Die Dauerdiskussion um Outings erhöht die Hemmschwelle

Schweigen ist Gold

Das dauernde Gerede über ein erstes schwules Outing im Profifußball trägt dazu bei, dass die Hemmschwelle immer höher wird.

Vielleicht ist es, auch wenn es sich um eine sehr schlimme Geschichte handelt, an der Zeit, an Justin Fashanu zu erinnern. Der Engländer spielte Profifußball und war schwul. 1990 outete er sich selbst, auch weil er im Kollegenkreis mies gemobbt wurde. Danach wollte ihn kein europäischer Verein mehr haben. Fashanu ging nach Kanada, wo es zwar kaum Geld zu verdienen gibt, man ihn aber in Ruhe ließ. Als er wieder nach Großbritannien zurückkam, musste er zunächst bei einem Provinzverein anheuern, dann bei einem besseren Club, der ihn aber wegen eines »Verhaltens, das eines Fußballers nicht würdig ist«, hinauswarf. Fashanu hielt den Druck nicht aus, er erhängte sich am 2. Mai 1998 in einer Garage in London.

In der Bundesliga gibt es keinen offen schwulen Fußballer, auch in keiner der unteren bezahlten Ligen. Einer von denen, die heimlich ihrem schwulen Leben nachgehen müssen, hat jüngst in einem Interview mit fluter.de gesprochen. Anonym natürlich. »Je mehr geredet wird, desto höher ist auch der Druck auf mich«, sagte er.

Also wird geredet: »Wir können nur das Signal geben, dass er keine Angst haben muss«, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und der Präsident des FC Bayern München, Uli Hoeneß, sagt zum Thema Outing: »Der Fußball ist offen genug dafür.« Fehlen nur noch eine aufmunternde Rede Joachim Gaucks und ein seliges Grußwort des Papstes an die KSPD, die wirklich existierenden »Katholischen Schwulen Priestergruppen Deutschlands«, und die Welt wäre in Ordnung.
Gut, dass wir darüber geredet haben? Das kann nur gut finden, wer auch ein Papstgrußwort an die schwulen Priester gut findet. Der Diskurs, das dauernde Fragen, wer sie sind, die schwulen ­Kicker, woran man sie erkennt, wo sie spielen, ob sie Scheinehen führen oder in schmuddelige Clubs fahren, hat die Hemmschwelle, darüber frei zu sprechen und danach zu leben, erst so hoch werden lassen. In diesem Diskurs schwingt unter den gegebenen Verhältnissen immer die Skandalisierung mit: Wer ist es, wer ist sein Lover, ist es einer aus seiner Mannschaft, einer vom Konkurrenzclub und so weiter. Und das ist bekanntlich nur die mittelschwere, die gar nicht (zumindest nicht allzu sehr) homophobe Skanda­lisierung. Die andere, die schwulenfeindliche, braucht man gar nicht zu zitieren: Da geht’s ums Ressentiment des dauergeilen Verführers, der in dem Moment kommt, wenn unter der Dusche die Seife hingefallen ist. Oder um den Pädophilen, der ganze Jungenmannschaften vernascht.

Die von allen, vermutlich auch von Uli Hoeneß und Angela Merkel gewünschte Normalität entsteht ja erst dann, wenn Schwulsein so interessant ist wie eine Brille zu tragen, mit der linken Hand zu schreiben oder grüne Augen zu haben. Brillenträger und Linkshänder gibt es, wie es auch schwule Bundesminister gibt – einer spricht darüber, ein anderer nicht. Wie in beinahe jeder anderen gesellschaftlichen Gruppe auch gibt es in der Bundesliga etwa zehn Prozent Homosexuelle. Das ist bekannt, und dass niemand weiß, wer sie sind, ist auch gelogen.
So wie – zumindest früher – Profiteams geschlossen von Boulevardzeitungsreportern in den Puff geführt wurden, um sie danach mit der Drohung der Veröffentlichung zu erpressen, so werden schwule Profis jetzt schon mit Andeutungen über ein mögliches Outing erpresst. Die zu erbringenden Gegenleistungen sind Details aus der Kabine, aus dem Mannschaftsleben, die den Diskurs über den Fußball so interessant machen und von denen die Boulevardpresse – hierzulande wie in England – lebt. Und die Anstrengungen, die es kostest, die schwule Identität zu verbergen, sind teils enorm. Marcus Urban, ein schwuler Kicker, der auf eine Profikarriere aus Angst verzichtete, erzählte einmal, dass er bewusst zum beinharten, ja brutalen Defensivspieler avancierte – nur um nicht dem Bild des sensiblen, weichlichen Schwulen zu entsprechen, das ihn hätte verraten können.
Es ist das Wissen oder zumindest die gut begründete Ahnung, dass ein Outing nicht eine dem Ansehen des Linkshänders vergleichbare Normalität herstellt, sondern wochen- und monatelanges, vielleicht nicht aushaltbares Spießrutenlaufen, das dazu führt, dass schwule Profis sich erpressen lassen. Sie kennen den Betrieb, in dem sie arbeiten, zu dem die Boulevardpresse zählt, besser als die netten Menschen (plus Angela Merkel und Uli Hoeneß), die ihnen mit Verweis auf Hape Kerkeling und Alfred Biolek zurufen, das sei ja alles nicht so schlimm.
Wer für sich entschieden hat, dass seine schwule Orientierung privat bleibt, mag dafür schlechte oder gute Gründe haben, aber es ist seine Entscheidung, und die ist zu respektieren. Wenn nicht mehr so viel gesprochen und dauernd das Outing gefordert wird, dann wird’s hoffentlich normal.