Beate Klarsfeld im Gespräch über die Nazis und den Staat

»Das klingt alles sehr bizarr«

Die 73jährige deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld arbeitet zusammen mit ihrem Mann Serge seit Mitte der sechziger Jahre aktiv an der Aufklärung von NS-Verbrechen. Im März kandidierte sie vergeblich als Bundespräsidentin. Sie lebt in Paris.
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Der Verfassungsschutz hat offenbar, statt zu den Ermittlungen gegen Thüringer Nazis beizutragen, Spitzel aus deren Umfeld bezahlt und beschützt. Hat Sie das überrascht, als Sie davon erfuhren?
Dass die mit V-Leuten zusammenarbeiten, ist ja nichts Ungewöhnliches. Aber offenbar haben die V-Leute ebenso wie die Behörden in all den Jahren nicht verhindert, dass es zehn Morde gab. Es erscheint mir sehr fraglich zu sein, ob die Behörden solche V-Leute überhaupt kontrollieren können.
Erinnert Sie das an die Vorgehensweise des BND, der NS-Verbrecher im Ausland als Agenten finanzierte und schützte?
Klaus Barbie in Bolivien, Walter Rauff in Chile, Alois Brunner in Syrien – die hatten zwar gute Beziehung zu den jeweiligen Diktatoren in diesen Ländern, aber was die tatsächlich als Informanten gebracht haben, das weiß ich nicht. Trotzdem haben die deutschen Behörden ihnen Geld gegeben und nichts dafür getan, um die Auslieferung dieser Täter zu befördern, im Gegenteil.
Beim BKA waren Mitte der fünfziger Jahre von 40 Führungspositionen mindestens 25 mit ehemaligen SS-Angehörigen und Gestapo-Leuten besetzt. Beim BND hatte anfangs jeder zehnte Mitarbeiter eine solche Vorgeschichte.
Ja, drum gab es in diesen Behörden logischerweise auch Sympathien für die international gesuchten Täter.
Der BND hat voriges Jahr eine Historikerkommission einberufen, um die eigene braune Geschichte aufzuarbeiten. Die Kommission hat jedoch beklagt, dass in den Jahren 1996 und 2007 über 250 Personalakten vernichtet wurden, die BND-Mitarbeiter betrafen, welche vorher der SS oder der Gestapo angehörten. Können Sie glauben, dass bei Geheimdiensten solche Aktenschreddereien, wie auch jetzt im Falle des Verfassungsschutzes, aus Zufall geschehen?
Das klingt alles sehr bizarr, nicht wahr? Ich habe mit dem Vorsitzenden der Historikerkommission gesprochen, und er sagte mir auch, die BND-Akten in Pullach seien teilweise verwittert und in einem ganz fürchterlichen Zustand, so dass sie erst aufgearbeitet werden müssten. Aber wie dem auch sei, wenn jetzt der Herr Fromm sagt, er kann nicht erklären, wie es zu dieser Aktenvernichtung beim Verfassungsschutz in Köln gekommen ist, kann man nur sagen, als Chef ist er verantwortlich für das, was seine Angestellten tun. Und er hat ja auch die Konsequenzen gezogen.
Auch im Verfassungsschutz waren viele Mitarbeiter der Gestapo und SS beschäftigt, wie man inzwischen weiß. Seit November arbeiten im Auftrag des VS zwei unabhängige Forscher an einer Aufarbeitung dieser Geschichte. Glauben Sie, dass dies durch den aktuellen Skandal um den VS erschwert oder eher befördert wird?
Auf jeden Fall muss jetzt umso mehr eine Aufarbeitung stattfinden. Es ist jetzt ein großer Druck auf die Institutionen aufgebaut worden. Es vergeht nicht ein Tag, an dem nicht Fakten herauskommen. Die müssen jetzt mal reinen Wein einschenken. Ich glaube schon, dass sie künftig nicht mehr einfach immer nur schweigen können.
Glauben Sie, die Geheimdienste können bei der Aufarbeitung der deutschen Geschichte dienlich sein oder sind sie vielmehr Teil des Problems?
Man darf nicht vergessen, vor nicht mal 70 Jahren gab es in Deutschland eine Nazi-Partei mit zehn Millionen Mitgliedern. Und natürlich haben nicht alle aus der Vergangenheit gelernt. Nachfolgerin der Partei war die NPD, die bis heute Steuergelder bekommt und Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Hitler-Verehrung propagiert. Ich setze mich seit langem dafür ein, dass die NPD verboten wird, aber jedes Mal gibt es Bedenken. Man ist sehr nachgiebig gegenüber Nazis, fasst sie mit Samthandschuhen an, während man sehr hart gegen Linke vorgegangen ist. Es gab immer viele Sympathien für Rechtsextreme in Institutionen und in der Gesellschaft. Ich erinnere mich gut, als wir in den sechziger Jahren in Frankfurt und Stuttgart gegen Nazis demonstriert haben, da stand die Polizei auf Seiten der NPD. Und wer hat gegen die Nazis gekämpft? Die Apo, die junge Generation war es, die sich aufgelehnt hat. Nur der haben wir es auch zu verdanken, dass die NPD 1969 nicht die fünf Prozent bekommen hat, um in den Bundestag einzuziehen, und vor allem, dass der Nazi-Propagandist Kurt-Georg Kiesinger durch einen Widerstandskämpfer, Willy Brandt, als Bundeskanzler abgelöst wurde.
Was sollten die Konsequenzen für den Verfassungsschutz und andere Geheimdienste aus dem aktuellen Skandal sein?
Zuerst muss jeder seine Fehler eingestehen, dann muss eine Bilanz gezogen werden. Welche Maßnahmen genau ergriffen werden sollten, weiß ich nicht. Aber was bringt der Verfassungsschutz, wenn er so viele Fehler begeht? Ist diese Institution noch tragbar für Deutschland? Diese grundsätzlichen Fragen muss man stellen, aber zunächst sollte man sehen, was noch so herauskommt.