Die neue tunesische Verfassung

On the road again

Die Attacken der tunesischen Salafisten häufen sich erneut. Nachdem sie einen französischen Regionalpolitiker fast lynchten, ist der internationale Skandal perfekt.

Kaum war die große säkulare Demonstration für Frauenrechte in Tunesien aus den Schlagzeilen verschwunden, kam die Antwort. »Wie durch Magie«, hieß es in der tunesischen Tageszeitung La Presse, tauchten die Salafisten wieder auf – auf dem Kriegspfad gegen alles, was sie als blasphemisch betrachten. In Menzel Bourguiba verhinderten sie einen Auftritt – ironischerweise mit dem Titel »100 % halal« – des Komikers Lotfi al-Abdelli, in Kairouan hinderten sie eine iranische Gruppe daran, Sufi-Gesänge vorzutragen.
Die spektakulärsten Attacken aber fanden in Bizerte statt. In dieser kleinen Hafenstadt überfielen etwa 200 Salafisten, Augenzeugen zufolge teils mit Säbeln und Knüppeln bewaffnet, das »al-Aqsa-Fest«. Dort wollte Samir Kuntar auftreten, ein ehemaliger terroristischer Killer der Palästinensischen Befreiungsfront, der fast 30 Jahre in israelischer Haft saß und bei dem al-Aqsa-Festival eine Jubelarie auf den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad anstimmen wollte, was den Salafisten nicht passte. Kurz danach wurde Jamel Gharbi, ein in Bizerte geborener französischer Regionalpolitiker, dort von etwa 50 Salafisten zusammengeschlagen, weil seine Frau und seine Tochter in deren Augen unzüchtig bekleidet waren. »Wäre ich zu Boden gegangen, hätten sie mich gelyncht«, sagte der schockierte 62jährige der französischen Tageszeitung Le Monde.
Dieser Vorfall sorgte für richtig schlechte Presse. Laurent Joffrin etwa, der Direktor des linksliberalen französischen Wochenmagazins Nouvel Observateur, kritisierte unter dem Titel »Der grüne Faschismus in der Offensive« die »Apathie der Polizei in Bizerte«, die nur die Apathie der gesamten, von der islamistischen Partei al-Nahda dominierten tunesischen Regierung spiegele. »Es sieht ganz so aus, als hätten sich al-Nahda und die Salafisten die Arbeit geteilt: für die erste die Konstruktion einer demokratischen Fassade in Tunesien; für die zweiten eine wüste Unterdrückung der Redefreiheit.« Die »arabischen Revolutionen« befänden sich nun in einer zweiten Phase: »Nachdem die Demokraten über korrumpierte und blutige Tyrannen triumphiert haben, müssen sie sich von nun an der obskurantistischen Reaktion der Gottesirren (fous d’Allah) entgegenstellen, die sich mit Knüppeln auf der Straße ausbreiten oder als Gewählte des Volkes verkleiden.«
Aber die »obskurantistische Offensive« trifft keineswegs nur die Demokraten. Im ökonomisch vernachlässigten Landesinnern, wo die Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch ist, eskalierten in den vergangenen Wochen die sozialen Konflikte. Unruhen in Sfax und Sbeitla, Protestdemonstrationen in Kasserine. In Sidi Bouzid, wo der Aufstand gegen Ben Ali begonnen hatte, kam es zu einem regionalen Generalstreik. Dort versuchten Salafisten kürzlich Einwohnern zufolge, einen Betrunkenen zu entführen, um ihn »nach den Regeln der Sharia zu bestrafen«, berichtete AFP. Tags darauf schlugen demnach Jugendliche drei Salafisten zusammen. In einer nächtlichen Strafexpedition überfielen daraufhin nach Angaben von Polizei und Einwohnern einige Hundert Salafisten, die mit Autos gekommen seien, ein Viertel der Stadt. Stundenlange Straßenschlachten waren die Folge, ohne dass die Polizei intervenierte. »Um die Situation nicht zu verschlimmern«, zitierte AFP eine Polizeiquelle.