Hans-Christian Ströbele im Gespräch über Waffenhandel, Menschenrechte und die Rüstungsexporte unter Rot-Grün

»Es findet ein Lernprozess statt«

Der Mitbegründer der Berliner Grünen, Hans-Christian Ströbele, war von 1985 bis 1987 und ist wieder seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestags. Er gehört seit 2009 dem Auswärtigen Ausschuss an.
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Erstmals ist 2011 international der Umsatz der Rüstungsindustrie ein wenig zurückgegangen, außer in Deutschland. Hier geht der Rüstungsboom weiter. Hätten Sie es lieber, wenn es der Exportwirtschaft weniger gut ginge?
Nein, natürlich wollen wir, dass die deutsche Exportwirtschaft stabil bleibt und vor allem auch denen nutzt, die bisher am Reichtum zu wenig Anteil haben. Aber das kann natürlich nicht auf Kosten von Menschenrechten gehen wie bei Militärexporten.
Im März wird wieder über einen internationalen Vertrag zur Kontrolle des Waffenhandels verhandelt. Was wäre das bestmögliche Ergebnis?
Das, was wir für Deutschland verlangen, das sollte auch international, in Europa gelten. Erstens muss eine gesetzliche Regelung her, damit die hehren Grundsätze, die in den Exportrichtlinien der Bundesregierung ja schon stehen, bindend sind, und sie im Falle ihrer Verletzung eingeklagt werden können. Zweitens wollen wir erreichen, dass die Parlamente sich einmischen können. Bei kritischen Rüstungsexporten muss durch eine Information vorab dem Parlament die Möglichkeit gegeben werden, sich damit zu befassen, wie es zum Beispiel Ende 2011 in Holland bei der geplanten Panzerlieferung nach Indonesien der Fall war. Da hat das niederländische Parlament auf Antrag der Grünen entschieden, dass diese Panzerlieferung nicht stattfinden soll. Indonesien hat daraufhin verkündet, das Geschäft dann eben mit Deutschland zu machen. Ein ganz wichtiger Punkt ist auch, dass ein Verbot der Weitergabe von Rüstungsexporten an Drittländer nicht nur durch eine Zusage der jeweiligen Regierung garantiert wird, sondern dass auch kontrolliert und es gegebenenfalls sanktioniert wird, wenn eine Regierung eine solche Zusage nicht einhält.
Peer Steinbrück hat angekündigt, im Falle eines rot-grünen Wahlsieges im Herbst »den Hebel bei Waffenexporten umlegen« zu wollen. Wird das Thema Waffenhandel auch ein Wahlkampf­thema der Grünen?
Ja, ganz eindeutig. Die Bundesregierung hat schamlos alle Beschränkungen des Rüstungsexports durch die Genehmigung der Lieferungen nach Saudi-Arabien mißachtet – mutmaßlich, denn es ist ja leider immer noch nicht amtlich wegen der Heimlichtuerei. Gerade Saudi-Arabien tritt die Menschenrechte mit Füßen, wo es nur geht, und schreckt auch nicht davor zurück, im Nachbarland Bahrain mit Panzern Demokratiebewegungen niederzuwerfen.
Rot-Grün hat gerade bei diesem Thema ja ein immenses Glaubwürdigkeitsproblem, immerhin sind in Ihrer Regierungszeit die Rüstungsexporte erheblich gestiegen, und auch solche in Problemregionen, wie etwa nach Saudi-Ara­bien, wo sich damals die Exporte von 26 auf 60 Millionen Euro mehr als verdoppelt haben.
Inzwischen sind es 1,3 Milliarden. Aber richtig ist, wir haben damals unter Rot-Grün gegen die Exporte gekämpft, aber leider nur zum Teil erfolgreich. Rüstungslieferungen von Panzern an die Türkei konnten wir verhindern, andere nicht. Daraus haben wir gelernt. Ich sehe jetzt mit Freude, dass die SPD ebenfalls einen Antrag eingebracht hat, wonach Rüstungsexporte eingedämmt und Menschenrechtskriterien durch Gesetz bindend werden sollen.
Die Menschenrechte sind bei den Rüstungsexportbedingungen ja nur eines von mehreren Kriterien und auch nicht bindend, denn es wurde ja trotzdem – auch unter Rot-Grün – nach Saudi-Arabien geliefert. Was taugen diese Kriterien also überhaupt?
Nun, die Relevanz der Menschenrechtsfrage ist inzwischen sehr viel stärker anerkannt. Das liegt an der Erfahrung, die mit Waffenlieferungen an autoritäre Regime im Nordafrika gemacht wurde. Diese Waffen wurden gegen die Demokratiebewegung eingesetzt. Danach gab es heilige Schwüre von europäischen Regierungen, auch von unserer, das dürfe nie wieder passieren. So haben wir Gegner der Rüstungsexporte für die Argumenta­tion erheblichen Rückenwind. Da findet ein Lernprozess statt.
Dieser Rückenwind hat aber doch nur rhetorischen Charakter. Tatsächlich ist doch das Gegenteil der Fall. Es gab noch nie so viele Rüstungsexporte in Staaten, die nicht der Nato oder der EU angehören, und auch in Krisenregionen wie derzeit.
Stimmt. Das darf nicht sein, da muss auf jeden Fall der Hebel umgestellt werden. Wir gehen mit der Forderung in den Wahlkampf und hoffen, dass die Bevölkerung uns abnimmt, dass nicht nur wir dazugelernt haben und es in Zukunft anders sein wird.
Im Rüstungsexportbericht werden nur gelieferte Waffen aufgezählt. Doch exportiert werden auch Know-How, Produktionslizenzen und Software. All das taucht nirgendwo auf.
In unseren Forderungen taucht das auf! Ich selbst kümmere mich sehr um das Thema und habe immer wieder versucht, mit Parlamentarischen Anfragen etwas Licht in das Dunkel von Lieferungen etwa von Know-How an Syrien und Libyen zu bringen. Wir problematisieren, fordern Informa­tionen, aber die Bundesregierung blockt ab. Sie zieht sich darauf zurück, bei sogenannten Dual-Use-Geschäften sei nicht klar, ob die gelieferten Güter oder das Wissen zum Segen der Bevölkerung eingesetzt werden oder zu ihrer Unterdrückung. Ich sehe das völlig anders.
In Mexiko sind in vier Bundesstaaten, für die keine Exportgenehmigung vorlag, deutsche Sturmgewehre von Heckler & Koch aufgetaucht. Wie kann das sein?
Ich habe inzwischen herausgefunden, dass die Lieferungen unter dem Vorbehalt genehmigt worden sind, dass diese G36-Gewehre eben nicht in die betroffenen vier Bundesstaaten geliefert werden. Die mexikanische Regierung sagt nun aber, sie habe von dieser Auflage gar nichts gewusst. Ich weiß nicht, wem die Auflage mitgeteilt worden ist, mindestens Heckler & Koch. Deshalb fordere ich, dass in Zukunft erstens selbstverständlich die Regierungen der Staaten, in die geliefert wird, informiert werden, und dass die Einhaltung von Auflagen auch kontrolliert wird. Um den gravierenden Verstoß im Fall Mexiko kümmert sich jetzt ja zu Recht die Staatsanwaltschaft. Heckler & Koch sollte bis zur Klärung dieser und anderer Verstöße keine Exportgenehmigung mehr erteilt werden.
Gehört Mexiko auf die Liste der Staaten, die gar nicht beliefert werden sollten?
Grundsätzlich sollte man in Länder, in denen seit Jahren ein Drogenkrieg mit über 50 000 Toten stattfindet, keine Waffen liefern. Aber die Drogenkartelle haben wenig Mühe, sich Waffen zu beschaffen. Die staatlichen Sicherheitskräfte sind kaum in der Lage, mit ihnen fertig zu werden – häufig sind sie wie in Mexiko korrupt und verstrickt in Drogenhandel und Verbrechen, also Teil des Problems. Wenn es möglich ist, durch Reformen, Ausbildung und Kontrolle eine andere Ausrichtung der Polizei und Sicherheit für die Bevölkerung im Lande herzustellen, sollten wir helfen.
Die CDU argumentiert in Bezug auf Saudi-Arabien, die Waffenlieferungen seien sinnvoll, weil das Land eine wichtige Kraft im Nahen Osten sei und die hegemonialen Ambitionen des Iran eindämmen könnte. Ganz grundsätzlich: Sollten solche geostrategischen Überlegungen eine Rolle spielen bei der Frage, wohin Waffen exportiert werden?
Solche Fragen können eine Rolle spielen, dürfen aber nicht entscheidend sein. Die politische und die Menschenrechtslage im Land insgesamt, also ob es dort eine Konflikt- oder gar Kriegssituation gibt, ist ausschlaggebend. Das Argument »Stabilitätsfaktor« kennen wir zu genüge. Das ist vergiftet. Früher war das immer Ägypten. Inzwischen weiß jeder, dass dies auf Kosten der Menschenrechte ging.
Die Partei »Die Linke« lehnt Waffen- und Rüstungsexporte generell ab. Würden Sie sich ­einer solchen Forderung anschließen?
Ich unterstütze eine parteiunabhängige, bundesweite Initiative, die dies langfristig erreichen will. Man muss die Industriezweige, die mit Kriegswaffen Geld verdienen, dazu bringen, ihre Produktion umzustellen. Langfristig sollten aus Deutschland keine Kriegswaffen mehr exportiert werden.
Gäbe es denn Waffenlieferungen, die Sie unterstützen würden? Die Kampagne »Waffen für El Salvador« haben Sie ja seinerzeit unterstützt.
Ja, das habe ich, und das halte ich auch nach wie vor für richtig. Da gab es ein Militärregime in El Salvador, das die Bevölkerung, insbesondere die Bauern und die Armen, nicht nur unterdrückte, sondern auch massakrierte. Der Auslöser für die Sammlung war die Erschießung des Erzbischofs auf der Kanzel. Da haben wir gesagt, es ist dort richtig, revolutionär und auch mit Waffen dieses Regime zu stürzen. Da ging es aber nicht um Panzerlieferungen, sondern um die Unterstützung des gerechten bewaffneten Kampfes.
Könnte man mit derselben Argumentation nicht heute auch Waffen für die syrische Opposition fordern?
In Syrien ist kaum zu unterscheiden, wem eine Unterstützung zugute kommt, den Rebellen, die anschließend ein islamistisches Regime errichten, oder denen, die Menschenrechte und demokratische Freiheiten für alle wollen. Schon aus diesem Grund ist es falsch und nicht gerechtfertigt, auch nur zu erwägen, in diesen Krieg mit Waffenlieferungen zu intervenieren.