Die CDU und die Homo-Ehe

Sich winden und wenden

Die Homo-Ehe wird kommen. Doch die Union streitet noch immer, als ginge es um den Untergang des Abendlandes.

Eigentlich hätte es ganz einfach sein können. »Wir werden das Urteil des Bundesverfassungsgerichts selbstverständlich umsetzen – das ist jetzt geboten«, versprach der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Volker Kauder (CDU), im Februar in der Welt am Sonntag. »Dabei werden wir auch prüfen, ob bei der Umsetzung auch steuerrechtliche Konsequenzen gefordert sind.« Schwule und Lesben dürfen also künftig ein Kind adoptieren, das ihr eingetragener Lebens­partner zuvor adoptiert hat – das hatte das Verfassungsgericht gefordert. Und das Ehegattensplitting wird auf eingetragene Lebenspartner ausgeweitet oder abgeschafft werden. Darüber wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden, und zwar noch vor der Bundestagswahl. Die Union kündigte also im Grunde nur an, sich an das zu halten, was das oberste Gericht des Landes urteilt, und diesmal vielleicht ein bisschen mitzudenken, bevor man sich die nächste Niederlage in Karlsruhe holt.

Doch einem erzkonservativen Christen wie Kauder wird selbst so etwas prompt als Fortschrittlichkeit ausgelegt. In der Presse folgte ein Tusch, wahlweise düster oder jubelnd: »Kehrtwende bei der Union!« Kauder blieb nicht allein. In der Süddeutschen Zeitung orakelte Michael Grosse-Brömer (CDU), der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, die Union müsse »in Sachen Gleichstellung beweglicher werden«. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gab sich im Tagesspiegel geradezu revolutionär: »Wenn die CDU Volkspartei bleiben will, dann muss sie veränderte Realitäten zur Kenntnis nehmen. Wir können nicht bloß sagen: Das ist gut, nur weil es immer schon so war, und deshalb muss es so bleiben.«
Können sie nicht? Die Union wäre doch nicht die Union, wenn sich nicht jemand finden würde, der genau das behauptet, und wenigstens Horst Seehofer tat das, was man von einem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden erwartet. Eine Neuordnung des sogenannten Ehegattensplittings werde es in dieser Legislatur­periode mit der CSU »ganz sicher« nicht geben, beteuerte er in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. »Es gibt jetzt und auch bis zum Sommer überhaupt keine Veranlassung, die steuerliche Behandlung gleichgeschlechtlicher Lebens­partnerschaften gesetzlich neu zu regeln.« Und überhaupt, wer ist eigentlich dieses Bundesverfassungsgericht? »Auch wenn Karlsruhe das Urteil zum Ehegattensplitting für gleichgeschlechtliche Paare gesprochen haben wird, wird es noch genug Möglichkeiten geben, den Vorrang von Ehe und Familie zu schützen.«

Kehrtwende oder nicht? Der Spiegel versuchte, wenigstens den Fraktionsvorsitzenden festzunageln, und Kauder kuschte prompt: »Es gibt keinen Kursschwenk. Die Union will keine Homo-Ehe.« Übrigens sei es eine »gewagte Aussage«, wenn das Verfassungsgericht feststelle, das Kindeswohl sei in gleichgeschlechtlichen Beziehungen nicht negativ betroffen. Dazu gebe es »kaum aussagekräftige Studien« und »viele Therapeuten« seien da »ausdrücklich anderer Meinung«. Nun, das Bundesverfassungsgericht hatte elf Stellungnahmen eingeholt – zehn davon kamen zu einem anderen Ergebnis als Kauder, darunter der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen, der Berufsverband der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Und dann ist da noch Ursula von der Leyen (CDU), eigentlich Arbeitsministerin, nebenbei aber Familienexpertin der Nation. Sie widersprach Kauder in derselben Spiegel-Ausgabe: »Ich kenne keine Forschung, die belegt, dass Kinder aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nicht ebenso behütet ins Leben gehen wie Kinder von Eltern im traditionellen Sinn.«
Mittlerweile sind zwei Drittel der Bundesbürger und immerhin auch 55 Prozent der CDU-Mitglieder für die Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe. Es gibt mit Jens Spahn und Stefan Kaufmann sogar zwei offen homosexuelle Bundestagsabgeordnete in der CDU, die beweisen, dass schwul und konservativ sehr wohl zusammen geht. Doch die Partei ist noch nicht so weit. »Das ist für viele in der Partei ein dickes Brett. Bei dieser gesellschaftlichen Entwicklung wollen sie nicht die Speerspitze bilden«, sagte Kaufmann in der Taz. Rund zwei Wochen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts weiß endgültig niemand mehr, was die Union eigentlich will.
Deshalb gab es am 4. März einen Präsidiumsbeschluss, den der Generalsekretär der CDU, Hermann Gröhe, verkünden durfte. Man wende sich gegen jede Form der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. Im Übrigen gelte der Parteitagsbeschluss vom Dezember. Nun darf man den Parteitagsbeschluss im Internet suchen, um dann festzustellen, dass der Antrag zur steuerlichen Gleichbehandlung homosexueller Partnerschaften abgelehnt wurde. Ist also doch nichts mit der Gleichstellung. Ein weiterer Tusch, Kehrtwende von der Kehrtwende.
Unvermeidlich folgt der dritte Tusch, die Kehrtwende von der Kehrtwende von der Kehrtwende. Denn Familienministerin Kristina Schröder (CDU) ließ sich von dem Präsidiumsbeschluss wenig beeindrucken und kündigte nur zwei Tage später in der Passauer Neuen Presse an, ein Familiensplitting einzuführen – und zwar für alle Familien, ob gleichgeschlechtlich oder nicht. Schäuble sei schon dabei, alles durchzurechnen. Schließlich sind Familien so schön konservativ. Schröder ist eben superkonservativ und sagte deshalb schon voriges Jahr in der Süddeutschen Zeitung, »in lesbischen und schwulen Lebenspartnerschaften übernehmen Menschen dauerhaft Verantwortung füreinander, sie leben damit konservative Werte«. Unterstützung bekam sie von Ursula von der Leyen, die gleichzeitig in der Rheinischen Post ein Familiensplitting verlangte – auch wenn das mal wieder nichts mit ihrem Ressort zu tun hat: »Alle Familien mit Kindern sollen den Splittingvorteil bekommen, egal ob sie in einer Ehe, einer nicht­ehelichen Lebensgemeinschaft oder mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen.«

So viel Konservatismus bei der Schwesterpartei kann die CSU natürlich nicht auf sich beruhen lassen. Ihr Generalsekretär Alexander Dobrindt gab deshalb Anfang dieser Woche Nachhilfe in der Welt am Sonntag. »Die Konservativen sind diejenigen, die das Leben von morgen sichern«, ­erklärte er. »Die Union als Volkspartei hat die Aufgabe, der stillen Mehrheit eine Stimme zu geben gegen eine schrille Minderheit.« Das war selbst Seehofer zu viel. Die CSU wolle Ehe und Familie schützen, aber »niemanden diskreditieren und ausgrenzen«, versichert er. »Ich weiß, dass un­serer Generalsekretär genauso denkt.«
Man darf gespannt sein, wie viele Kehrtwenden die Union in den nächsten Wochen noch hinlegt. Die Gleichstellung von homosexuellen Lebenspartnerschaften mit der Ehe wird aber so oder so kommen. Dafür sorgt schon das Bundesverfassungsgericht. Bleibt die Frage, ob sich die Bundeskanzlerin doch noch zu einer Äußerung herablassen wird. Auf dem Parteitag der CDU hat sie gegen die steuerliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaften gestimmt. Ansonsten genießt sie und schweigt. Sollen sie sich in der Union ruhig die Köpfe einschlagen – von Merkel weiß garantiert niemand, was sie denkt.