Deutsche Dispozinsen sind zu hoch

Dispo macht Banken froh

Eine Studie im Auftrag des Verbraucherschutzministeriums hat festgestellt, dass die Zinssätze für Dispokredite in Deutschland zu hoch sind.

Ob Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) das Album der Band Fehlfarben mit dem Titel »Knietief im Dispo« von 2002 kennt? Zumindest hat ihr Ministerium eine Studie über die Höhe der Zinsen für Dispokredite in Deutschland in Auftrag gegeben, die in der vorigen Woche der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Das Ergebnis der von Experten des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung und des Instituts für Finanzdienstleistungen erstellten Studie dürfte für alle, deren Kontostand sich um »Null« eingependelt hat, vor allem also für Menschen im Niedriglohnbereich, prekär Beschäftigte und Bezieher von Lohnersatz- oder Transferleistungen, wenig überraschend sein. Viel zu hoch seien die Zinsen in Deutschland, fasste Aigner das Ergebnis auf der Pressekonferenz zusammen.
In der Studie heißt es, dass »die Erträge aus dem Dispokreditgeschäft die Kosten, die dem Kreditinstitut für dieses einzelne Produkt entstehen, deutlich übersteigen«. Die zusätzlichen Einnahmen würden »zur Quersubventionierung anderer Leistungen oder zur Gewinnsteigerung verwendet«. Zwar seien die Durchschnittszinssätze von dem im Herbst von der Stiftung Warentest gemessenen Höchststand von 12,4 Prozent auf Sätze zwischen zehn und elf Prozent leicht gesunken, doch seien sie noch etwa 14 Mal höher als der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB), zu dem sich die Banken mit Geld versorgen können. Die Forderung der Verfasser der Studie, die Zinssätze »auf deutlich unter zehn Prozent« zu reduzieren, erscheint immer noch als moderat gegenüber der Finanzindustrie. Auch das häufig von Banken als Begründung für die exorbitanten Zinssätze vorgebrachte Ausfallrisiko wird in der Studie als interessengeleitetes Scheinargument entlarvt. Mit 0,3 Prozent an nicht zurückgezahlten Krediten liege das Risiko weit unter dem bei allen sonstigen Konsumkrediten, von denen immerhin 2,5 Prozent nicht vollständig getilgt würden.
Mit durchschnittlich 10,24 Prozent liegen die Dispozinsen hierzulande weit über dem Durchschnittssatz des Euro-Raumes, der 8,84 Prozent beträgt. Lediglich in Portugal und Griechenland liegt dieser Satz über dem deutscher Banken, während er sich insbesondere in den nördlichen Staaten des Währungsverbunds zwischen sechs und sieben Prozent bewegt. Selbst in Spanien, wo die Ausfälle zuletzt Rekordhöhen erreicht hatten, liegt der Durchschnittszins mit 10,11 noch leicht unter dem deutschen Niveau. Die Banken verweisen stattdessen gerne auf die europäischen Spitzenreiter Ungarn und Lettland, deren Zinssätze von über 30 beziehungsweise 23 Prozent jedem Geldverleiher aus der Welt des organisierten Verbrechens zur Ehre gereichen würden.

Angesichts dieser Analysen überrascht es, dass sich die Experten nicht der zuletzt vom Bundesverband der Verbraucherzentralen erhobenen Forderung nach einer bundesweiten Zinsobergrenze für Kredite aller Art, speziell aber für Dispokredite, anschließen wollen. Die Begründung, dass dadurch günstigere Konkurrenten ausgestochen werden könnten, erscheint ebenso wenig nachvollziehbar wie die Befürchtung, dass eine Erhöhung der Gebühren das Zinsniveau in diesem Fall erhöhen könnte, denn Erhebungen von sogenannten »Verwaltungskosten« sind schon derzeit üblich und könnten ebenfalls eine gesetzliche Deckelung erfahren. Es könnte sich um einen Fall vorauseilenden Gehorsams handeln. Denn die Verbraucherschutzministerin lehnt gesetzliche Eingriffe weiterhin ab, wie sie auf der Pressekonferenz betonte. Sie beließ es bei dem Appell, dass Banken und Sparkassen für »faire Konditionen und volle Transparenz« zu sorgen hätten, der Rest sei Sache der Konsumenten. Deutlicher wurde der Bundesfinanzminis­ter. Es stehe »nirgendwo geschrieben, dass man sein Konto überziehen muss«, sagte Wolfgang Schäuble (CDU).
Seinem Rat, »besser auf seine finanzielle Situation acht zu geben«, folgen aber offensichtlich zu wenige. Jedes sechste Konto in Deutschland weise dauerhaft oder zumindest regelmäßig ein Minus auf, stellt die Studie fest. Dass dies weniger dem laxen Umgang mit Krediten geschuldet ist, als vielmehr der sich zuspitzenden ökonomischen Situation, in der sich immer mehr vor allem im Niedriglohnbereich Beschäftigte befinden, verdeutlicht der Blick auf die Überschuldungssituation in Deutschland. Im vorigen Jahr erhöhte sich die Zahl der Haushalte, deren Schulden ihr Jahreseinkommen übertreffen, dem »Überschuldungsreport 2011« des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen zufolge auf insgesamt 3,15 Millionen. Zugleich stieg die Zahl der Privatinsolvenzen auf den Rekordwert von 106 300 Fällen. Das Konsumverhalten sei lediglich bei einem Zehntel der Fälle mitverantwortlich, heißt es in der Studie.

»Lasst sie doch Kredite essen«, hatte Raghuram Rajan, der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), verkündet und damit den die sinkenden Lohnquoten kompensierenden Charakter der »Easy Credit«-Politik gegenüber den Unterklassen auf den Punkt gebracht. Die Aufrechterhaltung des Massenkonsums und damit der zentralen Zweige der Akkumulation mittels der privaten und der öffentlichen Verschuldung hat allein in den letzten zehn Jahren die Quoten der Verschuldung der privaten Haushalte immens steigen lassen. Zu diesem Ergebnis gelangte eine Studie der OECD im vorigen Jahr. So liegt die private Verschuldung in Großbritan­nien bei fast 180 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens und in Kanada, den USA und Japan jenseits der 120-Prozent-Marke. Während die Quote aufgrund der relativ stabilen wirtschaftlichen Lage in Deutschland bei etwas unter 65 Prozent verharrt, hat sie sich in Frankreich und Italien im vergangenen Jahrzehnt um fast 50 Prozent erhöht.
Noch schlechter sieht es in vielen anderen Staaten Europas aus. Der EU-Kommission zufolge beträgt bei 15 der 27 EU-Mitglieder die private Verschuldung mindestens 160 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Irland führt die Liste mit 341 Prozent an, Portugal bringt es auf 249 Prozent, für Spanien werden 227 Prozent angegeben.

Solche Zahlen künden vom Ende der Hoffnung auf einen rein »von Schulden angetriebenen Aufschwung«, wie der US-Ökonom Robert Brenner die kurzfristigen Booms der Weltwirtschaft in den vergangenen vier Jahrzehnten beschrieben hat. Der Ökonom Paul Mattick weist in seinem Buch »Business as Usual«, das kürzlich auf Deutsch erschienen ist, darauf hin, dass der »kreditgetriebene Aufschub der Depression in Stagnation« münden müsse, und erwartet katastrophale Folgen.
Man muss kein Kritiker der kapitalistischen Verhältnisse sein, um das ähnlich zu sehen. In ­einem Arbeitspapier der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) vom Februar kommen die Autoren zu dem Schluss, dass schon eine pri­vate Verschuldung von mehr als 85 Prozent des BIP negative bis destruktive Folgen für die jeweilige Wirtschaft habe. Die Schuldenprobleme der fortgeschrittenen Volkswirtschaften »sind noch schlimmer, als wir dachten«, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Stephen Cecchetti, den Chefökonomen der BIZ. Eine Lösung, wie neues Wachstum ohne weitere Verschuldung entstehen könnte, findet sich auch in seinem Bericht nicht. Die hohen Dispozinsen trotz geringer Leitzinsen könnten aber ein Zeitalter teurer Massenkredite ankündigen, um die private Verschuldung einzudämmen. Auf mehr als die von Apo­logeten des kapitalistischen Irrationalismus wie Wolfgang Schäuble gepflegte protestantische Rhetorik, den »Gürtel enger zu schnallen«, können die Proletarier aller Länder wohl nicht mehr.