Die französische Einwanderungspolitik

Freundlicher abschieben

Unter der neuen Regierung in Frankreich gibt es für Migranten einige Verbesserungen. Am allgemeinen Kurs der Vorgänge­regierung in der Einwanderungspolitik ändert sich aber nichts.

Hat sie oder hat sie nicht? Am Freitag vergangener Woche und am Wochenende hielt die Polemik um angebliche Äußerungen der früheren sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal an. Die Debatte sorgte kurzzeitig für Spannungen zwischen dem sozialdemokratischen Regierungslager und Vertretern der migrantischen Bevölkerung Frankreichs. Doch Royal dementierte, den umstrittenen Ausspruch getätigt zu haben, in dem sie sich »nicht wiedererkenne«.
Royal, die Regionalpräsidentin im westfranzösischen Poitiers ist, war am Donnerstag vergangener Woche vom konservativ-liberalen Wochenmagazin Le Point mit der Aussage zitiert worden, ihre Parteikollegin Najat Vallaud-Belkacem, Regierungssprecherin und Ministerin für Frauenrechte, verdanke ihre Ämter allein ihrer Herkunft.

Vallaud-Belkacem wurde 1977 in Marokko geboren. Royal soll weiter gesagt haben: »Sie wäre vielleicht nicht dort, wenn sie Claudine Dupont heißen würde.« Zu ihrer Verteidigung sagte Royal am Freitagabend vergangener Woche, sie habe nie irgendwelche diskriminierenden Absichten gehegt. Gleichzeitig erklärte Royal, sie selbst habe Vallaud-Belkacem in der Vergangenheit »wegen ihrer Geschichte« – sprich, ihrer Abstammung – politisch gefördert, denn sie habe sich immer mit Leuten unterschiedlicher Herkunft umgeben wollen. »Sie muss akzeptieren, deswegen da zu sein«, und »sie muss zu ihrer Identität stehen und stolz darauf sein«, fügte Royal hinzu. Es ist naheliegend, dass Vallaud-Belkacem eher wegen ihrer politischen Positionen, ihres Engagements und ihres Werdegangs als aufgrund ihrer Abstammung erfolgreich sein möchte. Zwar ist nach Royals Widerspruch unklar, wie genau sie sich gegenüber Le Point geäußert hat, allerdings deutet das Dementi an, dass sie so falsch nicht zitiert worden sein dürfte.
Generell tut sich die französische Sozialdemokratie in jüngerer Zeit mit dem Thema Einwanderung und mit dem Umgang mit Menschen migrantischer Herkunft schwer. Im Wahlkampf waren diese Themen von den Konservativen und den Rechtsextremen stark hervorgehoben worden. Da die Sozialistische Partei damit rechnete, dass die Gesellschaft in der ökonomischen Krise eher zu mehr Ab- und Ausgrenzung neige, wollte sie jeden Eindruck von »übertriebenem« Humanismus oder Großzügigkeit gar nicht erst aufkommen lassen. Zugleich versuchte sie, Fragen der Einwanderungspolitik möglichst selten anzusprechen, da sie befürchtete, in einem Wettlauf um einprägsame Slogans und die Instrumentalisierung von Emotionen von den verschiedenen rechten Parteien schnell abgehängt zu werden.
Nach den Wahlsiegen der Sozialdemokraten und François Hollandes zeigte sich in dessen Wahl für das Amt des Innenministers, dass der Kurs der Vorgängerregierungen weitgehend beibehalten wird. Der neue Innenminister Manuel Valls ist ein ehemaliger Fan des New-Labour-Kurses von Tony Blair und stand im innerparteilichen Gefüge der französischen Sozialdemokratie stets weit rechts. Eine seiner ersten Regierungsentscheidungen betraf den Umgang mit ausländischen Studierenden. Diesen hatte Nicolas Sarkozy in seiner eigenen Amtszeit als Innenminister 2006 den Arbeitsmarkt relativ weit geöffnet, da es sich um hochqualifiziertes »Humankapital« handele, von dem die französische Wirtschaft profitieren solle. Damals ging es darum, die »ausgewählte Einwanderung« benötigter Arbeitskräfte zu fördern und gegen die »erlittene Einwanderung«, etwa durch Familiennachzug, abzugrenzen. Aber 2011, als der Wahlkampf nahte, schlug die damalige Regierung eine andere Richtung ein: Der Arbeitsmarkt wurde ab Mai vergangenen Jahres für ausländische Absolventinnen und Absolventen fast vollständig gesperrt, da sie einheimischen Arbeitskräften angeblich die Jobs wegzunehmen drohten. Gegen die Ausschlussmaßnahmen gab es breiten Protest, den Studierendenverbände und antirassistische Solidaritätsvereinigungen, aber auch Hochschulpräsidenten und Unternehmerverbände unterstützten.
Anfang Juni wurde nun bekannt, dass die neue Regierung den Arbeitsmarkt für ausländische Absolventen französischer Universitäten wieder teilweise öffnet. Allerdings wird dabei unterschieden zwischen einer »ersten Berufserfahrung« von ein bis zwei Jahren und »dauerhafter Ansiedlung«. Erstgenannte soll ermöglicht, die Ansiedlung aber verhindert werden. Ausnahmen sind jedoch vorgesehen, etwa, wenn eine ausländische Absolventin für eine französische Firma arbeitet, die auf den Märkten des entsprechenden Herkunftslands expandiert und dabei landeskundliche und Sprachkenntnisse benötigt. Die neue, selektive Großzügigkeit wird also in den Dienst wirtschaftlicher Interessen gestellt.
Eine zweite Ministerialverordnung vom 6. Juli hat Abschiebungen zum Gegenstand. Im Wahlkampf hatte Hollande antirassistischen NGOs versprochen, es müssten keine Kinder mehr in Abschiebegefängnissen verweilen. Dafür wurde er von Konservativen und Rechtsextremen scharf angegriffen. Allerdings beruhte Hollandes Versprechen darauf, dass es Alternativen zur Abschiebehaft gibt, um in Frankreich unerwünschte Einwanderer mitsamt ihren Familien zur Ausreise zu bewegen: So können Familien auch zu Hause unter Meldeauflagen untergebracht werden. Die Betroffenen müssen sich dann in kurzen Abständen bei der Polizei melden. Oftmals geht es dabei in der Praxis darum, eine von den Betroffenen angeblich mehr oder minder akzeptierte Ausreise zu organisieren.
Es blieb die Frage, was passiert, wenn Menschen mit Kindern mit einer solchen sogenannten einvernehmlichen Ausreise nicht einverstanden sind. Die Verordnung des Innenministers Valls vom 6. Juli gibt darauf Antwort: Entzieht der Vormund der Kinder sich den Meldeauflagen oder verweigert er die erzwungene Ausreise, kann die gesamte Familie einschließlich der Kinder doch wieder in Abschiebehaft kommen.

Am 20. Juli wurde dagegen eine relativ fortschrittliche Maßnahme beschlossen: Die Parlamentsmehrheit aus Sozialdemokraten und Grünen stellte die »Aide médicale d’Etat« (AME), den illegalisierten Einwanderern offenstehenden Zweig der Krankenkasse, im alten Umfang wieder her. Die AME war im Jahr 2000 eingeführt worden, nicht nur aus Menschenfreundlichkeit, sondern auch unter Gesichtspunkten vorausschauender staatlicher Gesundheitspolitik. Wenn eine ganze Bevölkerungsgruppe – in Frankreich leben zwischen 200 000 und 400 000 ille­galisierte Einwanderer – außer in lebensbedrohlichen Fällen keinerlei Zugang zu ärztlicher Versorgung hat, droht die Gefahr, dass sich eigentlich leicht heilbare Krankheiten ausbreiten. Die Rechtsregierung hatte 2011 die sans papiers jedoch verpflichtet, selbst erst einmal 30 Euro zuzuzahlen, bevor sie für jeweils ein Jahr in die AME aufgenommen werden können. Das Ziel war es, möglichst viele illegalisierte Einwanderer durch eine ökonomische Hürde abzuschrecken. Das neue Regierungslager schaffte diese Eigenbeteiligung nun wieder ab, auch wenn Konservative und Rechtsextreme tobten.
Es sind zwar einige humanitäre Verbesserungen bei der Einwanderungspolitik zu verzeichnen. Auch hat Valls angekündigt, die Kriterien beim Erwerb der französischen Staatsbürgerschaft wieder etwas zu lockern; die Zahl der Einbürgerungen war allein im letzten Amtsjahr der rechten Vorgängerregierung um ein glattes Drittel gesunken. Die neuen Kriterien sind allerdings noch nicht genau bekannt und dürften erneut eher unter nationalökonomischen als humanitären Gesichtspunkten erstellt werden. Alles in allem dominiert die politische Kontinuität.