Proteste in Frankreich gegen den Bau eines Großflughafens

Feuchtgebiete statt Flughäfen

Im Jahr 2017 soll im westfranzösischen Notre-Dames-des-Landes der Großflug­hafen Grand-Ouest in Betrieb gehen. Dagegen protestieren seit Jahren Anwohner, Linke und Umweltbewegte, die sozialdemokratische Regierung hält aber an den Plänen fest.

An die 30 000 Menschen waren am 17. November ins westfranzösische Notre-Dames-des-Landes gekommen, um gegen den Bau des geplanten Großflughafens Grand-Ouest zu demonstrieren, darunter lokale Bäuerinnen, Bauern und Anwohner, Aktivistinnen und Aktivisten aus ganz Frankreich und zahlreiche Mitglieder der anarchistischen Clowns Armies. Die Demonstration stand unter dem Zeichen der Wiederbesetzung der zone d’aménagement différé (ZAD), der Zone, die für eine spätere Bebauung ausgewiesen worden war. Die Gegnerinnen und Gegner hatten die ZAD zur zone à défendre erklärt, also zu einer Zone, die zu verteidigen sei, und sie teilweise besetzt. Seit Mitte Oktober versucht die Polizei immer wieder, die gut 500 Besetzerinnen und Besetzer zu vertreiben, die dort Widerstand gegen die Bebauung leisten.
Mit dem Aufbau eines neuen, zentralen Hüttendorfs bekräftigten die Flughafengegner ihre Absicht, den Kampf weiterzuführen und die anstehenden Bauarbeiten so stark wie möglich zu beeinträchtigen. Ebenso bestimmt hält die Regierung von François Hollande und seiner Parti Socialiste (PS) am Projekt fest, trotz aller Kritik an dessen Folgen: Auf den 1 650 Hektar Land, die bebaut werden sollen, liegen zahlreiche Feuchtgebiete mit hoher Biodiversität.

Das gigantische Infrastrukturprojekt wurde bereits in den sechziger Jahren initiiert, 1973 und 1979 aber durch die Ölkrisen verzögert und dann auf Eis gelegt, bis Jean-Marc Ayrault, inzwischen amtierender Premierminister, das Projekt im Jahr 2000 als Bürgermeister von Nantes zu neuem Leben erweckte. 2008 wurde es unter dem konservativen Premierminister François Fillon von der Regierung abgesegnet, begründet wurde dies mit dem gemeinnützigen Charakter des Projekts. Der bestehende, zu ersetzende Flughafen Nantes-Atlantique sei überlastet und ein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung. Außerdem sei das Projekt notwendig, um den ökonomischen Aufschwung der Region zu gewährleisten. Im Dezember 2010 übertrug der französische Staat offiziell dem Privatunternehmen Vinci die Realisierung und die Konzession für den Betrieb des Flughafens für 55 Jahre. Die Hälfte der veranschlagten Kosten von 550 Millionen Euro soll die öffentliche Hand tragen. 2017 soll der Flughafen in Betrieb gehen.
So alt wie das Projekt ist auch der Protest dagegen. Bereits Anfang der siebziger Jahre schlossen sich betroffene Bauern zusammen, um gegen die Zwangsverpachtung ihres Landes zu protestieren. Derzeit sind gut 80 Prozent der betroffenen 1 650 Hektar an den Staat verpachtet. Auf Bürger­ebene leisten seit Jahren zahlreiche Vereine und Kollektive in ganz Frankreich Widerstand, angeführt von der Association Citoyenne Intercommunale des Populations Concernées par le Projet d’Aéroport (Acipa). Auf parteipolitischer Ebene sind eine Vereinigung von über 1 000 Gewählten (CédPa), die Grünen (EE-LV), notabene Regierungspartnerin der PS, sowie zahlreiche linke Parteien gegen das aus ihrer Sicht ökologisch verwerfliche und absolut unnötige Projekt. Seit 2008 wurde das ZAD von zahlreichen Aktivistinnen und Aktivisten besetzt.

Die Gegnerinnen und Gegner widersprechen vor allem dem Hauptargument, der alte Flughafen Nantes-Atlantique sei überlastet und ein Sicherheitsrisiko. Eine 2011 erschienene Studie kommt nämlich zu einem anderen Ergebnis, sie verweist zudem auf anfallende Mehrkosten. Auf den Vorschlag der Opposition, Nantes-Atlantique zu verbessern, sind die Befürworter des neuen Großflughafens nie eingegangen. Der Widerstand gegen das Infrastrukturprojekt in Notre-Dames-des-Landes geht jedoch weit über das eigentliche Projekt hinaus: Im Zentrum der Kritik stehen Infrastrukturprojekte allgemein, die unter dem Deckmantel eines »grünen Kapitalismus« in privat-öffentlicher Zusammenarbeit realisiert werden. Die Opposition spricht sich vehement gegen diese Art von Projekten aus und fordert eine neue Diskussion über eine postindustrielle, nichtkapitalistische Gesellschaft.
Nachdem es am vergangenen Wochenende zu neuerlichen Räumungen, Konfrontationen und Protesten mit Verletzten auf beiden Seiten gekommen war, stellte Ayrault, der zuvor auf der Unverhandelbarkeit des Projekts beharrt hatte, die Bildung einer Kommission in Aussicht, die den Dialog fördern soll. Gleichzeitig kündigten die Ökologie-, Transport- und Landwirtschaftsministerien an, die Rodungsarbeiten, die Anfang 2013 beginnen sollten, um sechs Monate aufzuschieben, um weitere Studien hinsichtlich der Umweltverträglichkeit des Projekts erstellen zu können.
Die Flughafengegner sprechen teils von einer ersten politischen Annäherung, bleiben aber zurückhaltend. Ihrer Forderung, dass sich die Sicherheitskräfte vom ZAD zurückziehen sollen, wurde bisher nicht entgegengekommen. So müssen diejenigen vor Ort sich auf weitere Repressalien gefasst machen. Sie wollen den Protest um jeden Preis aufrecht erhalten. Nicht wenige von ihnen hoffen auf ein neues Larzac. Auf dem Hochplateau Causse du Larzac im südlichen Zentralmassiv sollte in den siebziger Jahren ein Militärgebiet ausgeweitet werden. Die Gegnerinnen und Gegner des Projekts setzten sich durch, und Larzac gilt seitdem als das Symbol schlechthin für erfolgreichen Bürgerprotest in Frankreich.