Was kümmert mich der ASE

Wir sind die Griechen von morgen

Viele Griechinnen und Griechen betrachten sich derzeit als Versuchskaninchen in einem gigantischen Experiment. Wie weit kann man gehen, bis die Bevölkerung ausrastet? Die Einkommensverluste für jene, die noch einen Job haben, dürften mittlerweile 40 bis 50 Prozent erreicht haben. Denn es wurden nicht nur Löhne und Gehälter gekürzt, sondern auch viele Steuern und Abgaben erhöht. Die weitgehend von den beiden traditionellen Regierungsparteien Pasok und Nea Dimokratia kontrollierten Medien versuchen sich derweil im Motivationstraining: Durchhalten, bald wird alles besser.
Dafür aber spricht nichts. Die griechischen Koalitionsparteien streiten derzeit darüber, bei welchen Haushaltsposten gespart werden soll, um die von den Gläubigern geforderte Summe von 11,5 Milliarden Euro aufzubringen. Dass einmal mehr Lohnabhängige und Rentner betroffen sein werden, ist jedoch sicher. Ebenso sicher ist, dass auch diese Maßnahme nicht ausreichen wird, um die Bezahlung der Staatsschulden zu gewährleisten. Der nicht für seine Generosität bekannte Internationale Währungsfonds deutet nun an, dass Griechenland mehr Zeit gewährt werden müsse, um die Auflagen zu erfüllen, doch beklagt dessen Direktorin Christine Lagarde auch die nachlassende »Energie bei der Durchsetzung der Reformen«. Jede dieser Reformen führt Griechenland tiefer in die Rezession. Die Kaufkraft sinkt weiter, somit sinken auch die Staatseinnahmen. Werden Staatsbetriebe verkauft, erhält die Regierung einen dürftigen Erlös, der an die Gläubiger fließt, während die Gewinne dauerhaft wegfallen. Nun sollen zahleiche Hochschulfakultäten geschlossen werden, auch dies dürfte der Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands kaum dienlich sein.
Angesichts der offensichtlichen Irrationalität dieser Politik liegt es nahe, an eine Verschwörung zu glauben. Doch selbst der einzige Vorschlag, der einem Plan nahe kommt, nämlich aus Griechenland eine Sonderwirtschaftszone zu machen und so Investoren anzuziehen, ist nicht durchdacht. Denn es gibt rund ums Mittelmeer genügend Staaten, in denen noch billiger produziert werden kann. Eine Strategie steht hinter der Griechenland-Politik nicht, vielmehr wird hektisch und dilettantisch improvisiert. Das macht die Sache nicht besser, denn da die Klassenkämpfe in Europa noch nicht ein Niveau erreicht haben, das Rücksichtnahme erzwingt, bestimmen kurzfristige Kapitalinteressen die Politik. Mit dem Fiskalpakt erhält die Sparpolitik in der Euro-Zone Verfassungsrang. Da zudem der Vertrag von Lissabon, der unter anderem die »unternehmerische Freiheit« zum Menschenrecht erklärt, eine kapitalfreundliche Politik festschreibt, wird die Verbesserung der Lebensverhältnisse auf legalem Weg praktisch unmöglich. Griechische Verhältnisse drohen, da sich die Krise weiter verschärfen wird, allen Europäern.