Good cops, bad cops
Die Aufdeckung der NSU-Mordserie hat den deutschen Sicherheitsapparat erschüttert. Allein fünf Verfassungsschutzpräsidenten mussten seither zurücktreten. Ebenfalls verwickelt waren der Militärische Abschirmdienst, das Bundeskriminalamt und diverse Landeskriminalämter sowie die dazugehörigen Länderpolizeien. Einzig die Bundespolizei scheint in diesem Zusammenhang keine größere Schuld auf sich geladen zu haben. Auf ihrer Website geriert sie sich vor allem als Helferin bei Naturkatastrophen und Förderin des Leistungssports und wirbt neuerdings gezielt um »Mitarbeiter mit Migrationshintergrund«. Die Münchner Bundespolizeidirektion unterzeichnete kürzlich sogar die »Charta der Vielfalt«, und die Direktion am Flughafen Frankfurt/Main schloss sich Ende Dezember 2012 mit großem Tamtam der Initiative »Respekt! Kein Platz für Rassismus« an. Zur feierlichen Anbringung eines entsprechenden Schildes erschienen neben Niko Miosga, dem Organisator der Initiative, auch ZDF-Sportkommentator Thomas Wark, der Trainer des FSV Frankfurt, Slobodan Komljenović, und die Bundespolizistin und Hammerwurf-Weltmeisterin Betty Heidler. Good cops also? Ein 26jähriger Architekturstudent aus Kassel, der während einer Zugfahrt im Jahr 2010 nicht zum ersten Mal einer »verdachtsunabhängigen Personenkontrolle« durch die Bundespolizei unterzogen wurde, war nicht dieser Ansicht, denn Grund für die Kontrolle war die Hautfarbe des Studenten, wie einer der beteiligten Polizisten freimütig zugab. Der Student klagte und bekam im Oktober 2012 in zweiter Instanz Recht: Das Vorgehen der Polizisten verstoße gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, urteilte das rheinland-pfälzische Oberverwaltungsgericht. Die Bundespolizei entschuldigte sich daraufhin für das Fehlverhalten ihrer Beamten, und damit hätte es gut sein können, hätte nicht die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) diesen Fall zum Anlass genommen, eine Petition im Bundestag gegen »Racial Profiling« zu initiieren, eine von UN und EU längst geächtete Ermittlungspraxis. Inzwischen musste die Bundespolizei 57 ähnliche Fälle zugeben. Also kein persönliches Fehlverhalten, sondern eine routinemäßig rassistisch agierende Bundespolizei? Der Bundesgrenzschutz (BGS) – wie die Bundespolizei bis 2005 hieß – wurde am 16. März 1951 ins Leben gerufen. Aufgrund der Verbrechen der zentralisierten Polizeigewalt während der NS-Zeit hatten die Alliierten dem neuen deutschen Staat ursprünglich nur föderale, den Bundesländern unterstellte Polizeistrukturen zubilligen wollen, keine Bundespolizei. Aber mit der Gründung der DDR und dem Beginn des Kalten Krieges ändert sich diese Haltung und die Stabschefs der Alliierten fördern den Aufbau des BGS als paramilitärische Organisation mit einer Truppenstärke von 10 000 Mann zur Sicherung der innerdeutschen Grenze. Mit Anton Grasser, dem früheren Kommandierenden Wehrmachtgeneral der Heeresgruppe Narwa, wird ein hochdekorierter Streiter gegen die Rote Armee zum ersten BGS-Inspekteur berufen und die Sollstärke der Truppe wenig später verdoppelt. Mit dem Aufbau der Bundeswehr 1955 gehen dann zwar große Teile des BGS in dieser auf, was aber nur zu einer kurzzeitigen Schwächung der Truppenstärke führt und nichts an der militärischen Ausrüstung des BGS mit Schützenpanzern, leichter Artillerie und Panzerfäusten ändert. Zwar haben die Einheiten im Falle kriegerischer Auseinandersetzung an der innerdeutschen Grenze jetzt nur noch »Pufferfunktion«, können aber – im Gegensatz zur Bundeswehr – im Falle eventueller Aufstände oder kommunistischer Umsturzversuche auch im Inland eingesetzt werden. Neuer Inspekteur wird 1956 Kurt Georg Heinrich Andersen, der nicht erst als Flak-Kommandeur in der Endschlacht um Berlin gegen die Sowjets kämpfte, sondern schon 1919 entsprechende Erfahrungen im Freikorps »Eiserne Division« sammeln konnte, das sich ohne staatliches Mandat den Bolschewisten im Baltikum entgegenstellte. Nach der Auflösung des Korps 1920 taten sich dessen Kämpfer sowohl im faschistischen Kapp-Putsch als auch bei der anschließenden Niederschlagung des linken Ruhraufstands hervor – letzteres als Teil der gerade neu gegründeten paramilitärischen Sicherheitspolizei, der auch Andersen angehörte. Wie der alte Herr, so’s neue Gescherr: In den BGS-Kasernen wird in den fünfziger Jahren gern das »Schlesierlied« gesungen oder: »An die Gewehre! An die Gewehre!/Kamerad, da gibt es kein Zurück,/Fern im Osten stehen dunkle Wolken./Komm mit und zage nicht, komm mit!« Historienartikel der BGS-Zeitschrift Parole halluzinieren glückliche germanische Urzeiten mit »freien Stammes- und Gauführern«, die fatalerweise von der »übernommenen griechisch-römischen Kultur überdeckt« worden seien, bis »durch das emporstrebende Preußen Deutschland sich auf seine eigenen geistigen Werte wieder zu besinnen begann«. Eine solche Rückbesinnung sei nun wieder an der Zeit, heißt es weiter, und zwar explizit gegen »die Geschichtsverneinungen und Geschichtsfälschungen der Zeit nach dem Zusammenbruch dieses Führerstaates«, dem hier einzig ein »übersteigertes Führerprinzip« zur Last gelegt wird. Damit ist der frühe BGS wahrlich »Träger bester deutscher Tradition (…) bei der Wiedergeburt deutschen Soldatentums«, wie es Bundeskanzler Konrad Adenauer seinerzeit formulierte. 1964 darf der BGS erstmalig an einem Manöver der US-Streitkräfte teilnehmen, 1965 wird sein Kombattantenstatus, der Einsatz im Kriegsfall, auch gesetzlich verankert. Erst mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968 und anlässlich der Studentenunruhen treten für den BGS polizeiliche Aufgaben in den Vordergrund. Er wird nun bei Großdemonstrationen eingesetzt und wenig später auch im Rahmen der Rasterfahndungen gegen die RAF. Als die Geiselnahme bei der Olympiade 1972 in München aufgrund des kompletten Versagens der bayerischen Polizei in einem Blutbad endet, sind sich Politik und Presse schnell einig, der Kardinalfehler sei die Nichtanforderung des BGS gewesen. Innenminister Hans-Dietrich Genscher veranlasst daraufhin die Aufstellung der BGS-Antiterroreinheit GSG9, zu deren Gründungsmythos die erfolgreiche Geiselbefreiung in Mogadischu 1977 wird. Im Vorjahr hatte sich der BGS, auch als Folge der deutsch-deutschen Entspannung durch die Ostverträge, allerdings von seiner Rolle als Ersatzarmee weitgehend verabschieden müssen. Mit der Umbenennung der Militär- in Polizeidienstgrade beginnt die Umstrukturierung zur heutigen Bundespolizei. Man muss sich von Teilen der militärischen Ausrüstung verabschieden und ist fortan nicht mehr Oberst, sondern Direktor, nicht mehr Brigadegeneral, nur noch Kommandeur. Dafür hat das kasernierte Nichtstun ein Ende. Neben Demonstrations- und Anti-Terror-Einsätzen wird Ende der siebziger Jahre die Abwehr »unkontrollierter Einwanderung« zu einem Tätigkeitsbereich der Truppe. Vorbei ist die Zeit sentimentaler Gastarbeiter-Schlager wie »Zwei kleine Italiener« (Conny Froboess) oder »Griechischer Wein« (Udo Jürgens). Seit 1973 gilt ein allgemeiner Anwerbestopp, und dem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Jahren 1975 und 1976 begegnet die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt zusätzlich mit neuen Visapflichten. Deutschland beginnt, sich abzuschotten. Einwanderung gibt es nur noch mittels Familiennachzug oder Asylantrag und beides wird immer mehr erschwert. Anfang der achtziger Jahre berauschen sich Politik und Medien kollektiv am völkischen Gruselbild vom vollen Rettungsboot. Hilfe nur noch für Blutsdeutsche, alle anderen zurück ins Meer. Das ist die neue Aufgabe, die dem BGS nun zufällt: Abschiebung. Damit beginnt eine bis heute andauernde, erschütternde Serie von Suiziden in Abschiebehaft und gewalttätigen Übergriffen auf inhaftierte Flüchtlinge bis hin zu fahrlässiger Tötung, wie 1999 im Falle Aamir Ageebs. Schon in den achtziger Jahren werden allerlei kreative Gesetzesänderungen ersonnen, die dem BGS seine neue Aufgabe erleichtern sollen. Letzte diesbezügliche Amtshandlung der Regierung Schmidt wird die bis heute gültige und in Europa einzigartige Einführung der Residenzpflicht für Asylbewerber im Juli 1982. Zwei Monate später wird Schmidt von Helmut Kohl abgelöst, der das Asylrecht gleich so grundsätzlich ändern will, dass es einer Abschaffung gleichkommt. Auf die nötige Zweidrittelmehrheit im Bundestag muss er jedoch bis zum Pogrom von Rostock-Lichtenhagen 1992 warten. Inzwischen ist Deutschland – im Sinne des Schengener Abkommens – nur noch von »sicheren Drittstaaten« umgeben, und der BGS hat mit der Übernahme von Luftsicherung und Bahnpolizei 1990 alle öffentlichen Verkehrsmittel unter Beobachtung. 1998 werden im Bundespolizeigesetz zudem verstärkte Kontrollmöglichkeiten für alle Verkehrswege, die der Grenzüberschreitung dienen können, festgeschrieben. Die »Schleierfahndung« ist erfunden und wird unter dem Titel »verdachtsunabhängige Personenkontrolle« alsbald auch von den meisten Länderpolizeien übernommen. Wenn aber kein Verdacht vorliegt, bedeutet das Willkür, die auch nach deutschem Recht verboten ist, Auswahl per Zufallsgenerator oder eben Stichprobe nach Augenschein, wie etwa beim Zoll. Dort betreibt man das nötige Profiling offiziell vor allem anhand von Verhaltensmustern. Ein Bundespolizist dagegen, der seine Erfolgserlebnisse aus der Verhaftung und Abschiebung von Flüchtlingen bezieht, wird zwangsläufig »Racial Profiling« betreiben, meist ergänzt durch »Social Profiling«. Das liegt in der Natur der Sache, egal, ob es gegen das Grundgesetz verstößt oder sich die Bundespolizei nachträglich dafür entschuldigt. Flüchtlinge sind selten blond und blauäugig, wenn doch, tragen sie keine Armani-Anzüge – jeder Polizist weiß das. Es braucht also keine offizielle Dienstanweisung für »Racial Profiling«, und eine Dienstanweisung dagegen wäre zwecklos. Was hier aufeinandertrifft, sind der medial geschürte allgemeine Rassismus, der Menschen anderer Hautfarbe längst auch für Nicht-Polizisten grundsätzlich verdächtig macht, und der schon instrumentell angelegte Rassismus solcher »verdachtsunabhängiger Personenkontrollen«. Hinzu kommt der institutionelle Rassismus einer Bundespolizei, die vor allem deshalb nicht in die Skandale rund um den NSU-Terrorismus verwickelt war, weil ihre Hauptaufgabe seit fast 40 Jahren in der Bekämpfung von »illegaler Einwanderung« liegt. Auch ihr neu hinzugekommenes Tätigkeitsfeld mit dem absurden Titel »Ausländerterrorismus« ist sicher nicht geeignet, rassistische Vorverurteilungen zu verhindern. Fast mit Rührung mag man sich da an den BGS der fünfziger und sechziger Jahre erinnern, als der Feind zwar auch nicht rechts, aber immerhin »nur« links stand und somit wenigstens nicht rassistisch, sondern politisch definiert war. Zum Themenbereich »Flucht und Vertreibung« erschien 1964 in der BGS-Zeitschrift Parole die Geschichte einer Jugoslawin, die gemeinsam mit einer Freundin ihr Land verlässt, »weil ihnen die Verhältnisse dort nicht mehr gefielen« – was damals auch dem BGS noch als ausreichender Grund galt. Nach diversen unschönen Verwicklungen in Südamerika schmuggelt sich die inzwischen mittellose Frau als blinde Passagierin auf ein Schiff nach Europa. Auf hoher See gibt sie sich zu erkennen, und deutsche Mitreisende sammeln Geld für sie. »Blieb nur zu hoffen, dass die Grenzpolizei eines europäischen Hafens sie von Bord ließ. Und sie hatte Glück! Die Wasserschutzpolizei im Hamburger Hafen (…) schaltete das Ausländeramt, das Sozialamt und die Evangelische Auswanderungsmission ein, und schon nach kurzer Zeit konnte ihr eine Stelle als Kindergärtnerin vermittelt werden.« Schon der vor den Nazis geflohene Komponist Hanns Eisler kam im amerikanischen Exil zu der Erkenntnis, die Deutschen hätten nur »zwei schreckliche Kategorien« für den Umgang mit anderen Menschen: »sentimental und brutal«.