Gediegen

Es gibt Sätze, die Epilepsie auslösen können. »Gauck fordert mehr Verantwortung beim Einkauf«, das ist so einer, und wer ihn unlängst auf der Titelseite der Süddeutschen las, der machte hoffentlich gleich einen Purzelbaum oder trank einen Schluck Fanta, um den anrollenden Irrsinn niederzuringen. Auf dem Höhepunkt seiner jahrzehntelangen Salbaderei und Gesäuselproduktion gibt uns der moralische Dauerlutscher und Bundespräsident Joachim »Joschka« Gauck jetzt auch Einkaufstipps. Den Bürgern müsse klar sein, so Gauck, »dass sie keine Jeans für zehn Euro kaufen könnten, ohne zur Unterdrückung der Menschen in den Herstellerländern beizutragen«. Und man sah sie, all die Hartz-IV-Mütter und Mini-Rentner, die Invaliden und Prekären, die aufschrien vor Erkenntnisseligkeit: Ja, Recht hat er! Lange wollte ich mich vor der Wahrheit drücken, aber es stimmt: Meine Hosen sind zu billig! Das Leid der Dritten Welt ist mir nicht gleichgültig; ich will in den Hosenladen laufen und mir eine 200-Euro-Markenjeans kaufen! Und dann sah man sie auf den Straßen in ihren strahlenden neuen Beinstulpen einherstolzieren; in ihren Augen der Glanz der guten Tat, lächelten sie ihr Zahnlückenlächeln. Zwar wussten sie, dass die Zehn-Euro-Jeans und die Markenbuchs in derselben indonesischen Giftküche hergestellt werden, und dass man, um eine in Deutschland gefertigte, 100prozentig nachhaltige Hose zu erhalten, sie vermutlich selbst nähen muss. Doch die Geste zählt! Und wirklich waren die Kinder in Indonesien ganz gerührt, dass die Deutschen einen Tag lang ihre schönsten Hosen für sie angezogen hatten, und dass auch der vielbeschäftigte Maul- und Volksheld Joachim Gauck an sie gedacht hatte. Dann aber läutete schon die Glocke für die fünfte Schicht.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.