Mikroklima

Ihre größten Triumphe feiert die Reklame bei der Beherrschung des Wassers. Das Bild der Massen davon, wie und wann sie ihrem Körper Flüssigkeit zuzuführen haben, hat sich innerhalb weniger Jahre komplett verändert, allein durch die Kraft werberischer Suggestion. Ungeachtet des Spotts der Mediziner hat sich die Auffassung, der Körper sei eine Art Moos, das permanenter Bewässerung bedürfe, mittlerweile durchgesetzt, zum Gaudium der Getränkehersteller. Nun nuckeln und zutzeln sie überall an ihren kindisch kleinen Wasserflaschen; permanent strudeln ganze Ozeane durch ihre wunden Nieren. Und es darf nicht jedes Wasser sein! Mikrogrammgenau werden die Mineralstoffe abgerechnet: Trinken sie statt Volvic mal ein Glas Leitungswasser, spüren sie schon, wie sich in ihren Adern mächtige Kalkplatten ablagern, wie in ihren Organen die Salzwüste wächst. Ununterbrochen rennen sie aufs Klo, die physiologisch sinnlose Feuchtigkeit auszuspülen, und verschwenden dabei mehr Trinkwasser als so mancher der Agrarkonzerne, deren Treiben sie mit gutem Recht schmähen. Der Körper wird als Reisplantage imaginiert, deren Irrigation minütlich kontrolliert werden muss. Die ohnehin in einem Zustand künstlicher Hypochondrie gehaltenen Konsumenten verhalten sich wie sonst nur Diabetes- und andere Stoffwechselkranke: Die Industrie hat die Medikalisierung des Trinkens vollendet. Ein Unidozent erzählt gerne, wie er von einem Seminar fast gelyncht wurde, als er die stetig saugende Studentenschar einmal darum bat, die Wasseraufnahme doch in die Pause zu verlegen. Ebenso hätte er ihnen vorschlagen können, sich die Beinarterien abzubinden. Denn Wasser ist ein Menschenrecht. Und Irrsinn ist es auch.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.