Eine Kampagne soll das Image der Arbeitsagenturen verbessern

Ins Paradies der Werktätigen

Die Bundesagentur für Arbeit versucht, das Image ihrer Klientel aufzubessern. Die zu diesem Zweck begonnene Kampagne offenbart jedoch nur aufs Neue die Tristesse des Hartz-IV-Unwesens.

Im Kapitalismus gibt es etwas, das für die Menschen noch schlimmer ist, als ausgebeutet zu werden: nicht ausgebeutet zu werden. Diese altbekannte Tatsache ist nicht nur der Grund des materiellen Elends von Nichtausgebeuteten und Niedriglöhnern, sondern auch von entsprechenden Deformationen bei den Mitgliedern der lohnabhängigen Gesellschaft.
So ist es nicht überraschend, dass eine Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit (BA) ergeben hat, dass die Mehrheit der Befragten Hartz-IV-Empfänger für faul und ungebildet hält. Wer um das fragwürdige Privileg fürchten muss, Tag für Tag vom frühmorgendlichen Aufstehen an von der Verwertungslogik gelebt zu werden, sieht ja nicht nur aus verkapptem Neid auf diejenigen herab, die vermeintlich den ganzen Tag herumfaulenzen und sich gebratene Tauben in den Mund fliegen lassen; ein anderer Grund ist die Angst vor dem eigenen gesellschaftlichen Absturz, sublimiert in der Selbstversicherung, man selbst sei kein solcher Nichtsnutz wie diese Sozialschmarotzer.

Nicht einmal Bild ließ es sich nehmen, Empörung über die Ergebnisse der Studie vorzutäuschen. Also dasselbe Blatt, zu dessen Lieblingsbeschäftigungen es zählt, Opfer der »Agenda 2010« zu mobben. So erging es vor einigen Wochen einer wohnungslosen Frau, die einen cleveren Weg gefunden hatte, die vom Amt zugeteilten Lebensmittelgutscheine in Bargeld zu verwandeln. Mit der Zeile »Dieses Foto empört jeden Steuerzahler!« versehen, dokumentierte Kai Diekmanns Blatt den schwerkriminellen Vorgang: Die Frau hatte mit den Gutscheinen in einem Supermarkt eine ganze Menge billiger Wasserflaschen erstanden, deren Inhalt sie dann in den Rinnstein leerte, um sich schließlich das Pfandgeld auszahlen zu lassen. »Mit dem Geld will sie Alkohol und Zigaretten kaufen«, prangerte Bild an. Wer schon am Rande der Gesellschaft lebt, soll das nämlich gefälligst auch nüchtern ertragen.
In der vergangenen Woche aber entdeckte das Blatt nicht nur dank der Ergebnisse der Umfrage, sondern auch dank der Kampagne »Ich bin gut«, mit der die Arbeitsagentur das Image ihrer Klientel aufbessern will, dass die Hartzer ja gar nicht alle so schlimm sind. Unter Berufung auf die Ergebnisse einer weiteren Umfrage, diesmal vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, nimmt die BA ihre »Kunden« in Schutz: »Für 75 Prozent der Hartz-IV-Empfänger ist Arbeit das Wichtigste im Leben.«
Dieser Satz wird in seiner Tristesse nur von dem übertroffen, was die BA auf der Website ihrer Kampagne (http://jobcenter-ich-bin-gut.de) zu bieten hat. »Für 89 Prozent der Leistungsbezieher ist Arbeit wichtig, weil sie ihnen das Gefühl gibt, dazuzugehören«, heißt es dort etwa. »74 Prozent würden sogar dann gerne arbeiten, wenn sie das Geld nicht bräuchten.« Es sei dahingestellt, wie aufrichtig jemand antwortet, der im Auftrag jenes Amtes befragt wird, das ihm beim kleinsten Verstoß gegen den »Wiedereingliederungsvertrag« die Überweisungen streichen kann. Die Behörde jedenfalls kann solche Aussagen als Jubelmeldungen verbuchen, zeigen sie doch an, wie vorbildlich die Zurichtung ihrer »Leistungsempfänger« gelungen ist.

Gleiches gilt für die »Erfolgsgeschichten«, die auf der erwähnten Homepage erzählt werden. Etwa die vom »leidenschaftlichen Gabelstaplerfahrer«, der sich seiner Aufgabe »Tag für Tag von 7.30 bis 17.00 Uhr widmet«. Ein anderer Beglückter bekundet: »Das Schönste ist, dass ich wieder unter Menschen bin und mich nicht mehr als Bittsteller fühle.« Die BA frohlockt: »Da stört es ihn auch nicht, dass sein Arbeitstag um sechs Uhr morgens beginnt und er erst gegen 18 Uhr wieder zurück bei seiner Familie ist.«
Wählerisch darf man natürlich nicht sein, wenn man in den Genuss eines solchen Wellness-Programms kommen will. 71 Prozent ihrer Schützlinge, lässt die BA wissen, »würden eine Stelle annehmen, die unter ihrem Leistungsniveau liegt«. So wie die gelernte Hotelfachfrau, die bei der Schilderung ihrer »Erfolgsgeschichte« fast in Dankes­tränen ausbricht, weil sie nach verschiedenen Minijobs in der Gastronomie nun endlich fest angestellt bei Maredo kellnern darf.
Wie viel Geld diese Leute verdienen, verrät die BA leider nicht, und auch nicht, wie viele solcher Märchen aus dem wahren Leben mit Hilfe der boomenden Leiharbeitsfirmen zustande kommen. Stammleser der amtlichen Jobbörse fragen sich nach einigen Monaten der Lektüre, ob sich all die Agenturen für Personalmanagement und Firmen für Job-Consulting ihr Personal eigentlich auch gegenseitig vermitteln. Einen anderen Weg ins Paradies der Werktätigen scheint es jedenfalls kaum noch zu geben. Aus dem Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft noch einmal Mehrwert herauszuschlagen – kaum etwas bringt die Absurdität des real existierenden Kapitalismus so deutlich zum Ausdruck wie die Existenz dieser Furunkel am Arsch des Arbeitsmarkts.
Ihr Erfolgsrezept zur Heranzucht von glücklichen ehemaligen Arbeitslosen verriet die Arbeitsagentur schon einige Tage vor Veröffentlichung der Allensbach-Studie. Mit mehr als 500 000 Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher im ersten Halbjahr 2012 hat sie gerade einen neuen Rekord erzielt, was dem Mob wieder einmal Anlass gab, über die »Sozialbetrüger« zu schimpfen. Die Zunahme der Sanktionen hat jedoch den simplen Grund, dass die Mitarbeiter in den Jobcentern immer weniger Gelegenheiten auslassen, ihren »Fällen« wegen Kleinigkeiten das Geld zu kürzen oder ganz zu streichen. Da kann es reichen, eine Bewerbung weniger vorzuweisen, als das Amt einem auferlegt hat, oder schlimmer noch, einen unerträglichen Job – zum Beispiel, in einem Callcenter die Umfragen durchzuführen, die der BA die bestellten Zahlen liefern – als unzumutbar abzulehnen, und schon darf man sich fragen, wie man im nächsten Monat den Kühlschrank füllt.
Hinzu kommen die alltäglichen Gängelungen. Die Mutter, die jüngst erfolglos vor das Landessozialgericht Baden-Württemberg zog, um vom Amt einen Zuschuss für ein größeres Bett für den nach Kinderart wachsenden Sohn zu erstreiten, dürfte schnell bereit sein, sich in den Arbeitsmarkt »eingliedern« zu lassen – schon allein, um nicht mehr ständig mit der Unverfrorenheit der Behörde konfrontiert zu sein. Ein Vorkommnis, von dem das Portal gegen-hartz.de berichtet, sagt viel über das Verhältnis zwischen der Arbeitsagentur und ihren »Kunden« aus: Nach dem tödlichen Angriff auf eine Mitarbeiterin des Jobcenters in Neuss (Jungle World 40/2012) ließ die BA Blogs und soziale Netzwerke auf strafbare Äußerungen durchforsten; es wurde Strafanzeige gegen 40 Personen gestellt, die allzu explizit Verständnis für den Täter geäußert hatten.

Wäre es gewollt, diesen Zuständen abzuhelfen, müsste man an der Wurzel des Übels ansetzen. Der Kapitalismus aber hängt an der Lohnarbeit wie der Junkie an der Nadel, und ein Totalentzug – etwa in Form einer Revolution – ist in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten. Im reformistischen Medikamentenschrank steht allerdings seit einiger Zeit die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Kritiker warnen nicht grundlos, dieses würde, veranschlagte man es auf Hartz-IV-Niveau, erst recht zu Lohndumping führen – aber das geschieht mit Aufstocker-Hartz ohnehin bereits. Warum also nicht die Schikaniermaschinerie der BA auflösen und das Geld für ein bedingungsloses Grundeinkommen verwenden? Das fragen dessen Befürworter, denn das wäre immerhin eine Substitutionstherapie, die den Leidensdruck der Lohnabhängigen mildern würde. Da dieser Druck jedoch zu den Funktionsprinzipien des Kapitalismus gehört, sollte man sich von Illusionen verabschieden: Das bedingungslose Grundeinkommen in einer Höhe, die tatsächlich ein erträgliches Leben ermöglicht, wird niemals durchsetzbar sein. Der Junkie braucht den reinen Stoff.