Der letzte Akt beginnt

Jede herschende Klasse bringt in jeder Ära ihrer Entwicklung einen repräsentativen Typus hervor. So erscheint im feudalen Europa zunächst der Ritter, der Barbar, der sich durch ein Ideal zu disziplinieren versucht. Im Frühbarock wird der Höfling repräsentativ, der zwar einen Degen trägt, sich aber vor allem durch Beachtung der Etikette und die Fähigkeit zu geistreicher Plauderei auszeichnet. Im Rokoko wird der Höfling immer feinsinniger, kapriziöser und blasser. Er schminkt sich bleich und trägt eine weiße Perücke. Die Aristokratie inszeniert ihren eigenen Totentanz und tritt stilvoll ab.
Der Aufstieg der Bourgeoisie beginnt als Drama. Als erster Held erscheint der Kriegsherr, zur See wie Sir Francis Drake oder an Land wie Oliver Cromwell. Auch der Fernhändler, der ihm folgt, ist bei Bedarf noch ein Feldherr, ebenso wie der bürgerliche Revolutionär. Der dann aufsteigende Industriebaron gibt gelegentlich Mordaufträge, doch lieber bedient er sich der Bestechung. Er ist noch eine dramataugliche Figur, bereitet aber schon den Aufstieg des Managers, des kapitalistischen Höflings, vor. Dieser dient seinem König, dem Kapital, unter Beachtung der Etikette des Lobbyismus und Korporati­vismus. Geistreich muss er nicht sein, doch schmückt er sein Büro mit Kunst, die Experten für modern erklären, und tritt als Sponsor der Kultur auf.
Treten wir nun in die Epoche eines kapitalistischen Rokoko ein? Repräsentativ wären dann wohl die Polit­clowns, und zwar weniger jene, die fast allen als solche gelten, als die Exponenten der unfreiwilligen Komik. »Es gibt keinen Anlass, an der Stabilität des deutschen Finanzsystems zu zweifeln«, sagte Peer Steinbrück am 16. September 2008 anlässlich der Pleite von Lehman Brothers. So etwas kann auch Angela Merkel: »Deutschland ist und bleibt ein weltoffenes Land.« In beiden Fällen hat das Publikum den Witz nicht verstanden, aber es handelt sich ja auch nicht um eine bewusste Inszenierung. Vielmehr ist die Bourgeoisie lächerlich geworden, ohne es zu bemerken, und das kann nicht ohne Auswirkungen auf ihr Personal bleiben. Wer die Schaffung eines künstlichen Abgasmarkts für Umweltschutz hält und Computer nicht nur mit Aktien handeln lässt, sondern sie auch anweist, einander mit falschen Angaben zu täuschen, führt eine Komödie auf. Schon eine Groteske ist es, dass die Bourgeoisie, die ihr Überleben »Rettungspaketen« verdankt und sich enger denn je an den Staat schmiegt, auf der Bühne unermüdlich die Privatinitiative preisen lässt. Um den Spielplan zu ändern, müssten die Zuschauer Autoren und Regisseure werden. Derzeit aber kann es schon als Zeugnis politischer Reife gelten, wenn die Menschen eines Landes bewusst ihre Politclowns wählen, während sie in einem anderen den ihren mit ernster Miene lauschen, weil sie noch nicht bemerkt haben, dass sie im Theater sitzen.