die Auswahl des DFB gilt bestenfalls als ein sportlicher Vertreter der Bundesrepublik, nicht aber des Landes, das Nazis sich als »wahres Deutschland« erträumen. Dennoch sehen viele Nazis den vom Fußball befeuerten schwarz-rot-geilen Hurrapatriotismus auch als Gelegenheit zur politischen Agitation. Ihnen ist offenbar sehr wohl bewusst, dass der Weg vom bierseligen Patriotismus hin zum waschechten Nationalismus oft ein recht kurzer ist, was sich nicht zuletzt auch in den sich häufenden Berichten über rassistische und antisemitische Gesänge deutscher Fans während der EM zeigt.
Folglich äußern Nazis sehr unterschiedliche Ansichten zur Fußballfrage. Während die Gruppe »Jugend für Pinneberg« in der Europameisterschaft ein großes Manöver sieht, das die deutsche Bevölkerung vom »System der Plutokratie« ablenken soll, und zugleich die Feierlaune auf den Fanmeilen als »jene Geisteshaltung« anprangert, »welche Deutschland und Europa verdorben hat«, betätigten sich mancherorts freie Kameradschaften propagandistisch bei Public-Viewing-Veranstaltungen. In Celle verteilten Nazis Flugblätter. In Neubrandenburg befestigten Kameradschafter nahe einer Großbildleinwand ein Transparent an einer Brücke. Die Gruppe »Besseres Hannover« befand jedoch in einem im Internet verbreiteten Artikel, es sei wegen der »multikulturellen Kontaminierung« leider völlig unmöglich, sich mit der »DFB-Bevölkerungsauswahl« zu identifizieren. Dabei beklagte die Vereinigung, dass der Welt- und Europameister Spanien doch auch ohne »Türken, Neger und Polen« auskomme.
Diese Aussagen erinnern stark an den Tonfall der Kampagne der NPD aus dem Jahr 2006. Derzeit hält sich die Partei jedoch auffällig zurück. Die schmutzige Arbeit übernehmen andere. Während des letzten Vorrundenspiels der DFB-Auswahl gegen die Mannschaft aus Dänemark hetzten Unbekannte über einen Twitterkanal mit dem Namen »@PiratenOnline« gegen den Nationalspieler Mesut Özil. »Özil ist garantiert kein Deutscher! Ein Stück Papier ändert nicht die Abstammung«, stand unter anderem in einem Tweet. Özils Vater hat inzwischen Strafanzeige gestellt, der Twitterkanal wurde von den Betreibern des Kurznachrichtendienstes gelöscht. Obwohl nicht klar ist, ob die beleidigenden Tweets tatsächlich von Mitgliedern der Piratenpartei kommen, distanzierte sich deren Bundesvorstandsmitglied Julia Schramm vorsorglich im Namen der Partei und bezeichnete die Aussage treffend als »rassistische Kackscheiße«.
Es muss sich bei den Urhebern des rassistischen Tweets jedoch nicht zwangsläufig um Nazis handeln. Auch andere haben ein Problem mit Mesut Özil, wie etwa Michael Stürzenberger, der bayerische Landesvorsitzende der rechtspopulistischen Partei »Die Freiheit«. Er schrieb auf dem rechten Newsblog Politically Incorrect: »Wenn einer lieber Koranverse herunterbetet, statt die Hymne mitzusingen, stimmt etwas nicht mit der inneren Einstellung. (…) Auf jeden Fall ist Mesut Özil ein Paradebeispiel für den in Europa massenhaft vorhandenen Moslem, der sich nie völlig integrieren wird.«

Angesichts der unterschiedlichen Äußerungen fällt auf: Nationalismus ist nicht gleich Nationalismus. Die Nazis treten nach wie vor für den klassischen Blut-und-Boden-Nationalismus ein, dem der Gedanke der Volksgemeinschaft zugrunde liegt, und stehen der Bundesrepublik feindlich gegenüber. Stürzenberger und Personen ähnlicher Gesinnung vertreten dagegen einen Nationalismus, der die Bundesrepublik anerkennt, sie aber im Sinne einer konstruierten »christlich-abendländischen Wertegemeinschaft« rein von vermeintlich fremden Einflüssen halten will, wobei der Islam als Feindbild an erster Stelle steht.
Beiden Richtungen ist eines gemein: Den schwarz-rot-geilen Patriotismus lehnen sie entweder völlig ab, oder sie sehen ihn kritisch distanziert und lassen sich höchstens aus taktischen und propagandistischen Erwägungen auf ihn ein. Dieser Fußballpatriotismus umfasst das Bekenntnis zu einer Nationalmannschaft, in der auch Männer mit Namen wie Özil, Boateng, Khedira und Gomez mitspielen. Darin unterscheidet er sich oberflächlich nicht sonderlich vom Patriotismus in anderen europäischen Ländern. Oft jedoch überdeckt dieser Patriotismus nur spärlich die ihm zugrundeliegenden chauvinistischen, fremdenfeindlichen und rassistischen Regungen. Das musste auch eine junge Frau in Berlin am Tag des Spiels von Deutschland gegen Griechenland erleben. Meldungen der Lokalpresse zufolge versuchten deutsche Fans schon in der S-Bahn, die griechische Fahne anzuzünden, welche die Frau neben der deutschen bei sich hatte. Auf der Fanmeile wurde sie dann wegen ihres Jubels für Griechenland niedergeschlagen und musste mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Es sind wohl auch Vorfälle wie dieser, die manche Nazis im deutschen Fußballpatriotismus Potential für ihre Propaganda sehen lassen. In einem Land, in dem Umfragen wie denen des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer zufolge etwa die Hälfte der Bevölkerung glaubt, es gebe »zu viele Ausländer«, können solche Angriffe aber nicht wirklich verwundern. Erstaunlich ist es eher, dass es so vielen gelingt, ihren Rassismus wenigstens bei der DFB-Auswahl hintanzustellen.