Absehbar undurchschaubar
Ein klarer Sieg sieht anders aus. Am Wochenende verkündete die unabhängige Wahlkommission IEBC das offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Kenia. Gewinner ist mit einer denkbar knappen Mehrheit von 50,07 Prozent der Stimmen Uhuru Muigai Kenyatta, der mit diesem Sieg nun in die Fußstapfen seines Vaters, des Staatsgründers Jomo Kenyatta, tritt. Kenyatta stehen große Herausforderungen bevor, will er während seiner Amtszeit den Problemen des Landes wie Arbeitslosigkeit, Korruption und schlechter Sicherheitslage entgegenarbeiten.
Aber zunächst sorgt das Wahlergebnis für diplomatische Schwierigkeiten. Denn der Wahlgewinner Kenyatta muss sich, ebenso wie der designierte Vizepräsident William Samoei Ruto, vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) wegen Verbrechen gegen die Menschheit verantworten. Angeklagt sind sie wegen der Initiierung der Gewalt nach den Wahlen 2007, bei der die beiden heute verbündeten Politiker noch erbitterte Rivalen waren. Über 1 000 Tote und eine halbe Million Vertriebene waren damals das Resultat eines tribalistischen Wahlkampfs (Jungle World 5/2012).
Ein dubioses Team soll fortan also an Kenias Spitze stehen. Die EU-Länder, für die Kenia bisher der wichtigste afrikanische Partner für Stabilität und Sicherheit war, kooperieren nicht mit mutmaßlichen Kriegsverbrechern und wollen keinen »nicht-essentiellen Kontakt« pflegen. Der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gratulierte Kenyatta bisher nicht zu dessen Sieg, sondern sprach lediglich der kenianischen Bevölkerung seinen Glückwunsch für einen friedlichen Wahlverlauf aus. Er ermahnte sowohl Kenyatta als auch dessen Konkurrenten Raila Odinga, ihre Anhänger zur Ruhe anzuhalten.
Eine friedliche Zukunft des Landes ist längst nicht garantiert. Zum einen schwören manche radikalen Anhänger Kenyattas, dass sie die Waffen erheben würden, sollte »ihr Sohn« am IStGH verurteilt werden. Dessen Prozess in Den Haag beginnt am 9. Juli, der Rutos am 28. Mai. Zum anderen zweifelt Wahlverlierer Odinga, der bereits zum dritten Mal in einer Präsidentschaftswahl unterlag, wie schon 2007 das Wahlresultat an. Odinga bezeichnet die Auszählung der Stimmen als »fehlerhafte Übung« und unterstellt »massive Manipulation« bei der Wählerregistrierung. Er reicht wegen Verdachts auf Wahlbetrug Klage am Obersten Gericht ein. Noch hält seine beschwichtigende Rhetorik seine Anhänger im Zaum, doch in ihrer Hochburg Kisumu im Westen des Landes zündeten sie bereits Barrikaden an.
Das erst nach fünf Tagen Auszählungszeit von der kenianischen Wahlkommission IEBC freigegebene Ergebnis ist durchaus fragwürdig. Bürgerinnen und Bürger berichten von Auffälligkeiten in den Wahlbüros und bestätigen damit die Anklage Odingas. Beobachtet wurde etwa, dass die Büros viel zu spät öffneten, dass Wahlzettel nicht ordnungsgemäß abgestempelt wurden und dass die Computer nicht funktionierten.
Derlei Unregelmäßigkeiten hatte Okiya Omtatah Okoiti bereits vorausgesehen. Omtatah ist Geschäftsführer der NGO Kenyans for Justice and Development (Kejude), die sich für Transparenz und Rechenschaftspflicht und gegen Korruption einsetzt. Im vorigen Jahr erhob der Menschenrechtsaktivist als Einzelperson Klage am Obersten Gericht wegen Korruptionsverdachts bei der Auftragsvergabe für die 2013 erstmals genutzten biometrischen Wählerregistrierungsgeräte. Nachdem er mehrere anonyme Anrufe mit der Aufforderung erhalten hatte, die Klage fallen zu lassen, wurde er am 8. November 2012 im Zentrum Nairobis gewaltsam attackiert. Zwei Männer fragten ihn auf offener Straße, ob er die Klage zurücknehmen würde. Als Omtatah dies verneinte, wurde er angegriffen, sechs verlorene Zähne und Brüche von Schädel und Kiefer waren die Folge. Die Polizei fragte ihn nach dem Angriff weder nach einer Beschreibung der Täter, noch wurde eine Untersuchung eingeleitet. Omtatah sieht die Attacke als Anschlag auf sein Leben und als Versuch, ihn einzuschüchtern und seinen Kampf gegen die Korruption zu behindern.
Wer sich in Kenia gegen das System stellt, lebt sehr gefährlich. Nur wenige sind so mutig wie Omtatah und lehnen sich auf. Viele Bürgerinnen und Bürger sind resigniert und setzen keine große Hoffnung auf den Regierungswechsel. »Das sind doch alles Speichellecker! Es macht gar keinen Unterschied, ob nun Raila oder Uhuru gewinnt. Geier sind sie, allesamt. Verlierer sind am Ende sowieso wieder nur wir, die kleinen Leute. Für die kommenden fünf Jahre heißt es jetzt noch einmal ›Augen zu und durch‹. Aber ich hoffe jetzt schon auf die nächsten Wahlen 2017«, äußert sich beispielsweise eine junge Frau aus Nairobi.
Für diejenigen, die jedoch tatsächlich für das Team »Uhuruto« gestimmt haben, ist das Wahlergebnis ein wichtiges Symbol für ihre Souveränität. Nicht nur wollten sie das alte, verstaubte Kabinett mit ihrem »Sohn« Kenyatta und dem wohlwollend »Gauner« genannten Ruto frisch besetzen. Sie wollen auch ihre Vergangenheit hinter sich lassen und international ein Zeichen setzen: Was nach den Wahlen 2007 in Kenia passierte, gilt als abgeschlossenes Kapitel, als innere Angelegenheit Kenias – und der Westen habe sich rauszuhalten. Das gilt auch für die Prozesse am IStGH, die mittlerweile selbst bei Binnenflüchtlingen von 2007 als von den Ereignissen überholt gelten. Kenia will vorwärts streben. Ob dies durch Recht und Ordnung, gewaltsame Regulation oder versöhnliches Schweigen erreicht werden soll, ist derzeit unklar.