Die syrische Opposition

Die Blumen des Islamisten

Die neue Vertretung der syrischen Opposition ist in Syrien wie international gelobt worden. Doch ihr Präsident, der Imam Moaz al-Khatib, gibt wenig Anlass zu Freude.

Die syrischen Aufständischen haben endlich eine Vertretung, die sie angemessen im Ausland repräsentieren kann. Das meinen zumindest die meisten Kommentatoren – syrische wie westliche. Allerdings werfen die Ansichten von Imam Moaz al-Khatib, des Präsidenten der neuen Koa­lition, Fragen auf, wie er es mit Demokratie, Islam und Andersgläubigen hält.
Die bisherige Vertretung der Opposition, der Syrische Nationalrat (SNC), war in den vergangenen Monaten und Wochen in die Kritik geraten. Demokratische Abstimmungsverfahren schienen nicht zu funktionieren, wenn es sie denn gab. Prominente Oppositionelle traten von Ämtern zurück oder sagten sich ganz los. Viele aus der alten syrischen Linken waren dem SNC gar nicht erst beigetreten, sondern organisierten sich im Nationalen Koordinierungskomitee. Sie kritisierten, dass der SNC von Muslimbrüdern dominiert und von der türkischen Politik beeinflusst werde. Schließlich ging auch eine der größten Förderinnen des SNC auf Distanz: Die US-amerikanische Außenministerin, Hillary Clinton, sagte am 31. Oktober, es könne nicht sein, dass die syrische Opposition von Menschen vertreten werde, die seit 20, 30, 40 Jahren nicht mehr in Syrien gewesen seien. Es sei Zeit, eine Vertretung mit denjenigen aufzubauen, die an der Front kämpften.

Die ungewöhnlich harsche Kritik stieß in Syrien auf Widerspruch. Die Lokalen Koordinierungskomitees, größter Träger der politischen Opposition im Land und bisher organisiert im SNC, verbaten sich die Einmischung. Allerdings traten sie wenige Tage darauf selbst aus dem SNC aus, weil keine einzige Frau in den 40köpfigen Exekutivrat gewählt worden war. Nur sechs Tage darauf, am 11. November, trafen sich Oppositionsgruppen zu einer Konferenz in Qatar und schufen als neue Vertretung die »Nationale Koalition der syrischen revolutionären und oppositionellen Kräfte«.
Die Gründung löste bei syrischen Oppositionellen wie ausländischen Unterstützern Erleichterung und Jubel aus. Die Länder des Golfkooperationsrats erkannten die Nationale Koalition als syrische Vertretung an, Libyen sieht sie sogar als einzige legitime Regierung Syriens. Die USA bezeichnen die Nationale Koalition als »legitime Vertretung des syrischen Volkes«. Der französische Präsident François Hollande ging einen Schritt weiter und nennt sie die »einzige Vertretung« und »zukünftige Übergangsregierung eines demokratischen Syrien«.
Wie demokratisch die Nationale Koalition ist, muss sich indes noch zeigen. In jedem Fall sind in ihr verschiedene oppositionelle Strömungen repräsentiert. Mit dem ehemaligen Imam der Omayyaden-Moschee, Moaz al-Khatib, wurde ein Islamist an die Spitze gewählt. Er sei moderat, ist die Einschätzung der meisten westlichen Medien. Die stellvertretende Präsidentin ist die Menschenrechtlerin Suhair al-Atassi und der stellvertretende Präsident der liberale Unternehmer Riyad Seif.
Insbesondere Suhair al-Atassi und Moaz al-Khatib könnten gegensätzlicher nicht sein. Al-Atassis Vater war einer der Gründer der Baath-Partei. Sie selbst ist seit dem Damaszener Frühling 2001 in der Opposition aktiv und ein prominentes Mitglied der Lokalen Koordinierungskomitees. Eines ihrer wichtigsten Ziele ist die Gleichberechtigung der Frauen. In ihren Reden spricht sie stets von Menschenrechten und Demokratie. Ganz anders al-Khatib: Wird er zu dem neuen Syrien befragt, für das er kämpft, spricht er von Liebe und Toleranz. In einem Interview mit al-Jazeera flüchtet er sich vor den Fragen des Reporters nach der Vereinbarkeit von Demokratie und Islamismus in Metaphern: Der Garten werde voller unterschiedlicher Blumen sein. Das Wort Demokratie kommt ihm nicht über die Lippen, vielmehr spricht er von einem islamischen Staat. Es müsse wieder werden, wie es in der syrischen Geschichte immer war: voller Toleranz. Die Toleranz des historischen Syrien ließ allerdings zu wünschen übrig. Neben der Vertreibung der Juden nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zum Beispiel die Massaker an Christen von 1860.

Der Journalist Mohanad Hage Ali hat sich für die Zeitschrift Foreign Policy die Website al-Khatibs angesehen und ist dabei auf wenig tolerante Aussagen gestoßen. Juden werden als Feinde Gottes und »Anbeter des Goldes« bezeichnet. In einem seiner eigenen Artikel lobt al-Khatib Saddam Hussein dafür, die Juden das Fürchten gelehrt zu haben. Für Schiiten kann sich al-Khatib auch nicht erwärmen, er bezichtigt sie der Verbreitung von Lügen.
Der Auslandssprecher des linksgerichteten Nationalen Koordinierungsrats, Haitham al-Manaa, weist auf eine der ersten Amtshandlungen al-Khatibs hin. In einer Stellungnahme habe dieser sich von der »Kairoer Erklärung« distanziert. In dem im Juli beschlossenen Dokument zur Verfasstheit eines demokratischen Syrien werden unter anderem gleiche Bürgerrechte für alle proklamiert. Auf dieses Dokument beziehen sich die meisten Oppositionsgruppen positiv. Al-Khatib habe die Erklärung aber abgelehnt, da er nicht zustimmen könne, wenn ein Punkt dem Glauben der ewigen Umma widerspreche. Al-Manaa zufolge beziehe sich al-Khatib damit auf die gleichen Bürgerrechte und die Annahme, die Menschen, nicht Gott, seien für ihr Handeln verantwortlich.
Dass al-Khatib ohne Gegenkandidaten zum Präsidenten gewählt wurde, wirft Fragen auf. Seine Wahl wäre verständlich, wenn man von einer starken islamistischen Opposition ausgehen müsste. Doch das ist in Syrien nicht der Fall. Zwar beziehen sich die Rebellen immer stärker auf den Islam, doch die Repräsentanten der ­politischen Opposition sind weitestgehend säkular. Die Muslimbrüder waren seit den achtziger Jahren nicht mehr in Syrien präsent und nur in der Exilopposition stark.
Die Opposition im Land hat die Mitglieder der Nationalen Koalition nicht gewählt. Die sehr pluralistische Zusammensetzung deutet eher auf ein Übereinkommen zwischen den Hauptunterstützern des syrischen Widerstands hin, den USA und den Golfstaaten.