Die Debatte über Sterbehilfe

Der Tod und seine Begleiter

Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zum Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe hat eine heftige Debatte ausgelöst.

Seit einigen Jahren wird immer wieder darüber diskutiert, ob die Sterbehilfe in Deutschland nicht ausreichend juristisch geregelt ist. Es werden Vorschläge zur gesetzlichen Neuregelung unterbreitet, heftige Debatten entwickeln sich und schließlich wird die Entscheidung vertagt oder nur eine provisorische Lösung gefunden. Mit einem neuen Gesetzentwurf möchte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nun die gewerbsmäßige Sterbehilfe unter Strafe zu stellen. Dafür dürften sich vermutlich leicht parlamentarische Mehrheiten finden lassen, auch der geplante Paragraph 217, der eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren für denjenigen vorsieht, der »absichtlich und gewerbsmäßig ­einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt«, könnte im Bundestag auf Zustimmung stoßen. Parteiübergreifend dürfte man sich darüber einig sein, dass man mit Sterbehilfe kein Geld verdienen soll. Würde man hingegen die Bevölkerung in einem Referendum befragen, sähe die Sache schon anders aus. Im Auftrag der Bild am Sonntag hat das Meinungsforschungsinstitut Emnid die Deutschen gefragt, was sie von der gewerbsmäßigen Sterbehilfe halten. 49 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus, 41 Prozent lehnten sie ab.

Etwa die Hälfte der Bevölkerung hat demnach anscheinend kein Problem mit dem bezahlten Tod. Gesetzentwürfe kommen jedoch nie nur mit einem Absatz aus, der zweite Absatz des geplanten Paragraphen 217 sorgt derzeit für heftige Diskus­sionen. Dort heißt es: »Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person ist.« Ohne diesen zweiten Absatz wäre das Gesetz völlig unzureichend und wirklichkeitsfern, denn dann wären alle zum Zeitpunkt des Todes anwesenden Angehörigen theoretisch von Strafverfolgung betroffen. Die Hilfe beim Sterben wäre dann generell ein Straftatbestand. Das wollte das Justizminis­terium vermeiden, denn in Deutschland ist nur die aktive Sterbehilfe eindeutig verboten.
Im zweiten Absatz ist von Personen die Rede, die dem Sterbenden nahestehen. Die genauere Ausführung, die der Gesetzesentwurf zu diesen Personen liefert, sorgt für Aufregung. In Betracht kommen »Lebensgefährten, langjährige Hausgenossen oder nahe Freunde. Auch Ärzte oder Pflegekräfte können darunter fallen«. Viele Vertreter der Pflegeberufe reagierten umgehend mit Empörung, nachdem der Entwurf bekannt geworden war. Die Bundesärztekammer distanzierte sich sofort von dem Passus. »Die Aufgabe des Arztes ist es, Leben zu erhalten, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten. Das heißt: Sterbebegleitung und ärztliche Hilfeleistung beim Sterben – und nicht zum Sterben«, sagte Vizepräsident Max Kaplan gegenüber der Nachrichtenagentur DPA. Die Erweiterung um den Personenkreis von Ärzten und Pflegekräften geht der Standesorganisation zu weit. Die katholische Kirche lehnt das geplante Gesetz ebenfalls ab: »Man kann nur hoffen, dass sich der Entwurf des Bundesjustizministeriums nicht im Kabinett durchsetzt«, sagte Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, den Stuttgarter Nachrichten.

Auch die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung äußerte scharfe Kritik am Gesetzentwurf. »Es geht der Justizministerin nicht darum, Suizidhandlungen möglichst zu verhindern, sondern Freiräume zu schaffen und die gesellschaftliche Akzeptanz des assistierten Suizids zu fördern. Auch wird Überzeugungstätern, die ihr Suizidangebot wiederholt unentgeltlich anbieten, so zukünftig nicht beizukommen sein«, sagte Eugen Brysch, der Geschäftsführende Vorstand der Stiftung. In seiner Stellungnahme spricht er ein weiteres Problem des Gesetzentwurfs an. Organisationen wie Dignitas in der Schweiz oder der von Roger Kusch gegründete Verein »Sterbehilfe Deutschland« und deren zweifelhafte Praktiken finden nur indirekt Erwähnung. Dem ehemaligen Hamburger Justizsenator Kusch könnte das neue Gesetz, wenn es denn verabschiedet würde, wahrscheinlich wenig anhaben. Sein Verein betont stets, dass er seine Dienste kostenfrei anbietet – also keine gewerbsmäßige Sterbehilfe betreibt. Für 100 Euro Jahresbeitrag kann man Mitglied werden, für 1 000 Euro wird man lebenslanges Mitglied. »Die Beihilfe zum Suizid ist bei uns im Rahmen einer Mitgliedschaft kostenlos. Kommerzielle Absichten verfolgen wir nicht. Der Verein bekommt für Dienstleistungen kein Honorar«, sagte Kusch der Bergedorfer Zeitung. Es dürfte schwierig werden, ihn im Rahmen dieses Gesetzesentwurfs zu verurteilen.
Die Patientenschutzorganisation fordert deshalb, das Gesetz zu präzisieren. »Wir fordern, dass auch die geschäftsmäßige, also unentgeltliche und mit Wiederholungsabsicht ausgeübte Suizidbeihilfe unter Strafe gestellt wird«, sagt Patientenberaterin Elke Simon. Für den Schweizer Verein Dignitas gilt das deutsche Gesetz ebenfalls nicht. Von 2003 bis 2007 haben sich immer mehr Deutsche von Dignitas beim Sterben helfen lassen. Von 91 auf 132 stieg die Zahl der Nicht-Schweizer, die das Angebot in Anspruch nahmen – die Mehrheit darunter Deutsche.
Größtenteils ausgeblendet werden in der derzeitigen Debatte die Alternativen zur Sterbehilfe, nur bei den Kritikern des Gesetzesentwurfs finden sie Erwähnung. Der Vizepräsident der Bundesärztekammer weist zu Recht darauf hin, dass viele Patienten am Ende ihres Lebens gar kein Interesse an Sterbehilfe haben. »Mich hat noch kein Patient in dieser Phase aufgefordert: Geben Sie mir die Todesspritze«, sagte Kaplan. Er fordert eine häufigere Anwendung palliativmedizinischer Maßnahmen, die in Deutschland immer noch zu wenig eingesetzt werden.

Ärzte und Pfleger können durch Beistand, schmerz­stillende oder lindernde Medikamente viel erreichen. Im Hinblick auf die palliative Versorgung ist das deutsche Krankenversicherungssystem noch immer erstaunlich schwer­fällig. Wirksame Medikamente sind zum Teil nicht zugelassen oder werden von den Kassen nicht bezahlt. Dem Patienten können monatliche Kosten von bis zu 2 000 Euro entstehen, wenn er diese Medikamente selbst zahlt. Man kann von einem Missstand in der palliativen Versorgung sprechen. »Mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland bräuchten in ihrem letzten Lebensjahr eine professionelle Sterbebegleitung, aber nur etwa 71 000 Menschen bekommen sie«, sagt Simon. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), sieht das ähnlich. Er hält nur das Verbot gewerbsmäßiger Sterbehilfe für sinnvoll – alle weiteren Pläne des Justizministeriums würden lediglich zu mehr Rechtsunsicherheit führen. Zöller fordert stattdessen mehr Investitionen in palliative Einrichtungen und Angebote, damit »todkranke Menschen schmerzfrei und in Würde sterben können«. Roger Kusch hat in der Bergedorfer Zeitung angedeutet, dass ihn die gegenwärtig »diffus und unsachlich« geführte Diskussion nicht weiter störe. Im Gegenteil – sein Verein mache »im Rahmen von Gesetz und Ordnung weiter«.