Rassistische Polizeikontrollen in NYC

Bewegung macht verdächtig

In New York City werden zur präventiven Verbrechensbekämpfung Personen auf der Straße massenhaft durchsucht. Gegen die rassistische Kontrollpolitik wächst der Widerstand, ein Gericht stufte die Kontrollen nun teilweise als verfassungswidrig ein.

»Furcht einflößen« wolle er den jungen Schwarzen und Latinos in New York, so dass »sie jedes Mal, wenn sie das Haus verlassen, daran denken, dass sie kontrolliert werden können«, beschrieb Polizeichef Raymond Kelly dem New Yorker Senator Eric Adams 2010 seine unter dem Namen »Stop and Frisk« (anhalten und durchsuchen) bekannt gewordene polizeiliche Strategie. Kelly hat seinen Worten Taten folgen lassen. In vielen Vierteln Brooklyns und der Bronx sind großflächige Polizeikontrollen Teil des Alltags, doch der Widerstand wächst. Anfang Januar hat nun ein Bundesgericht einen Teil des Programms »Stop and Frisk« der New Yorker Polizei (NYPD) für verfassungswidrig erklärt. »Völlig außer Kontrolle geraten« sei es unter der Regierung des Bürgermeisters Michael Bloomberg, meint die Bürgerrechtsorganisation New York City Civil Liberties Union (NYCLU). Während die New Yorker Polizei für das Jahr 2002 noch 97 000 Kontrollen meldete, waren es 2011 bereits 685 000, rechnet die NYCLU in ihrem jüngsten Jahresbericht vor. Die Dunkelziffer nicht gemeldeter Kontrollen schätzt Harry Levine auf mindestens weitere 200 000 bis 300 000 Fälle. Der Professor für Soziologie aus Queens forscht zu »Stop and Frisk«, im Zuge dessen die Polizei Menschen anhalten, befragen und durchsuchen kann. Es sei »ein phantastisches Mittel, um einen bedeutenden Teil der Bevölkerung zu kriminalisieren«, urteilt Levine. In Vierteln wie Brownsville, Bedford-Stuyve­sant (Brooklyn), East Harlem (Manhattan) oder Hunts Point (Bronx) werden anteilig zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung kontrolliert. 2011 waren stadtweit 53 Prozent der Kontrollierten Schwarze, 34 Prozent Latinos und nur neun Prozent Weiße. 88 Prozent der Kontrollierten waren unschuldig in dem Sinne, dass auf die Kontrolle keine Verhaftung oder Gerichtsvorladung folgte. In nur 1,9 Prozent aller Fälle, in denen im Zuge der Kontrolle eine Durchsuchung erfolgte, fanden die Beamten des NYPD Waffen, eigentlich eine Voraussetzung für die Durchsuchung. In 51 Prozent der Fälle wurde von den Polizeibeamten als Grund der Kontrolle »verdächtige Bewegungen« auf ihren in Multiple-Choice-Form gehaltenen Dienstformularen angekreuzt. Doch seit einigen Monaten nimmt in New York der Widerstand gegen die Kontrollen zu. Im Sommer protestierten Tausende junge New Yorker mit einem Schweigemarsch von Harlem bis zum Haus Bloombergs in der wohlhabenden Upper East Side gegen »Stop and Frisk«. Im Oktober befeuerte ein Kurzfilm, den das Magazin The Nation veröffentlichte, die Debatte erneut. Mit seinem Smartphone hatte ein Teenager aus Harlem heimlich dokumentiert, wie er bei einer Kontrolle von Polizisten beschimpft, bedroht und gedemütigt worden war. In einem Video mit dem Titel »Die Gejagten und Gehassten« berichten Polizisten anonym darüber, dass sie von ihren Vorgesetzten unter Druck gesetzt würden, bestimmte Quoten bei den Kontrollen zu erfüllen. Ende Dezember urteilte ein Gericht, dass die Speicherung von Daten unschuldiger Kontrollierter, die die Polizei seit 2006 praktiziert, illegal sei. Das NYPD würde die Daten zur »Nutzung in zukünftigen Ermittlungen« speichern, hatte Kelly 2009 in einem Brief an einen Abgeordneten des Stadtrats geschrieben. »Systematisch überschritten« habe das NYPD die Grenze zu verfassungswidrigem Verhalten in Tausenden Fällen, urteilte Shira A. Scheindlin, Richterin am Bundesgericht in Manhattan, Anfang Januar. Die Beamten hätten routinemäßig Menschen ohne ausreichenden Verdacht kontrolliert und damit den vierten Verfassungszusatz gegen unrechtmäßige Durchsuchung und Beschlagnahmung verletzt. Scheindlin ordnete an, dass das NYPD die Kontrollen im Rahmen des »Trespass Affidavit Program« (TAP) bis auf weiteres beenden müsse. Beim TAP hatten Vermieter der Polizei das »vertikale Patrouillieren« nicht nur vor, sondern auch in privaten Wohngebäuden in der Bronx erlaubt. Das Urteil sei »ein wichtiger Schritt hin zur Auflösung des Stop-and-Frisk-Programms« gewesen, sagte Donna Lieberman, Direktorin der NYCLU. Der Soziologe Levine bleibt skeptisch: »Die New Yorker Polizei wird periodisch von Skandalen erschüttert.« Ändern würde sich meist wenig im 4,5 Milliarden Dollar verschlingenden Polizeiapparat der Stadt. Die Skepsis Levines ist begründet. Bereits 1999 marschierten Tausende wütende Jugendliche von Brooklyn zum Rathaus in Lower Manhattan, um gegen racial profiling und Polizeigewalt zu demonstrieren. 2003 wurde die New Yorker Polizei gerichtlich dazu verpflichtet, eine Richtlinie gegen racial profiling einzuführen, doch diese hat offenbar wenig Wirkung gezeigt. Auch wenn Bloomberg nicht wie sein Vorgänger Rudolph Guilani für Law-and-Order-Parolen bekannt ist, verwaltet er dessen Erbe. Guilani hatte in den neunziger Jahren, der Theorie der »Broken Windows« folgend, derzufolge Toleranz von Unordnung schwere Kriminalität nach sich ziehe, eine »Zero-Tolerance«-Politik eingeführt, die weltweit nachgeahmt wurde. Auch weil sie als erfolgreich gilt: Immerhin ging die Zahl der Verbrechen in NYC zwischen 1990 und 2007 um 77 Prozent zurück. »Zero Tolererance« bedeutet jedoch auch, dass bereits einfache Ordnungswidrigkeiten und abweichendes Verhalten nicht toleriert werden, es geht weniger um die Verfolgung konkreter Straftaten als um ihre Prävention. Dieser Logik folgend verteidigen Bloomberg und Kelly »Stop and Frisk« mit dem Argument, die niedrige Zahl konfiszierter Waffen zeige, dass die erwünschte Abschreckung offensichtlich funktioniere. Ungeachtet aller Kritik genießt die Kontrollpolitik Bloombergs in New York weiterhin Zustimmung. Er warnt, ohne sie würde New York, wie während der Crack-Epidemie der achtziger Jahre, erneut »die Kontrolle über die Straße verlieren«. Einer Umfrage der New York Times zufolge hielt die Mehrheit der Befragten »Stop and Frisk« für »akzeptabel«, vor allem die schwarze Bevölkerung lehnt diese Praxis jedoch ab. Doch die Kritik scheint allmählich Wirkung zu zeigen. Vorigen Sommer versprach Bloomberg, die Zahl der Kontrollen zu reduzieren. In den ersten drei Quartalen des vorigen Jahres sank deren Zahl immerhin um 14 Prozent auf 443 422 Kontrollen, auch wenn endgültige Zahlen für 2012 noch nicht vorliegen. Das Urteil zu den Kontrollen im Zuge des TAP wird diesen Trend vermutlich verstärken. Das Urteil ist auch deswegen bedeutsam, weil Scheindlin in den kommenden Monaten über zwei weitere Klagen gegen »Stop and Frisk« entscheiden wird: Im Verfahren »Mathews vs. The City of New York« geht es um das Quotensystem für die Kontrollen. Das Verfahren »Charles vs. The City of New York« behandelt einen von mehreren Fällen, in denen Außenstehende Kontrollen auf Videokamera dokumentiert hatten und dafür anschließend verhaftet wurden. Dass kritische Beobachtung bei der New Yorker Polizei nicht gern gesehen ist, verdeutlicht auch die Geschichte von Christina Gonzalez und Matthew Swaye. Die Aktivisten aus Harlem hatten immer wieder Polizeikontrollen gefilmt und ihre Videos auf Youtube gestellt. Letzten Sommer fanden die beiden ihre Gesichter und Adressen auf einem Steckbrief in einem Polizeirevier in Harlem wieder. Sie stellten Polizeibeamte in einer »negativen Art und Weise« dar und hinderten »diese an der Ausübung ihrer Pflichten«, wurde dort gewarnt. In der Überschrift des Steckbriefs wurden sie dem lokalen Nachrichtenportal DNA Info zufolge als »professionelle Agitatoren« bezeichnet.