»Es gab keinen Aufschrei«

Immer mehr Menschen aus Osteuropa leben in Berlin auf der Straße. Im kommenden Winter sollen ihnen die »Frostschutzengel« helfen. So heißt eine kürzlich angelaufene Kampagne, die auf die Lage osteuropäischer Obdachloser in der Stadt aufmerksam machen soll. Die Streetworkerin Katarzyma Hudec wird im Winter als »Frostschutzengel« arbeiten und hat mit der Jungle World gesprochen.

Was sieht die Arbeit eines Frostschutzengels aus?
In erster Linie geht es darum, Menschen aus Osteuropa, die in Berlin auf der Straße leben, das bestehende Hilfsangebot näherzubringen. Ich spreche polnisch, meine Kollegen russisch und baltische Sprachen, so können wir die Sprachbarriere überbrücken. Diese Menschen sprechen kaum oder gar kein deutsch. Niemand versteht sie, niemand weiß, welche Bedürfnisse sie haben.
Wie viele Obdachlose aus Osteuropa halten sich in Berlin auf?
Es gibt keine genauen Angaben. Manche Stellen für Notübernachtungen werden von Litauern bevorzugt, andere von Russen. Ich kenne eine Zahl aus einer Notübernachtung der Kältehilfe, dort kommen 70 Prozent der Obdachlosen aus Polen.
Aus welchen Gründen kommen diese Menschen nach Berlin?
Die Erkenntnisse sind noch sehr lückenhaft. Manche sind hier auf einen dreisten Arbeitgeber hereingefallen, der sie von heute auf morgen vor die Tür gesetzt oder ihnen keinen Lohn gezahlt hat. Sie kennen ihre Rechte nicht und trauen sich nicht, Ämter aufzusuchen. Es gibt auch eine große Gruppe, die mit sehr vagen Vorstellungen von einem besseren Leben hierherkommt und scheitert.
Gibt es Konflikte zwischen deutschen Obdachlosen und denen aus Osteuropa?
Diese Gruppen leben nebeneinander her. Die osteuropäischen Obdachlosen sind eher verschlossen. Auch die Helfer in den entsprechenden Stellen sind verunsichert. Es besteht die Angst, dass die finanzielle Hilfe gekürzt wird, sobald bekannt wird, dass 70 Prozent der Menschen in der Notübernachtung aus Osteuropa kommen.
Die Angst ist nicht unbegründet. Der Berliner Senat hat die Finanzhilfe für die medizinische Versorgung Obdachloser eingestellt mit der Begründung, es gebe zu viele osteuropäische Nutzer. Besteht auch ein politisches Problem?
Gesine Schwan ist Schirmherrin unserer Kampagne, wir hoffen, dass sie ihren Einfluss nutzt, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Obdachlose Menschen werden im Allgemeinen mit dem Stempel versehen: Selber schuld! Deshalb besteht in der Öffentlichkeit wenig Sensibilität. Als die Finanzhilfe für die medizinische Versorgung eingestellt wurde, gab es keinen Aufschrei.