Die italienische Wahl und die Euro-Krise

Heikle Experimente

Mit der Wahl in Italien tritt die Euro-Krise in ein neues Stadium ein. Es droht ein Szenario, in dem autoritär-populistische Krisenstrategen auf destabilisierte Institutionen treffen.

Nach den Wahlen in Italien war in den ersten Kommentaren unverzüglich von der Rückkehr der Euro-Krise die Rede. Sie war freilich nie vergangen. Vielmehr tritt sie jetzt in eine neue, man kann sagen experimentelle Phase ein.
Nur ein paar Tage nach dem Schock darüber, dass die Bewegung des Komikers Beppe Grillo de facto die stärkste politische Kraft Italiens geworden ist, konnte man die ersten Berichte darüber lesen, dass die italienischen Wirtschaftsführer eigentlich nichts an ihm auszusetzen haben: Grillo hat die Gewerkschaften offen attackiert und möchte ihre Rechte radikal beschneiden. Italiens Hochleistungsregion, der Veneto, wählte die Grillini, Mittelstandsunternehmer schwärmen von Grillos antibürokratischem Eifer. Zwar kann sich Grillo immer noch vorstellen, dass Italien die Euro-Zone verlässt. Seine Wirtschaftsexperten korrigieren aber, dass es nicht um den Austritt aus dem Euro gehe, sondern um eine Neuverhandlung der Schulden.
Alles halb so schlimm? Grillo könnte tatsächlich für einen neuen Klassenkompromiss stehen, den auch die EU goutiert: Sein Antibürokratismus, die Verachtung des alten Klientelismus und der Korruption scheinen der Nenner zu sein, auf den sich seine zahlreichen jugendlichen, eher links stehenden Wähler und seine Unternehmerfreunde einigen können. Schließlich zählen auch die Gewerkschaften zu jenem System, dessen Untergang Grillo für die kommenden sechs Monate vorhersagt. Grillo könnte also das starre Verwaltungssytem in Italien aufbrechen und somit der Wirtschaft zu neuer internationaler Konkurrenzfähigkeit verhelfen, so die vage Hoffnung.

Allerdings wäre dieser Klassenkompromiss in der Tat experimentell, weil man, vom Kampf gegen die Bürokratie abgesehen, schlicht noch nicht weiß, was sein Inhalt wäre: staatlich finanzierte Beschäftigungsprogramme für die arbeits­losen jungen Leute? Abbau gewerkschaftlicher Rechte, dafür aber ein garantierter Mindestlohn? Woher käme dafür das Geld? Zudem ist das Experiment politisch heikel: Grillo steht für eine bürgerliche Politik, die die Institutionen bürgerlicher Politik offen verhöhnt. Aus der europäischen Geschichte kennt man dafür nur ein Beispiel: den Faschismus. Nun bevorzugt Grillo offensichtlich keine imperialistisch-rassistische Rhetorik. Allerdings zielt seine Bewegung direkt auf den Ausnahmezustand, auf die Handlungsunfähigkeit der politischen Institutionen durch Blockade. Die EU unter der Hegemonie Deutschlands wird wohl kein zweites Mal eine Expertenregierung unter der Führung eines Technokraten wie Mario Monti installieren können, die Initiative läge also auf Seiten einheimischer populistisch-autoritärer Krisenstrategen. Sie würden auf destabilisierte Institutionen treffen – kein beruhigendes Szenario.
Beobachter machen in allen von der Rezession betroffenen Ländern Südeuropas eine Erosion jener Institutionen aus: Linke wie rechte Parteien können dem Spardiktat aus Brüssel nichts entgegensetzen, sondern bewegen sich innerhalb seiner engen Grenzen. Die Gewerkschaften haben fast nur noch auf die Angestellten im staatlichen und öffentlichen Dienst Zugriff. Die Bildungsinstitutionen sind ebenfalls in einer ausweglosen Krise, weil keine noch so gute Ausbildung, keine noch so erfolgreiche »Selbstoptimierung« vor Jugend- und Akademikerarbeitslosigkeit bewahrt.

Die Hoffnungen der EU, dass sich in diesen Ländern ein Regime der Mitte herauskristallisiert – proeuropäisch, aber innerhalb des jeweiligen Landes für Erneuerung und Aufbruch stehend, die Härten des Sparprogramms mit irgendeiner Art neuem »Gesellschaftsvertrag« mildernd –, haben sich nicht erfüllt. Wie auch? Die Wahlniederlagen von Pier Luigi Bersani und Mario Monti sind der vorläufige Schlusspunkt in dieser Entwicklung. Die Entwicklung der kommenden Monate und Jahre ist völlig offen. Aus Griechenland liest man immer häufiger Berichte vom fortschreitenden Zerfall des gesellschaftlichen Lebens. Die zahlreichen Selbstverwaltungsexperimente in den großen Städten sind aus der Not geboren und verwalten einen immer größer werdenden Mangel. In Spanien verweigert sich die »Occupy«-Bewegung erfolgreich jeder Institutionalisierung und Repräsentation, man hört von beeindruckenden Beispielen von Zivilcourage, von Feuerwehrleuten und Polizisten, die sich weigern, bei Zwangsräumungen mitzumachen. Aber auch in Spanien geht es primär um die Linderung des Mangels.
Mit den Wahlen in Italien ist das Scheitern der Versuche offensichtlich geworden, Geld durch Macht zu kontrollieren und durch einen politischen inszenierten Schockkapitalismus die jeweiligen Nationalökonomien wettbewerbstauglich zu schrumpfen. Dieses Scheitern betrifft auch die linken Strategien einer politischen Geldkon­trolle, mit dem Ziel durch staatliche oder europäische Investitionsprogramme den privaten Konsum anzukurbeln. Demnach müsse man »nur« die sogenannte Realökonomie aus den Klauen der Banken und Spekulanten befreien, etwa durch eine Umschuldung oder die Besteuerung von ­Finanztransaktionen. Jenseits der Banken beginne das Reich des anständigen Wirtschaftens.
Aber wie sieht dieses Jenseits aus? Damit wären wir wieder bei Beppe Grillo, der gar nicht positiv zu bestimmen vermag, was der Zweck seines Furors ist, außer der Pöbelei, sich nicht länger »verarschen« lassen zu wollen. Die Beliebigkeit seines Populismus verrät, wie tief sich die Krise in den Alltag – und das heißt auch: in den Alltag der Ökonomie – eingegraben hat. Am Ende stehen die Appelle an Anstand und Würde, Ehrlichkeit und harte Arbeit, bleibt nur die abstrakte Anrufung »des Volkes«.