Die Schwäche der sozialen Bewegungen in Italien

Alle Wege führen zu Monti

Während die etablierten linken Parteien Italiens darüber diskutieren, ob sie die Sparpolitik unterstützen sollen, konstatieren außerparlamentarische Gruppen eine Schwächung der sozialen Bewegungen.

Wie auch immer die italienischen Parlamentswahlen im Frühjahr 2013 ausgehen werden, das Menü für die neue Regierung steht schon fest: »Sie wird der Pasta noch etwas Basilikum oder Petersilie hinzufügen können, mehr aber auch nicht.« Seit Wochen bereitet Eugenio Scalfari, der Gründer der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica, seine Leser und die dazugehörigen Wählergruppen darauf vor, dass es keine Alternative zu Mario Montis Sparpolitik geben wird.
Die politischen Handlungsmöglichkeiten werden auch in der kommenden Legislaturperiode von den sozial- und wirtschaftspolitischen Auflagen der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank vorgegeben sein. Da Ministerpräsident Monti sich vor wenigen Tagen bereit erklärte, auf Wunsch weiterhin für deren prompte Umsetzung zur Verfügung zu stehen, wird nun ernsthaft diskutiert, ob man sich unter diesen Umständen die Wahlen nicht auch sparen könnte.
Für Pier Luigi Bersani, den Vorsitzenden des Partito Democratico (PD), garantiert die Wahl die Rückkehr Italiens zu einer »normalen Demokratie«. Deshalb sollen die Italienerinnen und Italiener selbst entscheiden dürfen, ob sie zukünftig von einer Mehrheit regiert werden, die Monti im Amt bestätigt, oder von einer Koalition, deren Kandidat Montis Politik fortsetzt. Mit dem Ritual der Wahl soll jener »Ausnahmezustand« beendet werden, dessen Durchsetzung Bersanis Partei vor einem Jahr erst ermöglicht hatte.

Um die Zerrissenheit der größten italienischen Oppositionspartei zu kaschieren, hatte sich der PD nach Silvio Berlusconis erzwungenem Rücktritt unter dem Vorwand eines »nationalen Notstands« gegen Neuwahlen ausgesprochen. Die seinerzeit verhinderten koalitionsinternen Vorwahlen zur Nominierung des linken Spitzenkandidaten sollen nun Ende November stattfinden. Allerdings hat sich die politische Stimmung im Land völlig verändert, eine linke Parlamentsmehrheit gilt als unwahrscheinlich. Somit können die Vorwahlen nur noch die inneren Widersprüche des linksliberalen Lagers offenlegen.
Die moderaten Anhänger des PD hadern zwar weiterhin mit der Prozedur, weil sie gerne in einer Großen Koalition mit den konservativ-christlichen Zentrumsparteien Monti im Amt bestätigt hätten. Doch tritt mit Matteo Renzi ein Kandidat an, der sich für die Fortsetzung der Politik Montis ausgesprochen hat. Der junge Bürgermeister aus Florenz hat die »Verschrottung« der älteren Generation als Wahlkampfparole ausgegeben, er möchte lediglich die alte Professorenriege durch 30 bis 40jährige Akademiker ersetzen. Sein Aktionismus und sein Talent für Werbeshows in eigener Sache gefallen auch dem politischen Gegner. Immer wieder gibt es Spekulationen über Abwerbungsversuche seitens Berlusconis.
Bersani steht für die progressive Mehrheit im PD, die eine Fortsetzung der Politik Montis mit sozialdemokratischem Antlitz wünscht. Gegen den Willen der Parteirechten bemühte sich der PD-Vorsitzende in den vergangenen Monaten, eine Koalition mit der Linkspartei Sinistra Ecologia e Libertà (SEL) und der kleinen Oppositionspartei Italia dei Valori (IdV) zu vereinbaren. Dieser Versuch ist vorerst gescheitert. Die IdV hat die Einheitsregierung kurze Zeit mitgetragen, distanziert sich aber nun von Montis Politik und schielt dabei nach Wählerstimmen der zuletzt sehr erfolgreichen »Fünf-Sterne-Bewegung« des Bloggers Beppe Grillo. Die beiden aus der Anti-Berlusconi-Bewegung hervorgegangenen Gruppen reproduzieren die Charakterzüge ihres verlorengegangenen Feindbildes. Sie bedienen antiparlamentarische Ressentiments und befriedigen durch ihre Neigung, die politische Auseinandersetzung an die Justiz zu delegieren, den Wunsch des autoritären Charakters nach Disziplin und Strafe.

Von diesen traurigen Leidenschaften sind mittlerweile auch jene Wählerschichten erfasst, die Nichi Vendola zurückgewinnen muss, wenn seine Kandidatur bei den Vorwahlen Aussicht auf Erfolg haben soll. Der SEL-Vorsitzende will die internen Streitigkeiten des PD für sich nutzen. Er ist bisher der einzige Kandidat, der sich explizit gegen Monti ausgesprochen hat und die Rücknahme der eingeleiteten arbeitsmarktpolitischen Reformen verspricht. Er verkündete zwar, dass er antrete, um zu gewinnen. Doch diesen Zweckoptimismus scheinen derzeit nicht einmal seine treuesten Anhänger zu teilen.
Noch vor einem Jahr galt Vendola mit seinem zivilgesellschaftlichen Programm »Für ein besseres Italien« als Hoffnungsträger für eine neue, vereinte Linke. Nun ist seine Entscheidung, überhaupt bei den Vorwahlen zu kandidieren, in der Partei umstritten. Mit einem guten Ergebnis könnte Vendola allenfalls den Führungsanspruch des progressiven PD-Flügels stärken. Eine Festlegung in Hinblick auf die Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik gilt dagegen, ebenso wie die Vorstellung, durch ein sozialdemokratisches Bündnis mit dem französischen Präsidenten François Hollande eine gemeinsame Europapolitik der mediterranen Staaten einzuleiten, als Illusion.
Für Fausto Bertinotti, einst politischer Mentor Vendolas, wäre eine Zusammenarbeit mit den progressiven Kräften des PD erst nach dessen Spaltung vorstellbar. Auch in der der SEL nahestehenden Wochenzeitung Gli Altri verstärkt sich die Kritik an Vendolas Strategie, einen Koalitionskompromiss auszuhandeln, um mitzuregieren. Stattdessen solle die SEL die Aufgabe übernehmen, die radikale Linke aus ihrer Passivität zu befreien und eine starke Opposition zu organisieren.
In einem Ende September veröffentlichten Dokument stellen verschiedene römische Gruppen selbstkritisch fest, dass es den sozialen Bewegungen nicht gelungen sei, gegen die Inthronisierung Montis und seine autoritäre Politik Widerstand zu organisieren: »Ehrlicherweise müssen wir uns eingestehen, dass sich mit dem Ende des Berlusconismus eine bestimmte Form der sozialen Bewegung erschöpft hat.« Die schwere wirtschaftliche Krise, die das Ende der italienischen Anomalie besiegele, habe die Bewegung geschwächt.

Die dem PD nahestehende Gewerkschaft CGIL hatte der Aushebelung elementarer Arbeitsrechte nichts entgegenzusetzen. Ein für den vergangenen Monat angekündigter Generalstreik des öffentlichen Dienstes reduzierte sich letztlich auf eine Demonstration in der Hauptstadt. Dass die Schüler- und Studentenbewegung gegen die Universitätsreform der Regierung Berlusconi am Freitag voriger Woche erstmals wieder landesweit auf die Straße ging und gegen die Umsetzung der Reform durch die Regierung Monti protestierte, mag ebenso wie der Aufruf der Metallgewerkschaft FIOM zu einer nationalen Demonstration am 20. Oktober darauf hindeuten, dass sich die außerparlamentarische Opposition aus ihrer depressiven Starre zu lösen beginnt. Doch bisher gleichen die Slogans und die Choreographie der ersten großen Proteste gegen Monti den einstigen Demonstrationen gegen Berlusconi.
Solange die Opposition diesem destruktiven Wiederholungszwang unterliegt, wird sie ihre politische Bedeutungslosigkeit nicht überwinden. Dagegen zeigt die Polizeigewalt gegen die Schüler- und Studentenproteste, dass der soziale Antagonismus in der Ära Monti eine verschärfte staatliche Repression nach sich ziehen dürfte, die von einem parteiübergreifenden Konsens sanktioniert wird.