Wie Steinbrück die Banken »zähmen« will

Und noch ein Genosse der Bosse

Peer Steinbrücks Vorschläge zur »Banken-Zähmung« sind viel harmloser, als es den Anschein hat, und spiegeln den Konsens unter den deutschen Parteien wider.

Vor sozialdemokratischen Offensiven Angst zu haben, zeugt von historischem Gedächtnis. Man muss nicht in die Zeit der Zustimmung zu Kriegskrediten oder der Zerschlagung der Novemberrevolution von 1918 zurückgehen, auch nicht zu den Berufsverboten unter der Kanzlerschaft Willy Brandts oder den Notstandsgesetzen unter Helmut Schmidt. Die Erfahrungen der vergangenen anderthalb Jahrzehnte sollten den meisten Zeitgenossen gereicht haben. Die sozialdemokratische Politik ist durchaus kohärent: Von den Arbeitsmarktreformen der Hartz-Gesetze über die Deregulierungen des Finanzsektors bis hin zu den Rentenkürzungen, der Rente mit 67 und dem Ende der paritätischen Einzahlungen in die Sozialversicherungssysteme, den Leistungskürzungen bei den gesetzlichen Krankenkassen und der kaum verheimlichten Fortführung der Großen Koalition aus der Opposition heraus beim Umgang mit der Euro-Krise samt der Sozialisierung der Verluste der Finanzindustrie stehts geht es vor allem um die Entwicklung des Standortes. Die reak­tionäre Lohnpolitik zum nationalen Wohl wurde zum Kennzeichen der SPD.

Immerhin verschont die Partei die Menschen seitdem weitgehend mit der früher üblichen Rhetorik. Allenfalls im Wahlkampf muss gelegentlich neben den Nachweisen der Zuverlässigkeit für das deutsche Kapital auch ein wenig Engagement für »die kleinen Leute« her. In der jüngeren Vergangenheit fiel diese Aufgabe zumeist dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel zu. Dank der Wahl von Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten dürfte sich solches Geschwätz im Bundestagswahlkampf kommendes Jahr aber in Grenzen halten. Bei seinem ersten Auftritt an der Spitze des Wahlkampfteams auf dem Landesparteitag seiner Partei in Nordrhein-Westfalen am Wochenende standen denn auch die »andauernde Zerstrittenheit der derzeitigen Regierung« und das »atemlose Krisenmanagement mit sehr vielen Wolken, sehr vielen Positionswechseln« im Zentrum seiner Kritik. Auch bei der Wahl des Vorbilds blieb sich Steinbrück treu. Wie weiland Gerhard Schröder wolle er mit aller Kraft in den Wahlkampf für eine rot-grüne Mehrheit ziehen.
Um ein bisschen Beschwörung der Tradition kommt aber auch Steinbrück nicht herum. Neben der ständigen Betonung, dass »wirtschaftliche Kompetenz, soziale Gerechtigkeit und ökologische Vernunft« wieder verbunden werden müssten, wie es in der Presseerklärung zur Nominierung des Kanzlerkandidaten durch den SPD-Bundesvorstand heißt, ist es sicherlich kein Zufall, dass Steinbrücks Ausrufung zum Kanzlerkandidaten direkt nach der Vorlage seines Konzeptes zur »Bändigung der Finanzmärkte« vorgenommen wurde.

Kern des Papiers des ehemaligen Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens und Finanzministers der Großen Koalition ist die Forderung nach der Gründung eines europäischen Bankenrettungsfonds, der durch Einlagen der Banken in Höhe von 200 Milliarden Euro von ihnen selbst weitgehend finanziert werden soll. Die Bankenabgabe der Bundesregierung von 590 Millionen Euro aus dem Jahr 2011 hält Steinbrück angesichts der »Rekordgewinne der Banken« für viel zu niedrig. Zweiter wichtiger Punkt soll die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken sein, um das Übergreifen von Verlusten aus Investmentgeschäften auf den Rest einer Bank zu verhindern. Außerdem sollen »Maß und Mitte bei den Anreizstrukturen«, also der Bezahlung und vor allem Bonuszahlungen bei den Finanzinstituten, durch verschiedene Regelungen wieder »ins Lot gebracht« und ungedeckte Leerverkäufe, Kreditderivate und der Hochfrequenzhandel eingeschränkt beziehungsweise gänzlich verboten werden. Schließlich will Steinbrück noch die »unheimliche Macht« der Rating-Agenturen begrenzen, indem diese entweder durch den Weltwährungsfonds IWF oder die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) überwacht und in »am Gemeinwohl aus­gerichtete Stiftungen« überführt werden. Um die Macht der großen drei US-Rating-Agenturen zu brechen, regt er die Gründung eines europäischen Instituts an.
Von einem »Angriff auf die Deutsche Bank« (Die Zeit) als einzigem deutschen Global Player im Investmentgeschäft oder einer »Frontalstellung gegen die Finanzbranche« (Süddeutsche Zeitung) kann aber keinesfalls die Rede sein, auch wenn mancher sozialdemokratische Genosse dies gerne hätte. Denn im Prinzip sind alle Vorschläge fast schon Konsens in der gegenwärtigen Politik. Der europäische Bankenrettungsfonds war zuletzt vom EU-Binnenmarktskommissar Michel Barnier in die Diskussion gebracht worden und bezüglich des Trennbankensystems hatte bereits im Juli Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) seine Offenheit für Gesetze im europäischen Rahmen genauso wie bei den Boni-Begrenzungen signalisiert. Leerverkäufe und Kreditderivate sind in Hinsicht auf den Handel mit Staatsanleihen in Deutschland bereits seit 2010 verboten, die Ausdehnung auf die Privatwirtschaft wird bis hinein in die FDP seitdem diskutiert. Und: Eine von der Unternehmensberatung Roland Berger initiierte europäische Rating-Agentur wird aller Voraussicht nach dank großer Unterstützung von EU-Kommission und Bundesregierung ihre Arbeit im kommenden Jahr aufnehmen.

So bleibt Steinbrücks großer Wurf, die »marktkonforme Demokratie in einen demokratiekonformen Markt« umzuwandeln, ein weitgehend konsensualer Appell, »Haftung und Risiko« wieder zusammenfinden zu lassen und »konstitutive Prinzipien der Marktwirtschaft« wieder zu ihrem Recht zu verhelfen, wie es im Papier heißt. Dementsprechend blieben die pflichtschuldigen Proteste der Finanzbranche auch weitgehend freundlich. Josef Ackermann meinte in Günter Jauchs Talkshow gar, dass die SPD mit Peer Steinbrück den bestmöglichen Kandidaten gefunden habe. Eventuell spielte dabei auch die Erinnerung an Steinbrücks früheres Wirken eine Rolle. 2001 hatte der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident zusammen mit dem bayrischen Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) ein Abkommen mit dem damaligen EU-Kommissar Mario Monti ausgehandelt, das es den Landesbanken entgegen den Bestimmungen der EU-Kommission ermöglichte, staatlich garantierte Schuldtitel auszugeben, die dann später mit Steuergeld abgegolten werden mussten. Und im September 2008 handelten der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Ackermann, und Steinbrück als Finanzminister der Großen Koalition die Stützung der Hypo Real Estate mit öffentlichen Mitteln als Präzedenzfall der Bankenrettungen im direkten Kontakt miteinander aus.
Explizites Lob erhält der sozialdemokratische Kanzlerkandidat aus der deutschen Industrie. Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), meinte, Steinbrücks Vorschläge könnten »Teil einer Strategie sein, die Finanzmärkte sicherer zu machen« und die Versorgung der Privatwirtschaft mit Krediten zu erleichtern. Und: Weil Steinbrück sein Konzept im europäischen Maßstab durchgesetzt sehen will, könnte Deutschland mit seinem schwachen Finanzgewerbe die Risiken von Zahlungen oder Bürgschaften für die ausländischen Finanzinstitute und damit die Transfers in den europäischen Raum minimieren. Die weitgehende Einigkeit über die Parteigrenzen hinweg hat ihre Basis eben letztlich in dem deutschen Exportmodell, das die Bundespolitik in Europa durchsetzt. Immerhin, so wird man sich im Willy-Brandt-Haus denken, ist mit Peer Steinbrücks Intervention die SPD strategisch erstmaligs seit längerer Zeit wieder Avantgarde der Standortpolitik, anstatt den Christdemokraten wie zuletzt bei den fast gleichlautenden Rentenkonzepten nur zustimmend hinterherzuhecheln. Dass man sich am Ende trotz aller gegenteiligen Versicherungen dann zu einer gemeinsamen Koalition zusammenfinden dürfte, wird auch Steinbrück schon wissen.