Flüchtlingspolitik in Australien

Das Boot soll leerer werden

Die australische Regierung hat ein Problem mit Bootsflüchtlingen. Sie hat ihre Asylpolitik geändert.

Seit voriger Woche ist es amtlich: Australien wird die ehemaligen Flüchtlingscamps in Nauru und Papua-Neuguinea wiedereröffnen, um dort eintreffende Bootsflüchtlinge für die Dauer der Bearbeitung ihrer Asylgesuche einzusperren. Der australischen Ministerpräsidentin Julia Gillard zufolge »nützt es nichts mehr, Geld und Leben zu riskieren, um mit den Booten der Schleuser nach Australien überzusetzen«. Die meisten Bootsflüchtlinge kommen über Indonesien, stammen jedoch aus Afghanistan und dem Irak. Gleichzeitig ist die Anzahl der Flüchtlinge aus Sri Lanka, dem Iran, Somalia, Kongo und Myanmar gestiegen. Derzeit sind in Malaysia knapp 100 000 Asylsuchende und Flüchtlinge beim UNHCR in Kuala Lumpur registriert. Das UNHCR in Indonesien verzeichnet offiziell lediglich 6 800 Asylsuchende und Flüchtlinge. Die Dunkelziffer dürfte jedoch doppelt bis dreifach so hoch sein. Wegen der geringen Chancen auf eine reguläre Umsiedlung in ein sicheres Drittland vermeiden viele sich registrieren zu lassen. Stattdessen hoffen sie auf Hilfe von indonesischen Schleusern, die sie für bis zu 10 000 US-Dollar pro Person nach Australien schmuggeln.

Bisher drohte den meisten Ankömmlingen eine mehrmonatige Internierung in australischen Flüchtlingsheimen. Wegen deren Überfüllung wurden aber in den vergangenen Monaten immer mehr Menschen entlassen, um mit Hilfe privater und staatlicher Träger schneller und billiger in­tegriert zu werden. Die Suche nach einer Lösung für den Umgang mit den Bootsflüchtlingen ist mittlerweile zum wichtigsten Wahlkampfthema geworden. Seit 2009 kamen mehr als 350 Boote mit etwa 20 500 Menschen an. Im Vergleich mit anderen Aufnahmeländern ist die Zahl der Bootsflüchtlinge ausgesprochen gering. Mehr als 1 000 Menschen sollen im vergangenen Jahrzehnt bei den gefährlichen Überfahrten ums Leben gekommen sein.
Im Gegensatz zu regulär umgesiedelten Flüchtlingen werden Bootsflüchtlinge meist als queue jumpers (Vordrängler) bezeichnet. Der konservative Oppositionsführer Tony Abbott äußerte unlängst, es sei ausgesprochen »unchristlich«, dass manche Asylsuchende durch die »Hintertür« nach Australien kämen. Deshalb sollten sie nicht darin bestärkt werden, sich »mit Hilfe von Schleusern vorzudrängeln«. Zum einen zeugt diese Scheindebatte über die »Vordrängler« von einer irrationalen Angst vor Bootsflüchtlingen. Anders als beispielsweise chinesische Asylsuchende, die mit dem Flugzeug ankommen, haben die meisten afghanischen oder irakischen Asylsuchenden keine Chance, überhaupt ein Touristenvisum nach Australien zu bekommen. Zum anderen ist die Debatte irreführend, denn angesichts der extrem geringen Aufnahmequoten anerkannter Flüchtlinge würde es derzeit theoretisch bis zu 190 Jahre dauern, von einem Drittland aufgenommen zu werden. Davon abgesehen existiert die imaginierte Warteschlange ohnehin nicht.
Um Bootsflüchtlinge von einer Überfahrt abzuschrecken, bestand die regierende Labor-Partei unter Gillard bereits voriges Jahr auf einem Abkommen mit Malaysia, dem zufolge 4 000 Bootsflüchtlinge aus Australien nach Malaysia abgeschoben und im Gegenzug 800 anerkannte Flüchtlinge aus Malaysia regulär aufgenommen werden sollten. Obwohl der Oberste Gerichtshof im August 2011 diesen Austausch untersagte, hielt die Regierung weiterhin an dem Plan fest. Für die gesetzliche Umsetzung fehlte ihr bisher jedoch die Zustimmung der Opposition. Diese befürwortete wiederum ein Abkommen mit dem Pazifikstaat Nauru als Abschiebedepot für Bootsflüchtlinge.
Weil kein Kompromiss gefunden werden konnte, beauftragte Gillard eine dreiköpfige unabhängige Kommission mit der Aufgabe, Empfehlungen auszuarbeiten, »wie Asylsuchende von den gefährlichen Bootsüberfahrten am besten abgehalten werden können«. Vorsitzender dieser Kommission war der ehemalige Oberkommandierende der Streitkräfte, Angus Houston, ihm zur Seite standen der ehemalige Sekretär für auswärtige Angelegenheiten, Michael L’Estrange, sowie Paris Aristotle, Direktor der Viktorianischen Stiftung für Folteropfer. Aristotles aufsehenerregender Bericht von 2005 über die psychischen Folgen der Langzeitinhaftierung für Flüchtlinge im Lager in Nauru blieb nicht ohne Wirkung. Wegen Selbstmordgefahr wurden damals Dutzende auf das Festland umgesiedelt und erhielten umgehend Asyl. Jetzt gehört er allerdings zu denjenigen, die genau diese menschenunwürdigen Lager wieder eröffnen wollen.

Darüber hinaus sollte die Kommission »kurz-, mittel- und langfristige Ansätze für die Entwicklung eines effektiven und nachhaltigen Umgangs mit Asylbewerbern, die gesetzlichen Anforderungen für deren Umsetzung sowie die Größenordnung der Kosten solcher politischer Optionen« ausarbeiten. Gerade die hohen Kosten für den Betrieb der überfüllten Asylbewerberheime, aber auch teure Gerichtsverfahren gegen Schmuggler hielt die Regierung gegenüber den Steuerzahlern kaum noch für vertretbar.
Nach etlichen Konsultationen mit NGOs, Flüchtlingsinitiativen und Migrationsexperten stellte die Kommission am 13. August ihre Ergebnisse vor. Alle 22 Empfehlungen wurden von der Regierung akzeptiert. Zu den wichtigsten zählen die Wiedereinführung des sogenannten Offshore-Processing in Nauru und Papua Neuguinea, wohin Asylsuchende während der Bearbeitung ihrer Asylanträge transferiert werden, die Unterbindung von Familienzusammenführung sowie die Bekämpfung des von Schleusern betriebenen Menschenschmuggels. Außerdem soll eine regionale Lösung gefunden werden. Vor allem Indonesien und Malaysia sollen mehr Pflichten gegenüber Asylsuchenden übernehmen. Doch beide Staaten haben die UN-Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet, ihre Regierungen lehnen die Übernahme zusätzlicher Verantwortung ab. In beiden Transitländern sind die Lebensbedingungen für Asylsuchende schlecht. Ohne gültige Papiere erhalten sie keine Arbeitsgenehmigung. Stattdessen drohen Festnahmen, Inhaftierung und finanzielle Ausbeutung. Die einzige annähernd positive Empfehlung ist die umgehende Erhöhung der jährlichen Aufnahmequote von bisher 13 500 auf 20 000 Flüchtlinge.

Aus diesem Grund hat die indonesische Regierung die Empfehlungen der Houston-Kommission begrüßt, hofft sie doch, damit einen Großteil der ungebetenen Gäste im eigenen Land loszuwerden. Insgesamt ähneln die 22 Empfehlungen erschreckend der »Pacific Solution«, die 2001 unter der konservativen Regierung von John Howard eingeführt worden war. Sie sah vor, dass bestimmte Außenposten aus der offiziellen australischen Migrationszone ausgliedert werden, beispielsweise die Cocos-Inseln und das Ashmore Riff. Flüchtlinge, die dort landeten, konnten kein Asyl in Australien beantragen. Darüber hinaus erhielt die australische Marine Befugnisse, Boote, auf denen sich potentielle Asylsuchende befanden, zur Umkehr nach Indonesien zu zwingen oder in angrenzende Drittländer zu verfrachten. Die Zahl der eintreffenden Bootsflüchtlinge ging schlagartig zurück. Asylsuchende, die das australische Festland dennoch erreichten, mussten teils mehrere Jahre in gefängnisähnlichen Asylheimen ausharren. Erst nach dem Regierungswechsel 2007 schaffte der damalige Ministerpräsident Kevin Rudd die Pacific Solution ab.
Welche Gesetzesmaßnahmen australische Politikerinnen und Politiker zur Migrationsabwehr auch ersinnen, es wird weiterhin Flüchtlinge geben, die auf den Schutz ihres Lebens und ihrer Rechte außerhalb ihrer Heimat angewiesen sind. Mit Blick auf die politischen Entwicklungen in Nahost und in anderen Krisengebieten Asiens ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Flüchtlinge in den kommenden Jahren sogar wächst.