Japan und China streiten um eine unbewohnte Inselgruppe

Kein Sprit für Nissans

Der Streit zwischen der chinesischen und der japanischen Regierung um die unbewohnten Diaoyun-Inseln hat in China heftige Proteste ausgelöst. In mehr als 100 Städten kam es zu antijapanischen Demonstrationen.

»Erklärt Japan den Krieg, begleicht alte und neue Rechnungen zusammen«, fordert ein Banner. Andere Transparente der Demonstranten appellieren, das chinesische Staatsgebiet zu verteidigen oder japanische Waren zu boykottieren. In den Städten Xi’an und Qingdao wurden japanische Kaufhäuser geplündert. In vielen Städten brannten japanische Autos, Restaurants blieben geschlossen. In Peking zogen vorige Woche Tausende Demonstranten vor die japanische Botschaft und wurden von der Polizei nicht daran gehindert, Flaschen und Eier zu werfen. Die japanischen Firmen Honda, Nissan und Canon ließen aus Sicherheitsgründen zeitweilig Fabriken schließen. Betroffen von den Protesten sind auch Chinesen, die japanische Marken kaufen. In Hunan verbot die Provinzregierung zwischen dem 17. und 19. September allen Fahrern von Autos japanischer Marken, die Straßen zu benutzen, damit sie die Sicherheit nicht gefährdeten. In 28 Städten sollen sich Tankwarte geweigert haben, Fahrer japanischer Autos zu bedienen.

Der Grund für die nationale Empörung ist die Ankündigung der japanischen Regierung vom 10. September, Teile der Diaoyu-Inseln von einem privaten Unternehmer zu kaufen und damit zu nationalisieren. Die unbewohnten Inseln liegen ca. 200 Kilometer von Taiwan und 300 Kilometer von Okinawa entfernt. Japan annektierte sie im Zuge seiner kolonialen Expansion 1895 und nannte sie Senkaku. Der chinesischen Regierung zufolge waren die Inseln bereits seit der Antike Teil des eigenen Reichs und wurden von chinesischen Fischern benutzt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs verlor Japan sein Kolonialreich. Die Inseln fielen unter US-Besatzung, bis der US-Senat 1972 die Kontrolle an Japan übergab. Die Volksrepublik und die Republik China auf Taiwan haben diesen Schritt jedoch nie anerkannt und erheben eigene Souveränitätsansprüche. Als 1972 Japan und die Volksrepublik diplomatische Beziehungen aufnahmen, einigten sich beide Seiten, das Problem zu vertagen. Bis 2012 waren die unbewohnten Inseln nicht wichtig genug, um eine schwere diplomatische Krise zu riskieren.
Es ist davon auszugehen, dass sowohl die japanische als auch die chinesische Regierung von der Heftigkeit des »Volkszorns« auf den Straßen des Reichs der Mitte überrascht wurden. Die chinesische Regierung muss jetzt selbst eine harte Haltung gegenüber Japan einnehmen, wenn sie von den Nationalisten im eigenen Land nicht als nachgiebig angesehen werden will. Die Polizei ließ die Demonstranten fast zehn Tage gewähren und räumte die Straßen nicht mit Gewalt, wie sie es bei einem lokalen Bauernaufstand getan hätte. Die offiziellen Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der chinesisch-japanischen Annäherung sind gerade verschoben worden.
Die Proteste fielen auch mit dem Jahrestag des »Zwischenfalls vom 18. September« zusammen, den jedes chinesische Schulkind als »Tag der nationalen Demütigung« kennt. Am 18. September 1931 wurde die japanische Besatzung des Nordosten Chinas, der Mandschurei oder Dongbei, eingeleitet. Bis 1945 blieb die Mandschurei ein Marionettenstaat des japanischen Reichs. Die Lehre, die viele Chinesen daraus gezogen haben, ist, nie wieder auch nur einen Zentimeter des eigenen Staatsgebietes abzugeben. Dass diese historischen Ereignisse bis heute noch so viel Wut verursachen, liegt zum einen daran, dass sich keine japanische Regierung jemals in einer Form für die Kriegsverbrechen entschuldigte, die von den Opfern anerkannt wurde. Die Alliierten stellten zwar zwischen 1946 und 1948 in Tokio einige japanische Offiziere wegen Verbrechen gegen die Menschheit vor ein Tribunal. Von einem japanischen Gericht wurde jedoch nie ein japanischer Staatsbürger wegen Kriegsverbrechen verurteilt.
Zum anderen nutzt die chinesische Regierung die japanischen Kriegsverbrechen seit den achtziger Jahren für »patriotische Erziehung«. Jedes Schulkind lernt, dass die japanische Armee 1937 bei der Besetzung Nanjings 300 000 Zivilisten abschlachtete und die »Einheit 731« chemische Waffen an gefangenen Zivilisten testete. Im Staatsfernsehen kann man fast zu jeder Tageszeit Dokumentarfilme und Serien sehen, in dem japanische Soldaten töten, rauben oder vergewaltigen. »Ist China schwach, kann das wieder passieren«, wird dadurch suggeriert.

Bei den Protesten der vergangenen Wochen führten Demonstranten auffällig oft Porträts von Mao Zedong mit. Mao soll als Symbol nationaler Stärke dienen. Dabei wurden in der Geschichtsschreibung der Mao-Ära die Leiden der Bürger bagatellisiert, es wurde vielmehr der großartige Sieg der chinesischen Bevölkerung im Widerstandskrieg betont. Dass die Abwürfe der US-amerikanischen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 die Kapitulation des japanischen Kaiserreichs bewirkten und nicht Maos Guerilla, wird bis heute verschwiegen. Unaufgearbeitet bleibt auch die Tatsache, dass nicht alle Chinesen heldenhaft kämpften, sondern Teile der Gesellschaft mit den japanischen Besatzern kollaborierten.
So kommen auch in den heutigen Protesten innerchinesische Konflikte zum Ausdruck. Schließlich sind in erster Linie chinesische Geschäftsleute, die Filialen japanischer Ketten betreiben, sowie die Käufer japanischer Waren Leidtragende der Zerstörungen. Die Tennisspielerin Li Na, ein Star in China, wird im Internet als »Landesverräterin« (hanjian) angegriffen, da sie ihre Teilnahme an einem Turnier in Japan diese Woche nicht abgesagt hat. Hanjian heißt wörtlich übersetzt: die Han(-Chinesen) verraten und mit dem Feind illegitimen Sex haben.
Bei so vielen Konflikten ist es nicht verwunderlich, dass die chinesische Regierung vorerst den Protesten ein Ende gesetzt hat. Zwar ist der Nationalismus willkommen, um die die Wut der Massen zu kanalisieren. Ein Handelskrieg oder sogar ein militärischer Konflikt mit Japan, Chinas drittgrößtem Handelspartner, hätte jedoch auch für die Volksrepublik unabsehbare Folgen.