Beginn des Prozesses gegen Lothar König in Dresden

Dresdner Spezialitäten

In Dresden beginnt in der kommenden Woche der Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König, der während eines Naziaufmarschs im Februar 2011 zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen haben soll.

Die Straflust der Dresdner Justiz ist unersättlich. Das hat das Urteil vom 16. Januar gegen einen angeblichen Aufwiegler der Anti-Nazi-Demons­tration am 19. Februar 2011 in Dresden auf spek­takuläre Weise verdeutlicht: Das Amtsgericht Dresden verurteilte Tim H. wegen Körperverletzung, besonders schweren Landfriedensbruchs und Beleidigung zu einem Jahr und zehn Monaten Haft ohne Bewährung. Dabei waren die Videoaufnahmen, die die Schuld des Angeklagten beweisen sollten, unscharf und die Zeugen bei seiner Identifizierung mindestens unentschlossen.
Dennoch war das Gericht von der »Täterschaft des Angeklagten überzeugt«, wie es in der schriftlichen Urteilsbegründung heißt, und offenbar auch beleidigt, dass der bis dahin unbescholtene Angeklagte vor Gericht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machte. Dieses Verhalten nämlich verschlechterte nach der eigentüm­lichen Logik des Gerichts dessen »Sozialprognose« derart, dass die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnte.

Die Einwohner von Dresden seien es leid, dass ihr Gedenken an die Bombardierungen 1945 »von beiden Seiten, Rechten und Linken« ausgenutzt werde, sagte der vorsitzende Richter. Das war durchaus als Warnung an all diejenigen zu verstehen, die wenige Wochen später zu den antifaschistischen Protesten anreisen wollten. Es gab aber auch einen Vorgeschmack auf den Prozess, der am 19. März vor dem Dresdner Amtsgericht gegen den Jugendpfarrer Lothar König eröffnet wird. Auch er hatte an den Protesten gegen den Naziaufmarsch im Februar 2011 teilgenommen. Auch in seinem Verfahren sind die Vorwürfe massiv und beziehen sich auf das Umfeld der Demonstration und hier begangene Straftaten. Durch Lautsprecherdurchsagen und das Abspielen von »rhythmisch-aufheizender Musik« soll er damals die Menge zu Gewalttätigkeiten gegen Polizisten angestachelt haben. Deshalb werden ihm nun schwerer Landfriedensbruch und dazu noch Strafvereitelung, Beihilfe zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchte Nötigung vorgeworfen.
Der abenteuerliche Vorwurf, der Pfarrer sei Anführer einer »Antifa-Sportgruppe«, einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129, die systematisch und gewalttätig Nazis angreift, wurde dagegen fallengelassen – allerdings erst, nachdem die sächsische Polizei im Sommer 2011 eine Hausdurchsuchung bei der Jungen Gemeinde in Jena, der Wirkungsstätte Königs, durch­geführt hatte. Doch auch für die ihm jetzt vorgeworfenen Vergehen droht ihm im Fall einer Verurteilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu 15 Jahren. Sollte König nach dem Verfahren als vorbestraft gelten, besteht ferner die Gefahr, dass er seinen Job als Pfarrer los ist, denn die Kirche duldet rein formal keine Straf­täter als Angestellte in ihren Reihen.

»Wenige sind betroffen, alle sind gemeint«, heißt es in einer von Hunderten Einzelpersonen und Vertretern von Institutionen unterzeichneten Protestnote gegen die Kriminalisierung der Proteste. »Wenige« scheint jedoch stark untertrieben angesichts des außerordentlichen Fleißes, den die Staatsanwaltschaft Dresden an den Tag legt, wenn es darum geht, gegen vermeintliche Linke zu ermitteln. Mehr als eine Million Handy-Daten von mehr als 300 000 Menschen wurden 2011 während der Proteste gegen den Naziaufmarsch von der Polizei abgerufen und werden bis heute ausgewertet. »Überwachungen und Datenerfassungen im Kontext dieser Demonstrationen überschreiten jedes demokratisch erträgliche Maß«, schrieb etwa das Grundrechtekomitee im vergangen Jahr dazu. Das Dresdner Amtsgericht, also dasselbe Gericht, das die richterliche Anordnung zu den Funkzellenabfragen gab, erklärte sie dagegen noch einmal für »erforderlich, geboten und angemessen«, da begangene Straftaten sonst nicht hätten aufgeklärt werden können.
Über 1 000 Ermittlungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft Dresden allein nach den Protesten im Februar 2011 eingeleitet. Zwei Jahre später sind gerade mal fünf Blockierer in erster Instanz verurteilt. Ein Großteil der Ermittlungen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz wurde mittlerweile eingestellt. Unabhängig davon findet sich nach Angaben von Johannes Lichdi, der für die Grünen im Sächsischen Landtag sitzt, ein Großteil der Störer des Naziaufmarschs 2011 als linksmotivierte Gewalttäter in den Verbunddateien von Bundes- und Landeskriminalämtern wieder.

In zehn Fällen jedoch kam es zu Verurteilungen wegen »Angriffen auf die Polizei«, gegen drei Täter wurden Freiheitsstrafen verhängt. In einem der Prozesse ließ das Jugendschöffengericht am Amtsgericht Dresden ungewohnte Milde walten. Der 19jährige Angeklagte wurde wegen Steinwürfen zu einer Jugendstrafe von acht Monaten auf zwei Jahre Bewährung verurteilt. Er wird auch Belastungszeuge in dem Prozess gegen Lothar König sein. Dieser habe mit seinem Lautsprecher »die ganze Zeit gegen die Polizei gehetzt«, sagte er während Vernehmungen.
Über die ominöse kriminelle Vereinigung, der der Jugendpfarrer zeitweilig zugerechnet wurde, weiß man bis heute nicht mehr als damals, obwohl seit Jahren mit weitreichenden Befugnissen ermittelt werden konnte. Durchsuchungen, Kontrolle des Postverkehrs, Überprüfung von Kontenbewegungen, Überwachung des Telekommunikations- und Internet-Verkehrs, Observationen, Videoüberwachung, Einsatz verdeckter Ermittler, Erstellen von Bewegungsprofilen, Nutzung so genannter »Stiller SMS« zur Ortung, Funkzellenabfragen und Rasterfahndung und auch die akustische Wohnraumüberwachung – all das ist bei Ermittlungen gegen kriminelle Vereinigungen zulässig.
Bekannt ist, dass das LKA mittlerweile fast 20 Wohnungen durchsucht und etliche Personen zu DNA-Tests genötigt hat. Aus den Akten, die den Verteidigern nur häppchenweise übergeben werden, geht zumindest hervor, woher die Idee einer straff geführten linken Verbrecherorganisation überhaupt kommt. Ein Neonazi hatte sich 2009 gegenüber dem LKA über diese »Antifa-Sportgruppe« ausgelassen und dabei Namen und Trainingsstätten genannt, die seither im Zentrum der ergebnislosen Ermittlungen stehen.
Legalität und Legitimität von Widerstandsformen gegen Neonazis, egal ob friedlich oder nicht, sind in diesem Rechtssystem nicht unbedingt identisch, das ist eine Binsenweisheit. In Dresden aber ist der Rahmen für Proteste gegen Neonazis offenbar besonders eng. Dort herrscht offenkundig die Ansicht vor, dass die Störung eines angemeldeten Naziaufmarschs ein größeres Vergehen darstellt als der bei dem Aufmarsch selbst betriebene Geschichtsrevisionismus. Ferner wird der Widerspruch zwischen Verfolgungspraktiken, Ermittlungen und Strafen auf der ­einen Seite und einem aktiven zivilgesellschaftlichen Selbstverständnis auf der anderen immer eklatanter. Das Ausmaß des daraus resultierenden gesellschaftlichen Zerwürfnisses ist bisher nicht absehbar. Die Dresdner Urteile gegen mutmaßliche Störer, Blockierer und Landfriedensbrecher dürften jedoch einen nicht unwesentlichen Einfluss darauf haben.