Die Politik der linken Regierung in Uruguay

Gesetze des Minimums

Die linke Regierung in Uruguay hat einige progressive Gesetze geplant, doch die Entscheidungen darüber wurden vertagt.

Enttäuschung statt Enthusiasmus herrschte bei den wartenden Aktivisten nach der Sitzung des uruguayischen Senats am 26. Dezember. An diesem Tag sollte eigentlich ein Gesetz, das die gleichgeschlechtliche Ehe institutionalisiert, nach der Abgeordnetenkammer auch den Senat passieren und damit die letzte Hürde nehmen, bevor es durch die Unterschrift des Präsidenten in Kraft treten kann. Die Mehrheit der linken Regierungspartei Frente Amplio (FA) entschloss sich jedoch, einem Gesuch der Opposition zu entsprechen und die Entscheidung bis April zu vertagen, wenn sich das Oberhaus nach der Sommerpause wieder zusammenfinden wird. Damit enttäuschte der FA diejenigen Uruguayerinnen und Uruguayer, die eine Ausweitung sozialer Rechte fordern, zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit. Nur eine Woche zuvor hatte der Präsident José Mujica eine Gesetzesinitiative ausgesetzt, die die Freigabe von Marihuana unter staatlicher Aufsicht vorsieht. Und dabei sah es zunächst so aus, als würde der Sommer einer des Triumphs der sozialen Bewegungen Uruguays werden.

Neben den Initiativen für die Legalisierung der »Homoehe« und der Abgabe von Marihuana, die beide nun aufgeschoben wurden, wurde im Rahmen der »Agenda der neuen Rechte« im Oktober vergangenen Jahres auch beschlossen, Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche nicht mehr unter Strafe zu stellen. Die Regelung zu straffreien Abtreibungen sieht vor, dass eine Frau, die eine Schwangerschaft abbrechen möchte, sich von einem staatlichen Tribunal beraten lassen muss, dem jeweils eine Expertin oder ein Experte aus den Fachbereichen Gynäkologie, Psychologie und Soziologie angehören. Dort soll sie ihren Entschluss zum Schwangerschaftsabbruch begründen. Nach fünf Tagen Bedenkzeit folgt ein weiterer Termin mit dem Tribunal. Hält die Schwangere immer noch an ihrem Entschluss fest, kann die Schwangerschaft straffrei abgebrochen werden. Nach Kuba, Guyana, Puerto Rico und dem mexikanischen Bundesstaat Mexiko-Stadt ist Uruguay damit erst die fünfte Region Lateinamerikas, in der dies möglich ist. Gleichwohl kritisieren feministische Gruppen den Zwang zur Rechtfertigung vor einem Tribunal. »Das ist ein Gesetz des Minimums und nicht das, was wir uns gewünscht hätten«, sagte eine Repräsentantin der Gruppe Mujer y Salud (Frau und Gesundheit) der spanischen Tageszeitung El País im Oktober. Die Regelung wird als staatliche Bevormundung der Frauen kritisiert. Viele Feministinnen fordern die Verabschiedung eines weniger restriktiven Gesetzes. Ein solches hatte 2008 bereits beide Kammern des Parlaments passiert, nur um dann am Veto des damaligen Präsidenten Tabaré Vázquez, der ebenfalls Mitglied des FA ist, zu scheitern.

Der amtierende Präsident Mujica höchstpersönlich stellte im Juni die Gesetzesvorlage zur staatlich kontrollierten Freigabe von Marihuana zur Diskussion. Sie sieht vor, dass der Staat legal Cannabis produzieren und verkaufen darf. Auch der Eigenanbau und der Besitz von bis zu 40 Gramm soll legalisiert werden. Begründet wurde das Vorhaben mit dem Scheitern der bisherigen, rein repressiven Drogenpolitik in Lateinamerika. Denn nicht nur in Mexiko wird die Drogenmafia ständig einflussreicher, auch im beschaulichen Uruguay konnte sie Fuß fassen, wenn auch in deutlich geringeren Ausmaßen. Mujica spricht sich für eine Freigabe von Marihuana aus, um der Mafia damit wenigstens einen Teil des Marktes zu entziehen. Flankiert werden soll diese Liberalisierung allerdings durch eine Verschärfung der Strafen für Minderjährige bei Drogendelikten. Nach einigen Monaten der intensiven öffentlichen Diskussion sprachen sich kurz vor Weihnachten im Rahmen einer repräsentativen Umfrage 64 Prozent der Befragten gegen die Legalisierung von Marihuana aus. Grund genug für Mujica, seine Gesetzesinitiative vorläufig auszusetzen. Seine Landsleute seien »noch nicht reif« für diesen Schritt, ließ er verlautbaren und beteuerte, dass er das Projekt nicht begraben, sondern nur »sanfter vorantreiben« wolle. Man wolle sich mehr Zeit für die parlamentarische und öffentliche Debatte lassen.

Gleiches gilt nun auch für die Diskussion über die »Homoehe«. Während die Freigabe von Marihuana umstritten ist und das Abtreibungsgesetz sehr knapp mit 17 zu 14 Stimmen im Senat und 50 zu 49 Stimmen im Abgeordnetenhaus beschlossen wurde, herrscht in der Diskussion über die gleichgeschlechtliche Ehe bislang große Einigkeit. In der Abgeordnetenkammer votierten 81 von 87 Abgeordneten für die Vorlage. Sollte das Gesetz in Kraft treten, wären homosexuelle und heterosexuelle Partnerschaften vollständig gleichgestellt. Nach Argentinien wäre Uruguay damit das zweite Land Lateinamerikas und das zwölfte Land weltweit, in dem dies der Fall ist. Bislang konnten sich homosexuelle Paare in Uruguay bereits offiziell registrieren lassen und Kinder adoptieren.
Die Gesellschaft Uruguays ist im lateinamerikanischen Vergleich recht säkular geprägt. Die katholische Kirche und auch evangelikale Sekten haben entsprechend wenig Einfluss. In der Hauptstadt Montevideo, in der rund die Hälfte der drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Landes leben, sind verschiedene soziale Bewegungen aktiv, die sich für die »neuen sozialen Rechte« einsetzen. Der Gesetzentwurf zur gleichgeschlechtlichen Ehe wurde zum Beispiel durch das LGBT-Kollektiv Ovejas Negras (Schwarze Schafe) erarbeitet und in die Legislative eingebracht. Die Beziehungen der sozialen Bewegungen zum FA sind eng, aber von Spannungen geprägt. Die Regierungspartei ist eigentlich ein breites linkes Bündnis, dem unter anderem sozialistische, kommunistische und christlich-soziale Parteien angehören. Mujica gehört einer Teilpartei an, die von ehemaligen Mitgliedern der Stadtguerilla Tupamaros gegründet wurde. Als Mitglied der Guerilla verbrachte er 14 Jahre in Haft. Nur zehn Prozent seines Präsidentengehalts behält er selbst, den Rest spendet er an NGOs. Gemeinsam mit seiner Frau, der Senatorin Lucía Topolansky, lebt er bescheiden auf einem Bauernhof vor den Toren Montevideos. Dieser Lebensstil brachte ihm in der internationalen Presse den Titel des »ärmsten Präsidenten der Welt« ein. Sein Regierungsstil ist geprägt vom Streben nach gesellschaftlichem Fortschritt und einer starken Konsensorientierung. Damit symbolisiert und idealisiert er zugleich das politische Establishment Uruguays, das, wie Transparency International zuletzt im Dezember feststellte, wesentlich weniger von Korruption durchzogen ist als das der Nachbarländer. Das bedeutet allerdings nicht, dass es nicht in der Lage wäre, Unmut auf sich zu ziehen.
»FA, du bist ein Schisser!«, war auf einem Plakat während einer spontanen Protestkundgebung gegen die Verschiebung der Entscheidung zu lesen. Die Demonstrantinnen und Demonstranten fühlten sich hintergangen, nachdem ihnen in den Tagen zuvor immer wieder versichert worden war, dass das Gesetz am 26. Dezember den Senat passieren würde. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit dem Abtreibungsgesetz von 2008 sind sie misstrauisch und fürchten nun, dass bis April doch noch Zugeständnisse an die rechte Opposition gemacht werden. »Sollte dieses Gesetz aus irgendeinem Grund nicht in Kraft treten, liegt dies in der Verantwortung des FA«, sagte Federico Graña, Sprecher der Ovejas Negras und Mitglied des FA, auf der Kundgebung. Wie die linke Wochenzeitung Brecha berichtete, forderte er die Senatoren eindringlich auf, »kein Komma« der Gesetzesvorlage anzutasten.