Mehr als Gender Trouble

Wer Kinder hat, kennt sie: die Trotzphase. Der Sprössling macht immer genau das, was er nicht soll, und umgekehrt. Vermutlich, um seine bereits entnervten Eltern noch weiter zu ärgern. Auch das Europäische Parlament scheint dieser Phase noch nicht entwachsen. Als dort über die Neubesetzung des offenen Direktoriums­postens der Europäischen Zentralbank abgestimmt wurde, lehnte die Mehrheit der Abgeordneten den von den Regierungschefs designierten Kandidaten ab. Das klingt zunächst nicht sonderlich aufregend, es ist aber das erste Mal, dass so etwas vorkommt. Nun ist das Parlament nicht einfach nur bockig, die Abgeordneten sind unzufrieden, weil der für den Posten nominierte Luxemburger Notenbankvorsitzende Yves Mersch ein Mann ist. Obwohl der EU-Ratspräsident Herman van Rompuy zusagte, man werde künftig bei der Besetzung von Führungspositionen stärker auf geeignete weibliche Kandidaten achten, hatte es für das Spitzenamt keine Frau in der engeren Auswahl gegeben. Das mächtige Direktorium wäre damit bis 2018 ein Club der üblichen grauen Herren.
War das Nein für den Finanzexperten endlich ein Schritt für mehr Gleichberechtigung? Für einige Abgeordnete vielleicht, für andere war es eher ein Vorwand, um gegen Mersch zu stimmen. Der konservative Banker könnte ein Eintreten der EZB für Länder wie Spanien künftig erschweren. So waren es auffällig viele – auch konservative – südeuropäische Abgeordnete, die Mersch ablehnten. Leider hat die Sache ohnehin einen Haken: Den Eltern ist meist egal, was die trotzigen Kleinen wollen. In der EU ist das nicht anders. Für die Einsetzung Merschs braucht es zwar die Anhörung des Parlaments, aber nicht dessen Zustimmung. Am Ende entscheidet der Finanzministerrat der Mitgliedstaaten. Parlamentspräsident Martin Schulz muss jetzt zwar dazu auffordern, einen neuen Kandidaten zu nominieren, es kann aber auch beim bisherigen bleiben. Die deutsche Regierung ließ wissen, sie werde die Entscheidung auch gegen den Willen der EU-Abgeordneten durchsetzen. Letztlich würde Mersch den Job dann trotzdem bekommen. Jeder Fünfjährige kann nachvollziehen, wie man sich jetzt in Straßburg fühlt – unfair ist das alles. Die mehrheitliche Ablehnung schadet immerhin ein wenig Merschs Legitimität, ein schwacher Trost für die Abgeordneten des EU-Parlaments. Vielleicht klappt es ja das nächste Mal, mit Luftanhalten oder auf dem Boden wälzen und schreien.