Paraguays Präsident wurde abgesetzt, die Sojabarone freuen sich

Soja wohl nicht

Nachdem bei einem Landkonflikt in Paraguay zahlreiche Menschen getötet wurden, hat die Legislative den Präsidenten Fernando Lugo seines Amtes enthoben. Die neue Regierung erntete dafür Kritik. Die Vertreter der Agrarindustrie freuen sich hingegen.

Er hat sein Ziel erreicht: Luis Federico Franco Gómez ist der neue Präsident Paraguays. Als er am 22. Juni seinen Amtseid leistete, sah er sehr zufrieden aus. Seit Franco 2008 Vizepräsident Fernando Lugos geworden war, glaubten viele, dass er früher oder später seinen Chef stürzen würde. Bereits 2010, als Präsident Lugo für eine Krebsbehandlung einige Zeit nach São Paulo ging, versuchte Franco die Leitung der Exekutive an sich zu reißen. Lugo konnte seinen Amtsgeschäften damals bald wieder nachgehen, doch nun war es so weit. In Rekordzeit wurden in Paraguay die Präsidenten ausgetauscht. Am 21. Juni entschieden die Kongressabgeordneten, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Lugo einzuleiten. Das Ergebnis des Verfahrens stand bereits fest. Am nächsten Tag musste Lugo den Präsidentenpalast räumen. Am selben Tag wurde Federico Franco als neuer Präsident eingeschworen. Seine Amtszeit läuft bis August 2013, im kommenden April soll wie vorgesehen die nächste Präsidentschaftswahl stattfinden.

Außenpolitisch steht Franco jedoch nicht gut da. Die Regierungen Argentiniens, Brasiliens und Uruguays, alle Mitglieder der Staatengemeinschaft Mercosur, suspendierten am Freitag vergangener Woche die Mitgliedschaft Paraguays, da sie die Amtsenthebung als undemokratisch bewerteten. Für die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff war dies kein einfacher Schritt, denn einflussreiche brasilianische Sojafarmer haben in Paraguay viel Land erworben und unterstützen die neue Regierung Francos. Der Mercosur nahm noch am selben Tag Venezuela als neues Mitglied auf – einzig Paraguay hatte bislang gegen diesen Schritt gestimmt.
Als Revanche für die Isolation sucht die paraguayische Regierung nun die Nähe zu Großbritannien, mit Blick auf den Konflikt des Landes mit Argentinien um die Malvinen (Falkland-Inseln). Am Mittwoch vergangener Woche gab der britische Außenminister William Hague den Entschluss bekannt, die seit 2005 geschlossene Botschaft in Asunción wieder zu öffnen. Deutschland hat die neue Regierung bereits indirekt anerkannt. Der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel war der erste Staatsgast von Federico Franco, wofür er von SPD, Grünen und Linkspartei heftig kritisiert wurde. Niebel sah im Amtswechsel kein Problem. Diese Einschätzung teilen außerdem die Regierungen Kanadas, Spaniens und des Vatikan, sie stehen damit aber recht alleine da. Selbst von der kolumbianischen Regierung, die jeglicher Sympathie für linke Regierungen unverdächtig ist, kam Kritik. Die Außenministerin Kolumbiens, Maria Angela Holguin, sprach am Sonntag davon, dass das Verfahren »irregulär« gewesen sei, aber »kein Putsch«, wie viele Kritikerinnen und Kritiker meinten.
Das Verfassungsgericht in Asunción urteilte am Montag vergangener Woche, dass das Verfahren legal und verfassungsgemäß abgelaufen sei. Das mag formaljuristisch zwar zutreffen, doch die Anklagepunkte gegen Lugo wecken Zweifel an der Legitimität der Entscheidung, vor allem angesichts der Eile, mit der der Fall abgefertigt wurde. Dies sah auch die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte so. Die unabhängige Kommission der Organisation Amerikanischer Staaten schrieb in einer Pressemitteilung vom 23. Juni, dass »die Geschwindigkeit, mit der die Amtsenthebung durchgeführt wurde, unannehmbar« sei. Die Kommission sehe die Rechtsstaatlichkeit in Paraguay gefährdet. »Das Amtsenthebungsverfahren gegen Lugo erreichte kaum das Niveau eines Schauprozesses«, kommentierte der Journalist Francisco Toro in der Zeitung International Herald Tribune.

Die Legislative warf Lugo, der 2008 als Kandidat eines linken Parteienbündnisses zum Präsidenten gewählt wurde, vor, die Amtsgeschäfte schlecht geführt zu haben. Die Kongressabgeordneten, von denen zwei Drittel konservativen und liberalen Parteien angehören, machten ihn und seine Regierung direkt für die Gewalt verantwortlich, die wenige Tage zuvor am 15. Juni bei einer Landbesetzung in Curuguaty nahe der brasilianischen Grenze ausgebrochen war. Kleinbauern und Landlose hatten das Grundstück von Blás Riquelme besetzt. Dieser war ein Vertrauter des ehemaligen paraguayischen Diktators Alfredo Stroessner, Riquelme hatte das Land 1974 auf illegale Weise erhalten. Die Kleinbauern verlangten, dass der Großgrundbesitzer enteignet und das Land verteilt werde. Als die Polizei mit der Räumung begann, fielen Schüsse. Von wem sie abgefeuert wurden, ist umstritten. Die Auseinandersetzung endete mit Dutzenden Toten, davon mindestens elf Kleinbauern und sechs Polizisten.
Der Vorfall in Curuguaty war Franco und seiner liberalen Partei PLRA ein willkommener Anlass, mit dem ungeliebten Präsidenten zu brechen. Sie hatten offenbar nur auf eine Gelegenheit gewartet, um einigermaßen glaubwürdig das Lager zu wechseln und mit ihrem historischen Erzfeind, der konservativen Colorado-Partei, gemeinsame Sache zu machen. 1947 hatten sich die beiden Parteien noch in einem Bürgerkrieg bekämpft. Während der Diktatur Stroessners (1954 bis 1989), eines Colorados, war der PLRA lange verboten. Nun kamen die Liberalen und die Colorados leicht auf die notwendige Zweidrittelmehrheit im Kongress, um Lugo abzusetzen. Das eigentliche Verfahren war da nur eine lästige Formalie, der sie sich unterwerfen mussten.
Die Vorwürfe, die gegen Lugo erhoben wurden, wirken zusammengeschustert und spekulativ. Völlig absurd ist etwa der Vorwurf, Lugo habe sein Amt missbraucht und die linksnationalistische Guerrilla »Streitkräfte des Paraguayischen Volkes« (EPP) unterstützt. Der inhaftierte Anführer der EPP, Alcides Oviedo Brítez, distanzierte sich mehrfach von Lugo. Der EPP hat seit seiner Gründung 2008 einige Anschläge und Entführungen durchgeführt. Die staatliche Repression gegen unbeteiligte Kleinbauern, die angeblich der EPP halfen, war auch unter Lugo sehr hart. Erklärte Gegner des EPP sind Großgrundbesitzer und Sojafarmer. Von der paraguayischen Presse, die eng mit der Agrarindustrie verbündet ist, wurden die Anschläge des EPP dankbar aufgenommen, um jegliche Proteste von Kleinbäuerinnen und -bauern zu kriminalisieren.
Die derzeitige politische Krise zeigt einmal mehr, dass die Landfrage der größte Konflikt in Paraguay ist. 85 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche gehören weniger als drei Prozent der Bevölkerung. Stroessner verschenkte 19 Prozent der Landesfläche an ihm getreue Agrarunternehmer, darunter etliche Brasilianer. Viele Agrarindustrielle haben keine legalen Besitztitel für ihr Land, behelligt werden sie trotzdem kaum. Die im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern noch relativ zahlreichen Kleinbauern Paraguays haben es hingegen sehr schwer. Für sie wird kaum Infrastruktur gebaut, so dass sie ihre Produkte nicht vermarkten können, während die Großgrundbesitzer von allen Infrastrukturprojekten profitieren und zu den größten Sojaexporteuren der Welt gehören. An Umwelt- und Sozialstandards halten sich die Sojabarone nicht. Der Pestizideinsatz auf ihren Feldern vergiftet auch benachbarte Ackerflächen von Kleinbauern. Durch Grundwasserverseuchung erkranken viele der Landbewohner, Kinder werden blind, weil sie in einem Bach badeten, Missbildungen bei Neugeborenen häufen sich. Immer mehr Kleinbauern müssen aufgeben und ziehen in die Städte, wo sie ebenso wenig eine Perspektive haben.

Im Präsidentschaftswahlkampf 2008 versprach Lugo, die korrupte Agrarelite des Landes in ihre Schranken zu weisen. Als Kandidat des Mitte-Links-Bündnisses »Patriotische Allianz für den Wandel« (APC) wurde er mit großer Mehrheit gewählt, nicht zuletzt wegen seines Versprechens, eine Landreform durchzuführen. Vor seiner politischen Karriere war Lugo seit 1977 Priester gewesen. Er hing der lateinamerikanischen Befreiungstheologie an, die den Katholizismus mit sozialistischen Positionen zu verbinden suchte. Als Bischof der verarmten Diözese San Pedro galt er als Kämpfer für die Armen. Für seine Kandidatur ließ er sich schließlich als Priester suspendieren. Mit seiner Wahl endete auch die Herrschaft der Colorados, die seit 1947 an der Macht waren. Doch die Ernüchterung folgte bald. Im Parlament hatte die Colorado-Partei weiterhin die Mehrheit. Jegliche Gesetzesvorhaben gegen die Agraroligarchie wurden dort blockiert oder ließen sich nur teuer erkaufen. Eine ernsthafte Landreform war so nicht möglich. Und selbst innerhalb der eigenen Regierung hatte es Lugo schwer. Der PLRA gehörte zwar seiner Koalition an, sozioökonomisch vertreten die Liberalen aber kaum andere Schichten als die konservative Colorado-Partei. Die politische Macht beider Parteien basiert vor allem auf Klientelismus, unter der verarmten Landbevölkerung ist Stimmenkauf nicht teuer. Zudem verhielt sich Lugo nicht sonderlich geschickt. Der politische Analytiker und Meinungsforscher Francisco Capli sagte zu AFP: »Statt zu regieren, gebärdete sich Lugo wie ein Bischof. Ein Bischof sagt zu allen ›Ja‹ und kommt nie zu einer Lösung.« Spott erntete Lugo, als herauskam, dass er als Bischof mehrere Kinder gezeugt hatte. Abgesehen von einigen Verbesserungen im sozialen Bereich enttäuschte er als Präsident die Hoffnungen vieler.
Zum ersten Mal seit 1936 regieren nun die Liberalen. Lugos Umweltminister Oscar Rivas, der sich schon als Umweltaktivist gegen die Interessen der Agrarlobby stellte, wurde von Federico Franco schnell entlassen. Die Agrarindustriellen können zufrieden sein, künftig wird wieder gänzlich in ihrem Sinne regiert, um auch die letzten Winkel des Landes in die »grüne Wüste« der Sojafelder zu verwandeln. Im kommenden August könnte aber die Colorado-Partei zurückkehren. Bereits vor dem Parlamentsputsch sagten ihr die meisten Analytiker für die Präsidentschaftswahlen im April einen Erfolg voraus. So einfach wie während der Diktatur Stroessners werden die Colorados aber kaum regieren können. Auch ohne Lugo bringen sich die Armen Paraguays immer stärker in die Politik ein. Am Freitag vergangener Woche blockierten 25 000 Menschen im ganzen Land Straßen und Brücken aus Protest gegen die neue Regierung. Nur mit Repression werden die zukünftigen Regierungen des Landes, ob Liberale oder Colorados, die Konflikte kaum bewältigen können.