Art Spiegelmans »Metamaus«

Wie Koffer packen

In seinem Buch »Metamaus« und einer großen Retrospektive gibt Art Spiegelman Einblicke in seine Arbeitsweise und die Entstehung seines berühmten Comic über die Shoa.

Aus schlimmer politischer oder wirtschaftlicher Lage rettet uns angeblich ihr Gesang, nichts weniger als das bringt er zuwege, und wenn er das Unglück nicht vertreibt, so gibt er uns wenigstens die Kraft, es zu ertragen«, schreibt Franz Kafka in seiner Erzählung »Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse«. Nach Einflüssen auf seinen berühmten Comic gefragt, hebt Art Spiegelman neben der NS-Propaganda vom »Juden als Ungeziefer« die Kafka-Lektüre seiner Jugend hervor und sagt, gerade die »Josefine«-Erzählung sei für ihn immer eine Parabel über die Situation der Juden gewesen. Auch Félix Guattari und Gilles Deleuze erkennen in ihren Reflexionen zu den Tieren, die Kafkas Werk bevölkern, einen Zusammenhang mit dem Judentum, wenn sie in ihnen die Suche nach einem Ausweg sehen, eine Flucht vor Identitätszuschreibungen, etwa der Identität »des Juden«. In der Verwandlung, dem Tier-Werden, gehe es darum, solche gesellschaftlichen Zuschreibungen zu reflektieren, Festgeschriebenes zu überwinden und Identität in der Schwebe zu halten.
Um die Unterminierung eindeutiger Zuschreibungen geht es auch in der soeben im Kölner Museum Ludwig eröffneten Ausstellung von Arbeiten des 1948 geborenen Spiegelman. Die Ausstellung mit dem Titel »Co-Mix. Eine Retrospektive von Comix, Zeichnungen und übrigem Gekritzel«, die er gemeinsam mit der Galeristin Rina Zavagli-Mattotti für das diesjährige Comicfestival in Angoulême konzipiert hat, wird nun, nach einer Zwischenstation im Centre Pompidou, in einer kleineren Ausführung in Köln gezeigt. Wie auch in seinen Comics erzeugt Spiegelman solche Verwirrung von Identitäten nicht mit großen Gesten oder Worten, sondern durch subtile Hinweise, die es in der Werkschau erst zu entdecken gilt. So werden etwa in einer Vitrine mit Fotos, Lithographien und Notizen zu Spiegelmans Hauptwerk »Maus« zwei ausgestopfte oder zumindest der Natur nachempfundene Mäuse gezeigt. Diese Exponate erinnern den Betrachter daran, dass die Tierfiguren im Comic nicht einfach Tiere repräsentieren, sondern Figuren mit Tiermasken sind, die auf ein »Dahinter« verweisen, ein Dahinter, das aber mehrdeutig bleibt.
Als »Maus« ab 1981 kapitelweise in dem von Spiegelman und seiner Frau Françoise Mouly herausgegebenen Comic-Magazin RAW erschien, gab es Diskussionen darüber, ob die Darstellung von Juden als Mäusen und Deutschen als Katzen nicht problematisch sei, da auf diese Weise ein gleichsam natürlicher Vorgang – Katzen jagen Mäuse, wofür sie nichts können, da es ihrer Natur entspricht – auf die Shoa übertragen und sie auf diese Weise verharmlost werde. Der Einwand wäre berechtigt, wären die Mäuse im Comic tatsächlich Mäuse und die Katzen tatsächlich Katzen. Dass sich der Tierkosmos von Spiegelman wesentlich komplexer gestaltet, veranschaulichen die beiden Exponate in der Vitrine, ebenso wie die »realen« Mäuse oder Katzen, die im Comic auftauchen. In »Maus« werden die Tieridentitäten als Masken vorgeführt, die ­jedoch von den Protagonisten nicht selbständig an- und abgelegt werden können, immer wieder werden sie als Juden erkannt und benannt. Auch Spiegelman, der sich im Comic selber zeichnet und als Erzähler der Geschichte seines Vaters über die Masken reflektiert, kann diese zwar benennen, nicht jedoch ablegen. Der Zuschreibung kann er sich nicht entziehen. Spiegelman hat in Interviews immer wieder auf Jean-Paul Sartres Diktum hingewiesen, ein Juden sei jemand, den andere als Juden definierten, dem die Souveränität, die eigene Identität zu bestimmen, entzogen worden sei.
Im Vorwort des gerade auf Deutsch erschienenen Buches »Metamaus« schildert Spiegelman seine Intention: »Es ist toll, Anerkennung zu finden … aber schwer, hinter einer Mausmaske gesehen zu werden! Das Buch scheint über mir zu ragen, wie einst mein Vater. Journalisten und Studenten haben noch immer die gleichen Fragen: Warum Comics? Warum Mäuse? Warum der Holocaust? Ich dachte, ich antworte endlich möglichst ausführlich. Vielleicht bekomme ich sogar die verdammte Maske ab! In dem Ding kann ich kaum atmen.« Wenn er sich die Maske vom Kopf reiße, komme dahinter jedoch immer nur ein Totenschädel zum Vorschein, schreibt Spiegelman. Selbst die über mehrere Jahre geführten und fast 250 Buchseiten füllenden Gespräche mit der Literaturwissenschaftlerin Hil­lary Chute, die sich mit der Entstehungsgeschichte und Rezeption von »Maus« sowie der Grammatik des Comic beschäftigen, lassen ihn nicht mit dem Thema abschließen, sondern führen lediglich dazu, dass er weitere Facetten entdeckt.
In den Gesprächen beschreibt Spiegelman, wie er im Laufe der Jahre immer wieder »enteignet« worden sei: Mal gab es in Polen Proteste gegen die Darstellung von Polen als Schweine, mal Zensurdebatten wegen des Hakenkreuzes auf dem Cover. Holocaust-Leugner wollten sich den Comic zueigen machen, da die Figur des Vaters Wladek mit ihren Erinnerungen manchmal »falsch liegt«. Das Buch und die Ausstellung unternehmen den Versuch, diesen Enteignungen und Zuschreibungen eine Deutungshoheit über das eigene Werk entgegenzusetzen. Und in der Tat ist es Ziel der Kölner Ausstellung, Zusammenhänge aufzuzeigen, Kontexte zu erläutern und den Entstehungsprozess der wichtigsten Werke Spiegelmans nachvollziehbar zu machen. Die Ausstellung gebe ihm die Möglichkeit, den Prozess sichtbar zu machen, wie aus einem Gedanken Bilder werden. Ansonsten aber sei für das Comicgenre das massenhaft gedruckte Buch wichtig und nicht die feinen Striche des Originals. Als seinen »Teufelspakt mit der Kultur« bezeichnet Spiegelman den Entschluss, im Museum auszustellen.
Obwohl Spiegelman im Gespräch mit Chute leicht resigniert beschreibt, wie er nach dem Erfolg von »Maus« 20 Jahre damit verbrachte, sich »unter dieser Leistung wieder hervorzuarbeiten«, steht auch in der Kölner Ausstellung dieser vielleicht einflussreichste Comic der vergangenen 30 Jahre im Mittelpunkt. Allerdings ist die Retrospektive so angelegt, dass dem »Maus« vorbehaltenen Raum ein nicht immer ganz chronologisch angelegter Weg durch Spiegelmans Werk vorausgeht, von den Anfängen in der Underground-Comicszene im San Francisco der frühen siebziger Jahre bis zu den mit dem Medium Comic experimentierenden Arbeiten aus dem Magazin RAW. Auch seine beiden nach »Maus« entstandenen Werke, »Im Schatten keiner Türme« und das autobiographische »Breakdowns – Porträt des Künstlers als junger %@*!«, werden in den Räumen vor dem »Mausoleum« präsentiert, was durchaus sinnvoll ist, da bestimmte Motive dieser Arbeiten auch in »Maus« vorkommen.
Den Auftakt bilden Auftragsarbeiten für den Kaugummi-Produzenten Topps. Spiegelman hatte in dem Unternehmen 1966 einen Ferienjob angenommen, woraus ein 23 Jahre währendes Arbeitsverhältnis entstand. Der Job als Auftragszeichner garantierte ihm finanzielle Sicherheit, so dass er an seinen Comics arbeiten konnte, und bot ihm, nachdem er zum Kreativberater aufgestiegen war, gleichzeitig die Freiheit, eigene Produkte, etwa Sammelkarten und Klebebildchen, zu entwerfen und zu illustrieren, die, wie die Schautafeln neben den ausgestellten Beispielen erläutern, »der Konsumgesellschaft mit ihren üblichen faden Spielzeugen einen spöttischen Spiegel« vorhalten. Der Zeichner beschreibt diese Arbeit als eine Auseinandersetzung mit der prägendsten Lektüre seiner Kindheit, dem Comic-Magazin Mad. Parallel zu diesem Brotjob begann Spiegelman erste Comics zu zeichnen und provozierte bereits während seiner College-Zeit einen Skandal: Als Herausgeber des Studenten-Magazins Mother zeichnete er einen Comicstrip, in dem Hitler Polenwitze erzählt, woraufhin sich mehrere Druckereien weigerten, die Ausgabe zu drucken. Dass Hitler, der den Comic als »jüdisches Medium« verabscheute, der Lächerlichkeit preisgegeben wurde, galt damals als nicht tolerabel (obwohl es bereits in den Dreißigern einen pornographischen Comic um Adolf Hitler mit dem Titel »You Nazi Man« gab – eine der ersten Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus in der Popkultur, mit der sich Spiegelman später auch beschäftigt hat).
Mit anderen seit den späten Sechzigern entstandenen Comics eckte er ebenfalls an, wenn auch aus anderen Gründen. Viele seiner Comics behandeln für die Underground-Szene typische Themen wie Drogen, die sexuelle Befreiung und üben Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Während viele seiner Kollegen in San Francisco, wo Spiegelman in der ersten Hälfte der Siebziger lebte, diese Motive immer wieder variieren, ist Spiegelmans Werk schon zu dieser Zeit von Düsternis und Selbstzerfleischung geprägt, wie sich etwa im 1973 entstandenen und später in »Maus« wieder abgedruckten Comic »Gefangener auf dem Höllenplaneten« über den Selbstmord seiner Mutter zeigt. Im Comic »Maus« haben die Seiten, auf den die Geschichte abgedruckt ist, einen schwarzen Trauerrand. Françoise Mouly beschreibt diese Dimension der Arbeit Spiegelmans in einem in »Me­tamaus« enthaltenen Beitrag folgendermaßen: »Wie brachte Art es fertig, öffentlich zu sagen, wie er sich fühlte, statt Empfindungen vorzuspielen, die von ihm erwartet wurden? Die Welt vermittelte ihm: ›Fühl dich schuldig!‹ Woher nahm er die Kraft, diesen Druck anzuerkennen und doch zu sagen: ›Und was ist mit mir?‹« Die Kraft schöpfte er womöglich aus dem Wissen, mit dem Comic ein Medium gefunden zu haben, das den 1972 begonnenen Gesprächen mit seinem Vater über dessen Überleben eine Form gab, in der vieles »ungesagt bleiben kann, ohne dass die Klarheit darunter leidet«.
Für »Maus« ist auch die Beschäftigung Spiegelmans mit der Geschichte des eigenen Mediums wichtig, was sich in in seinen Arbeiten der siebziger Jahre zeigt. Aber auch in zahlreichen Essays fragt er nach den Möglichkeiten, sich im Comic der Shoa anzunähern. In »Metamaus« betont er, welche Bedeutung Bernard Krigsteins Comic »Master Race« (1955) für sein Werk hat. Der Comic, der in Deutschland unter dem missglückten Titel »Meisterrasse« veröffentlicht wurde, erzählt von einem ehemaligen KZ-Insassen, der nach dem Krieg in einem New Yorker U-Bahn seinen ehemaligen Folterer wiedererkennt.
Während der Strip »Es war komisch, als Jude an Jom Kippur in Rostock zu sein … « von 1992 Spiegelmans Unbehagen während eines Besuchs der Stadt kurz nach den Brandanschlägen beschreibt, sind die zwischen 1980 bis 1988 in dem Magazin RAW erschienen Comics von der Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Mediums Comic geprägt. In RAW erscheint ab der zweiten Ausgabe »Maus«, worin er den Ratschlag seines Vaters, das wichtigste im Leben sei es, Koffer effektiv zu packen, da man nie wisse, wann man fliehen muss, auf den Comic übertragen hat, wie er im Gespräch in Köln erläutert. Betritt man den Raum, in dem »Maus« präsentiert wird, fühlt man sich zunächst erschlagen von der Masse des Materials. Während der zweite Band von »Maus« Seite für Seite nebeneinander präsentiert ist (allerdings nicht die Originale, sondern lediglich Faksimiles der Originalzeichnungen, die Spiegelman nicht aus der Hand gibt), zusammen mit diversen Vorstudien, Skizzen und Querverweisen (die ebenso wie die kompletten Tonbandaufzeichnungen der Interviews mit Wladek Spiegelman, die Basis von »Maus«, auf einer »Metamaus« beiliegenden DVD zu finden sind), was den von Spiegelman gewünschten Prozess, einen Gedanken zu finden, illus­triert, nimmt der erste Band von »Maus« eine komplette Wand ein, so dass die Narration nicht nachvollziehbar ist, da die Wand mehrere Meter hoch und fast bis oben behängt ist. Dies mag einem Platzproblem geschuldet sein, stellt jedoch eine fatale Entscheidung in einer ansonsten hervorragenden Ausstellung dar: Während in »Maus« die Reduktion das entscheidende Mittel ist, um die Geschichte des Überlebens zu erzählen, wird der Betrachter hier förmlich erschlagen. Dies ist umso problematischer, als der erste Band von »Maus« die Vor­geschichte erzählt: die sich zuziehende Schlinge für die polnischen Juden von Mitte der Dreißiger bis zu jenem Moment, da Wladek und seine Frau Anja nach Auschwitz deportiert werden. Diese Form der Präsentation stellt das Wunder ihres Überlebens heraus und nicht den Aspekt des deutschen Antisemitismus, der in Polen auf fruchtbaren Boden fiel und den Spiegelman immer wieder in seinen Arbeiten aufgreift.
So kommt Spiegelman im Gespräch in Köln schließlich auf die von ihm auch publizistisch kommentierte Debatte um die dänischen Mohammed-Karikaturen zu sprechen. In einem Artikel im Harper’s Magazine hatte er alle 12 Mohammed-Karikaturen einer Einzelkritik unterzogen. In Köln erklärte er, unabhängig davon, dass er die dänischen Karikaturen zwar inhaltlich zum Teil bedenklich finde, habe sich die Si­tuation durch die Gewalttätigkeiten gewandelt. Er sei dadurch zum bedingungslosen Verteidiger der Karikaturen und des »Rechtes auf Beleidigung« geworden.
Einer seiner bittersten und zugleich besten Cartoons ist im Kölner Museum Ludwig leider nicht zu sehen: seine Reaktion auf den antisemitischen Internationalen Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb im Iran im Jahr 2006, den die Teheraner Zeitung Hamshahri als Antwort auf die dänischen Mohammed-Karikaturen initiiert hatte. Sie zeigt einen KZ-Häftling, der neben Leichenbergen in einer Reihe von Menschen steht, die zur Gaskammer geführt werden, und sich vor Lachen krümmt: »Ha! Ha! Ha! What’s really hilarious is that none of this is actually happening!«

Art Spiegelman: Metamaus. S. Fischer, Frankfurt 2012, 302 Seiten, 34 Euro
Co-Mix. Eine Retrospektive von Comix, Zeichnungen und übrigem Gekritzel. Museum Ludwig, Köln. Bis 6. Januar 2013