Das Meldegesetz

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Das neue Meldegesetz passt zur Privatisierungspolitik, die vor allem von CDU-Regierungen betrieben wird.

Als die deutsche Fußballnationalmannschaft bei der Europameisterschaft gegen Italien spielte, verfolgten die Live-Übertragung etwa 28 Millionen Menschen in Deutschland. Ein paar weniger dürfte die fast gleichzeitig stattfindende Bundestagsdebatte über ein neues Meldegesetz angelockt haben. Dabei legte das Parlament am Abend des 28. Juni kurz vor Anpfiff des EM-Halbfinalspiels eine beispiellose Effizienz an den Tag: Nur 57 Sekunden brauchten die knapp 50 anwesenden Abgeordneten der Welt zufolge, um das »Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens« zu verabschieden. Es soll ein seit 2006 geplantes Vorhaben realisieren, die Meldegesetze der Länder auf den Bund zu übertragen.
Kurz vor der Abstimmung im Bundestag hatte der Innenausschuss den Entwurf stillschweigend in einigen Punkten geändert. Statt wie einst angekündigt bei Melderegisterabfragen durch Dritte den Datenschutz zu stärken, erlaubt das Gesetz nun weiterhin die (kostenpflichtige) Abfrage von Meldedaten zum Zweck der Werbung und des Adresshandels. Die Betroffenen, also jeder Bewohner Deutschlands, müssten gegen die Weitergabe ihrer Daten aktiv Widerspruch einlegen, der allerdings wirkungslos bleibt, wenn es um die Bestätigung oder Korrektur bereits vorhandener Daten geht. Die Übergabe der Daten an die Wirtschaft wird zugleich effizienter, weil die 5 200 Meldeämter sich vernetzen und ihre Daten rund um die Uhr in elektronischer Form bereitstellen sollen, ohne Möglichkeit zum Widerspruch. Wohl um die Qualität der erfassten Daten zu erhöhen, wird bei Umzügen eine Bestätigung durch den Vermieter wieder verpflichtend.
Die 57-Sekunden-Debatte hat nach fast zwei Wochen doch noch ihren Weg an die Öffentlichkeit gefunden. Nun wollen die Oppositionsparteien immerhin dieses »Geschenk an die Werbewirtschaft«, wie es der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar genannt hat, im Bundesrat stoppen. Das Gesetz ist dort jedoch nicht zustimmungspflichtig, so dass die Opposition lediglich im Vermittlungsausschuss über Änderungen verhandeln und Einspruch erheben kann, den der Bundestag wiederum überstimmen kann. Angesichts der breiten Kritik bestehen dennoch Chancen auf Anpassungen, zumal inzwischen selbst Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) gegenüber der Berliner Zeitung »Diskussionsbedarf« eingeräumt hat. Doch die Koalition gibt nun den Preis für einzelne Änderungen vor. In den letzten zwei Jahrzehnten haben vor allem CDU-Regierungen öffentliches Eigentum ungeachtet der oft desaströsen Konsequenzen verscherbelt, von kommunalen Wasserwerken bis zur ehemaligen Bundesbahn. Da ist es nur konsequent, die Privatisierungspolitik auf eine bislang weitgehend unerschlossene Ressource auszuweiten: Informationen, die für die Dienstleistungswirtschaft wertvoll und schwer erreichbar sind, weil nur der Staat seine Bürger zur Registrierung von Titeln, Anschrift und Geburtsdatum zwingen kann. Selbst wenn der Bundesrat noch die eine oder andere Hürde in den Weg stellt, werden die Einwohnermeldeämter ihre Daten ab 2014 wohl an Adresshändler verkaufen. Die Folgen werden über vermehrte Werbung im Briefkasten hinausgehen, denn unter den typischen Adresssammlern befinden sich Inkassounternehmen, einfache Betrüger und auf juristisch fragwürdige Abmahnungen spezialisierte Anwälte.