Findet die neue Regierung in Frankreich nicht wirklich links

Die Rechung ohne den Hof gemacht

Auch die neue sozialdemokratische Regierung Frankreichs ist der Sparpolitik verpflichtet. Die Zahl der im öffentlichen Dienst Beschäftigten soll gesenkt werden.

»Europameisterschaft: Eins zu null für Hollande gegen Merkel«, titelte die sozialdemokratische Pariser Tageszeitung Libération nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident waren unter dieser Überschrift im Trikot der jeweiligen Fußball-Nationalmannschaft abgebildet. In kleineren Buchstaben wurde dazu erklärt: »Unter dem Druck des französischen Präsidenten, Mario Montis und Mariano Rajoys hat die Kanzlerin neben einem europäischen Konjunkturpaket auch einen bislang abgelehnten Stützmechanismus für die Banken akzeptiert.«
Doch während der Sieg Italiens über Deutschland im Halbfinale unstrittig ist, gibt es Zweifel daran, dass Angela Merkel in Brüssel eine Niederlage erlitten hat. Das Börsenmagazin Le Boursier dürfte es realistischer sehen: »Die großen Gewinner des Gipfeltreffens in Brüssel am Freitag scheinen Italien, Spanien und Frankreich zu sein. (…) Aber wenn die Euro-Zone in einigen Jahren noch existiert, dürfte man sich an diesen Gipfel ebenso sehr wegen dem erinnern, was die Deutschen damals erreicht, wie wegen der Punkte, bei denen sie nachgegeben haben.«

Durchsetzen konnte die ökonomische Supermacht Deutschland nämlich vor allem, dass alle Mitgliedsländer den strikten Sparkurs weiterhin einhalten müssen. Lediglich eine Ergänzung der sogenannten »Goldenen Regel«, des Verbots der Neuverschuldung in naher Zukunft, durch eine »Wachstumsinitiative« wurde auf der anderen Seite erreicht. Ein »Wachstumspaket« über 120 Milliarden Euro, was rund einem Prozent des Bruttosozialprodukts der Euro-Zone entspricht, wurde bereits auf dem Vierergipfel in Rom vereinbart und in Brüssel offiziell angenommen. Es wird jedoch zur Hälfte lediglich aus umgeschichteten Mitteln aus bereits bestehenden EU-Budgets, etwa für die strukturschwachen Regionen, bestehen. Hinzu kommen project bonds, durch die EU garantierte und projektbezogene Anleihen bei der privaten Wirtschaft.
Der wichtigste Beschluss ist jedoch, dass die »Goldene Regel« in den kommenden Jahren angewendet wird. In Frankreich etwa, einem Land, das eine vorgeblich linke Politik verfolgt und sich derzeit nicht in einer akuten Finanzkrise befindet, wird dies in naher Zukunft sehr konkrete Folgen haben. Denn bis 2017 soll die Neuverschuldung auf null reduziert werden. Da dieses Ziel aber mitnichten mit Plänen für eine Umverteilung zu Lasten des Kapitals einhergeht, wird das Geld anderswo geholt werden müssen. Etwa durch Einsparungen bei sozialen Ausgaben oder bei den öffentlich Bediensteten.

Im Wahlkampf hatte François Hollande versprochen, 60 000 Stellen im öffentlichen Schulwesen zu schaffen. Vor allem dank dieser Ankündigung vom September 2011 war es ihm gelungen, sich unter den insgesamt sechs Anwärterinnen und Anwärtern auf die sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatur durchzusetzen. Dieses Versprechen will Hollande zwar notgedrungen halten. Doch damit würde der bereits erfolgte Stellenabbau nicht einmal vollständig rückgängig gemacht werden, denn die rechten Vorgängerregierungen haben allein in den fünf Amtsjahren Nicolas Sarkozys mehr als 80 000 Lehrerposten gestrichen, nachdem von 2002 bis 2007 bereits Zehntausende Stellen gekürzt worden waren.
Insgesamt soll die Zahl der öffentlich Bediensteten nicht steigen. Neben dem Schulwesen werden auch Polizei, Gendarmerie und Justiz zu »geschützten« Bereichen erhoben, die in den kommenden Jahren nicht vom Stellenabbau betroffen sein sollen. Dies bedeutet jedoch, dass in allen anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes ein umso umfangreicherer Stellenabbau stattfinden wird. Während unter Sarkozy »nur« die Hälfte der altersbedingt aus dem Dienst Scheidenden nicht durch neu Eingestellte ersetzt wurde, sollen es in einigen Bereichen nun sogar zwei Drittel sein. Insgesamt sollen in allen Bereichen  – mit Ausnahme der drei »geschützten« – in den nächsten drei Jahren 2,5 Prozent der Stellen abgebaut werden.
Weiteres Ungemach für die öffentlich Bediensteten verspricht der Audit-Report, den der französische Rechnungshof an diesem Montag vorlegte. Es handelt sich um den Untersuchungsbericht zur finanziellen Situation des französischen Staates, den die neue Regierung im Mai bestellt hatte. Der 250seitige Bericht stellt fest, dass sechs bis acht Milliarden Euro für die Finanzierung der Vorhaben der amtierenden Regierung fehlen. Für das kommende Jahr entdeckt der Rechnungshof sogar nicht gedeckte Ausgaben im Umfang von 33 Milliarden Euro. Die Tageszeitung Le Monde resümiert, dieses Dokument mache »eine Austeritätspolitik unausweichlich«. Rechnungshofpräsident Didier Migaud schlug vor, sowohl die Zahl der öffentlich Bediensteten zu senken als auch ihre Lohne und Gehälter »einzufrieren«, wobei möglicherweise nicht einmal ein Inflationsausgleich stattfinden soll.

Auch in anderen Bereichen werden Lohnabhängige nicht gerade verwöhnt. So entschied die Regierung in der letzten Juniwoche über die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns im kommenden Jahr. Früher war es üblich, dass dieser in Wahljahren stärker als sonst angehoben wurde – jedenfalls vor Sarkozy, der ihn um keinen Cent erhöhte. In diesem Jahr waren es nur 0,6 Prozent Steigerung über den Inflationsausgleich hinaus, zu welchem die Regierung ohnehin gesetzlich verpflichtet ist. Noch nie hat eine nominell linke Regierung so wenig für die Mindestlohnbezieher getan. Selbst der bürgerliche Jacques Chirac erhöhte in Wahljahren den Mindestlohn um vier Prozent einschließlich Inflationsausgleich, in diesem Jahr waren es insgesamt nur zwei Prozent.
Wenigstens bei der Steuerpolitik schlug die Regierung einen etwas sozialer wirkenden Kurs ein. Zur Finanzierung der Krisenausgaben etwas stärker belastet werden derzeit vor allem Erdölkonzerne – Total ist das größte börsennotierte französische Unternehmen – sowie Banken und die Besitzer großer Vermögen. Aber dies dürfte kaum ausreichen. Schon regt der Rechnungshof an, die Mehrwertsteuer anzuheben, die unsozialste Steuer, da sie vor allem Menschen mit geringem Einkommen belastet. Die noch von der rechten Vorgängerregierung beschlossene Mehrwertsteuererhöhung, die zum 1. Oktober hätte in Kraft treten soll, wurde gerade durch das jetzige Kabinett annulliert.
Als weitere Möglichkeit nennt der Rechnungshof die Erhöhung des »Allgemeinen Sozialbeitrags« (CSG). Dieser Sonderbeitrag zur Finanzierung der Sozialhaushalte ist ebenfalls einkommensunabhängig und darum nicht als sozial zu bezeichnen. Neben Lohnbezieherinnen bezahlen ihn zwar auch Menschen, die von Finanzeinkünften wie Mieteinnahmen leben, aber auch viele Rentner und Arbeitslose. Unter früheren rechten Regierungen hatten die Gewerkschaften solche Beschlüsse, wie 1995 unter dem Kabinett von Alain Juppé, bekämpft.
Allmählich beginnen einige Gewerkschaften, wie die postkommunistische CGT und die eher populistische FO, ihre Unzufriedenheit zu zeigen – obwohl etwa die Spitze der CGT zur Wahl Hollandes aufgerufen hatte. Der zweitstärkste gewerkschaftliche Dachverband, die CFDT, unterstützt dagegen weitgehend den Regierungskurs.