Deutschland und der EU-Haushalt

Die Integration der Nettozahler

Über den künftigen EU-Haushalt wird derzeit heftig gestritten. Die britische Regierung fordert Kürzungen. Auch die Bundesregierung möchte den Etat veringern, aber zusätzlich noch die Ausgaben steuern.

»Beware the Merkelator«, warnte die britische Daily Mail ihren Premierminister David Cameron vorige Woche vor dem anstehenden Besuch der »German Thatcher«, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte. Diese Titulierung sollte wohl als Kompliment verstanden werden. In ihrem Gastbeitrag für die Zeitung bescheinigte Anne McElvoy, Deutschland- und Europa-Expertin des Economist, der deutschen Bundeskanzlerin, sie sei im Unterschied zu Cameron gut vorbereitet auf kommende europäische Auseinandersetzungen. Cameron hingegen könne nicht einmal sagen, ob seine Regierung sich lieber »innerhalb oder außerhalb des institutionellen Europa« sehe. Er hatte kürzlich mit einem Veto gegen den langfristigen EU-Haushalt gedroht, sollte dieser nicht um mindestens 200 Milliarden Euro gekürzt werden. Diese Drohung war nur allzu offensichtlich den eigenen europafeindlichen Abgeordneten und der Rettung seiner Koalition geschuldet. Seine Europa-Politik lässt derzeit kaum ein Konzept erkennen außer der Absicht, möglichst wenig Geld nach Brüssel zu überweisen. Im Unterschied dazu schreitet die deutsche Bundesregierung tatsächlich konsequent voran.

Oberflächlich betrachtet scheint sich die Bundesregierung in den Streitigkeiten um den EU-Haushalt derzeit um einen Mittelweg zu bemühen, wie Spiegel Online bemerkte. Zwar hatte die Bundesregierung zuletzt mit den Regierungen Schwedens, Österreichs, Finnlands und der Niederlande – al­lesamt Nettozahler wie auch Deutschland – als »Friends of the Better Spending« Kürzungen im Umfang von bis zu 150 Milliarden Euro für den von der zyprischen Ratspräsidentschaft vorgelegten mehrjährigen Finanzrahmen des EU-Haushalts gefordert. Dieser weist für die Periode von 2014 bis 2020 ein Gesamtvolumen von 1,03 Billionen Euro aus. Nachdem sich aber auch 14 Empfängerstaaten, darunter neben fast allen osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten auch Griechenland und Spanien, mit Unterstützung des Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, und des Europaparlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) zu Wort gemeldet haben, scheint die Bundesregierung kompromissbereiter zu sein als ihre Parteigänger. Die heftigen Aus­einandersetzungen bei den Verhandlungen um den EU-Haushalt 2013 zwischen den Vertretern der 27 europäischen Länder und den Europaparlamentariern könnten nur ein Vorgeschmack auf Konflikte sein, mit denen zu rechnen ist, wenn beim EU-Gipfel am 22. November über das Budget von 2014 bis 2020 verhandelt werden soll. Den »Freunden der Kohäsionspolitik«, die am 5. Oktober eine gemeinsame Grundsätzeerklärung veröffentlicht haben, geht es beim langfristigen EU-Haushalt vor allem um die Ausweitung der Entwicklungsförderung in den strukturschwächeren Regionen und Staaten der Europäischen Union. Ausgerechnet in London deutete Merkel ihre Kompromissbereitschaft an. »Deutschland und Großbritannien sind beide Nettozahler, das heißt, wir haben eine Menge gemeinsamer Interessen«, aber auch die Interessen von Deutschlands Nachbarn in Mittel- und Osteuropa müssten in der Europäischen Union gewürdigt werden, so die Kanzlerin.

Die deutsche Europa-Politik konzentriert sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zufolge derzeit auf eine »vertiefte europäische Integration«. So hatte Merkel gegenüber ihrem irischen Amtskollegen Enda Kenny bei dessen Besuch Anfang November in Berlin darauf verwiesen, dass Deutschland alles tun werde, »damit eine Lösung zustande kommt«. Veto-Drohungen, wie sie aus Großbritannien, Schweden und den Niederlanden zu vernehmen waren, erteilte Merkel damit eine deutliche Absage. In einer Grundsatzrede im Europaparlament, unmittelbar vor ihrer Reise nach London, hat Merkel die deutsche Vorstellung dieser erweiterten Integration spezifiziert. Neben der obligatorischen Ablehnung der gemeinsamen Haftung für Staatsschulden ging es dabei vor allem um die Übertragung nationaler Kompetenzen an die EU. »Ich denke an sensible Politikbereiche wie die Arbeitsmarkt- oder Steuerpolitik«, sagte sie im Europaparlament. Auch Änderungen am EU-Vertrag seien erforderlich, um Gründungsfehler der Wirtschafts- und Währungsunion zu beheben. Die EU brauche »echte Durchgriffsrechte gegenüber den nationalen Haushalten«, wenn vereinbarte Grenzwerte nicht eingehalten würden. Zum Ausbau des ESM zu einer seit langem von Deutschland geforderten »europäischen Wirtschaftsregierung« wäre es dann nur noch ein kurzer Weg.
Es greift aber zu kurz der Bundesregierung ausschließlich ein Streben nach einer reinen Austeritätspolitik zuzuschreiben, auch wenn es mittelfristig natürlich darum geht. Wesentlich bleibt die Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den kapitalistischen Zentren in Nordamerika und Ostasien. So verwies Merkel auch auf die Fortschritte des Krisenregimes. Die Mühen der vergangenen Jahre seien nicht umsonst gewesen, die Reformen zeigten erste Erfolge: »In Irland, Portugal und Spanien, aber auch in Griechenland sind die Lohnstückkosten spürbar gesunken – dies ist ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit. Auch die Defizite in den Leistungsbilanzen gehen zurück.« Anders als den Briten geht es Merkel keineswegs nur um die Kürzung des Haushalts, sondern auch um die Art seiner Verwendung. »Europa muss ein innovativer Kontinent sein, Europa muss investieren in die Zukunft«, forderte die Bundeskanzlerin und befand, die Ausgabeneffizienz sei steigerbar. Ihr sekundierte Michael Link (FDP), der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. »Was die Qualität der Ausgaben betrifft, so hat die Präsidentschaft aus unserer Sicht die Akzente noch nicht richtig gesetzt«, sagte Link.

Die deutschen Vorstellungen vom künftigen EU-Budget verdeutlichen, worum es Link geht. Gekürzt werden soll bei den beiden größten Posten des EU-Haushalts. Es geht um vier Prozent bei den Struktur- und Kohäsionsfonds, die ein Drittel des EU-Haushalts ausmachen, und um drei Prozent bei der Agrarförderung, dem größten Haushaltsposten. Bundesfinanzminister Schäuble kündigte sogar einen freiwilligen Verzicht Deutschlands auf einen Teil der ihm zustehenden Mittel an. Darüber hinaus möchte die Bundesregierung bei den Spezialprogrammen der EU sparen, für die Mittel in Höhe von insgesamt 58 Milliarden Euro vorgesehen sind. Ginge es nach ihr, würden der Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF), der Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) und auch der Europäischen Solidaritätsfonds gänzlich abgeschafft. Andererseits befand Link, dass die von der zyprischen Ratspräsidentschaft vorgesehenen Einsparungen im EU-Haushalt die Wettbewerbsfähigkeit des »Standortes Europa« schwächen könnten. Beim Infrastrukturausbau sollen demnachzehn, bei der Forschungsförderung zwölf Prozent gekürzt werden. Auch die siebenprozentige Kürzung der Mittel für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik stößt bei der Bundesregierung auf wenig Begeisterung.
Eisern hält die Bundesregierung mit sehr wenigen Verbündeten in der EU damit an den Vorgaben des Vertrags von Lissabon fest, der die interne und externe Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten zum Ziel erhoben hatte und zuletzt um die »Strategie Europa 2020« erweitert wurde. Den europäischen Institutionen werden dabei größere Aufsichtsbefugnisse übertragen. Gegen die immer weiter reichenden Eingriffsrechte hat sich in der vergangenen Woche Frankreichs Prä­sident François Hollande ausgesprochen, der dafür von Volker Kauder, dem Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, heftig kritisiert wurde. In der Themenausgabe »Die EU und der Euro in der Krise« der Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft Prokla, die im September erschienen ist, stellt Autor Martin Konecny fest, die gegenwärtige Politik der deutschen Bundesregierung ziele darauf, »die Eurozone unter deutscher Dominanz stärker auf den außereuropäischen Export auszurichten«. Die »Zwiespältigkeit in Bezug auf eine Stärkung europäischer Apparate« behindere jedoch »die Entwicklung eines kohärenten Projektes«. Es sieht so aus, als arbeite die Bundesregierung weiterhin an diesem Defizit.