Das bisschen Terror
»Etliche Kommunen haben die Dringlichkeit konzertierten Handelns gegen den Rechtsextremismus noch nicht erkannt. In Dortmund hingegen ist man auf bestem Wege, die Verfehlungen von einst zu korrigieren. Den Neonazis, die die Stadt terrorisieren, soll nun in gemeinschaftlicher Form Einhalt geboten werden.« Diese lobende Erwähnung findet sich in der Dokumentation »Das Kartell der Verharmloser. Wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremistischen Alltagsterror bagatellisieren«, die in der vergangenen Woche von der Amadeu-Antonio-Stiftung vorgestellt wurde. Insgesamt zeichnet der Bericht hingegen kein allzu schmeichelhaftes Bild von Politikern und Polizei, wenn es um den Umgang mit der Neonaziszene und deren Opfern geht.
An zahlreichen Fallbeispielen schildert die Autorin Marion Kraske, wie der politische Hintergrund rechter Gewalttaten ignoriert wird, Angriffe von Neonazis als gewöhnliche Schlägereien im Polizeibericht auftauchen und den Opfern oftmals die Schuld zugeschoben wird. Die Opferberatung Move berichtet beispielsweise von einem Verfahren gegen einen Asylbewerber vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz im Januar. Der Mann war erst wenige Wochen zuvor von Neonazis angegriffen worden. Der Richter kam zu der lapidaren Feststellung, dass Deutschland für den Asylsuchenden ein unsicherer Ort sei – und ließ ihn abschieben. Ebenfalls in Chemnitz sieht sich der Betreiber des koscheren Restaurants »Schalom« seit Jahren anhaltendem Neonaziterror ausgesetzt, ist jedoch auf sich allein gestellt. Von einem Polizeibeamten musste sich der Gastwirt den Kommentar anhören, mit einem solchen Logo, einem stilisierten Davidstern, müsse er sich »über so eine Aufmerksamkeit nicht wundern«.
Kraske schildert zudem die Erfahrungen derjenigen, die versuchen, gegen die »national befreiten Zonen« im Osten, aber auch vor allem in den ländlichen Regionen im Westen vorzugehen. Von mangelnder Unterstützung durch Lokalpolitiker bis hin zu offenem Misstrauen berichten sogar Vertreter bürgerlicher Initiativen gegen rechts. Auch die berüchtigte Extremismusklausel, die antifaschistischen Organisationen die Arbeit zusätzlich erschwert, wird ausgiebig kritisiert.
Hier allerdings liegt auch das Problem, denn die Amadeu-Antonio-Stiftung, die auf die Gelder aus dem Familienministerium angewiesen ist, unterschrieb die »Demokratieerklärung« zähneknirschend. Und sie entgeht der Falle nicht: Die Kritik an der Klausel läuft darauf hinaus, die in der Broschüre vorgestellten braven Demokraten vehement vor dem schrecklichen Verdacht des »Linksextremismus« in Schutz zu nehmen. Linke Gruppen kommen in der Dokumentation denn auch nicht zu Wort. Dabei könnten sie die Schilderungen der tristen Lage noch um Beispiele staatlicher Repression und Kriminalisierung bereichern.
Beispielsweise aus dem von der Stiftung so anerkennend erwähnten Dortmund. Die Stadt ist ein wichtiges Zentrum der westdeutschen Neonaziszene, diese tritt dort erschreckend selbstbewusst und gewalttätig auf. Wie aus der Broschüre der Stiftung hervorgeht, hat nur Berlin mehr von Neonazis verübte Morde zu verzeichnen als Dortmund. Am 1. Mai 2009 überfiel in der nordrhein-westfälischen Stadt ein Neonazimob die DGB-Maifeier, der von Dortmunder Nazis jährlich Anfang September veranstaltete »Nationale Antikriegstag« hat sich vor allem für die »Autonomen Nationalisten« aus dem ganzen Bundesgebiet zum Anziehungspunkt entwickelt.
Nach der Aufdeckung der Morde des »Nationalsozialistischen Untergrunds« und im Zuge der darauf folgenden öffentlichen Aktivitäten gegen rechts sahen sich tatsächlich auch das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt Dortmund genötigt, ihr Neonaziproblem zur Kenntnis zu nehmen, wenig überraschend jedoch in erster Linie als ein ordnungspolitisches. In den Großstadtkommissariaten wurden hektisch »Kompetenzzentren« ins Leben gerufen. Marion Kraske freut sich in ihrem Bericht über die Präsenz von Streifenwagen und über städtische Reinigungstrupps, die losgeschickt werden, um faschistische Aufkleber und Plakate abzukratzen.
Die Grenzen des von der Stadt Dortmund großspurig verkündeten »gemeinschaftlichen Vorgehens« gegen rechts lernen derzeit hingegen die Organisatoren eines Antifa-Camps kennen. Dieses soll im von der Neonaziszene dominierten Stadtteil Dorstfeld stattfinden und auch der Vorbereitung des Widerstands gegen den diesjährigen »Nationalen Antikriegstag« dienen. Bei dem Versuch, von der Stadt ein geeignetes Gelände zu erhalten, erlebten die Veranstalter eine Provinzposse, die in »Das Kartell der Verharmloser« hätte aufgenommen werden müssen, wäre die Broschüre zu diesem Zeitpunkt nicht bereits gedruckt gewesen. So begründete die kommunale »Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie« die Ablehnung der beantragten Fläche damit, man könne sich nicht über die Dorstfelder Bürger hinwegsetzen, Ausweichflächen wurden zunächst nicht angeboten. Und selbstverständlich wurde auch die Befürchtung vorgebracht, vom Camp könne Gewalt ausgehen, wenn nicht von den Antifas selbst, dann möglicherweise von den Neonazis, die sich durch das Camp »provoziert fühlen« könnten.
Die Polizei hingegen möchte das Camp am liebsten gar nicht als politische Kundgebung anerkennen und riet den Organisatoren, die Sache doch einfach als private Veranstaltung wie etwa ein Schützenfest anzumelden. Zugleich kündigte ein potentieller Vermieter den Vertrag, weil ihm die Polizei von der Vermietung abgeraten hatte.
Diese Verhinderungstaktik hat allerdings großen Protest hervorgerufen und dem Antifa-Camp erst recht Öffentlichkeit verschafft. Die Stadt steht unter Druck und erklärte sich zu neuen Verhandlungen über ein Ausweichgelände bereit. Anfang dieser Woche konnten die Veranstalter schließlich vermelden, die Stadt habe ein konkretes Angebot vorgelegt, das Camp kann somit wohl wie geplant vom 24. August bis zum 2. September stattfinden. Nicht dank, sondern trotz der von Marion Kraske gepriesenen Dortmunder Behörden.