Die Erfolge der spanischen Bewegung gegen Zwangsräumungen

Wer räumen will, bekommt Besuch

In Spanien hat es die Bewegung der Hypothekenbetroffenen geschafft, einen Gesetzentwurf zur Debatte ins Parlament ein­zubringen. Verschuldete Menschen sollen besser vor Zwangsräumungen geschützt werden.

»Wenn Ihre Herrschaften nicht innerhalb der nächsten Woche zu uns kommen, dann kommen wir zu Ihnen nach Hause«, schrieb die Plattform der Hypothekenbetroffenen (PAH) den Mitgliedern des spanischen Kongresses am 28. Februar. Damit erhöhte sie den Druck auf die Abgeordneten, neue Regelungen für den Umgang mit Schuldnern zu erlassen, die ihre Hypothek nicht mehr bedienen können. Seit Beginn der Krise wurden in Spanien weit über 400 000 Zwangsräumungen vollstreckt (Jungle World 4/13). Die PAH hatte gemeinsam mit anderen Organisationen einen Entwurf für eine Änderung der entsprechenden Gesetze ausgearbeitet. 1,5 Millionen Spanierinnen und Spanier unterstützten die Unterschriftenliste der PAH im Rahmen der iniciativa legislativa popular (»Volksinitiative für einen Gesetzentwurf«), am 13. Februar wurde der Entwurf so zur Debatte ins Parlament eingebracht. Nun wollen die Unterstützerinnen und Unterstützer verhindern, dass er verwässert wird, schließlich verstehen sie die geforderten Reformen als Minimalbedingung. Misstrauen hegen sie nicht nur gegen die Fraktion der konservativen Regierungspartei Partido Popular (PP), sondern gegen den gesamten Senat. Offen gegen das Volksbegehren spricht sich momentan jedoch nur der PP aus.
Da die Regierungspartei im Parlament über eine absolute Mehrheit verfügt, könnte ihr Widerstand bereits ausreichen, um die Reform zu verhindern. Nur kann sich der PP derzeit kaum erlauben, populäre Forderungen abzuschmettern – die Initiative der PAH erhielt Umfragen zufolge zuletzt eine Zustimmung von über 80 Prozent. Trotz seiner umstrittenen Sparpolitik gelang es dem PP lange Zeit, seine Wählerschaft an sich zu binden. Bei den Regionalwahlen 2012 in Andalusien, Galizien und Katalonien konnte die Partei teilweise deutliche Stimmengewinne verzeichnen. Nachdem die Partei und ihre Klientel in den vergangenen Wochen allerdings durch eine Reihe von Korruptionsskandalen erschüttert worden ist, schwindet ihr Zuspruch im konservativen Milieu. Einer am 3. März veröffentlichten Umfrage der Tageszeitung El País zufolge würde der PP derzeit nur auf 24 Prozent der Stimmen kommen. Im November 2011 hatten noch 44,6 Prozent der Wählerinnen und Wähler für ihn gestimmt und ihm damit die absolute Parlamentsmehrheit verschafft. Die sozialdemokratische Partei PSOE kann von dieser Entwicklung jedoch nicht profitieren, 23 Prozent der Wahlberechtigten würden sich zurzeit für sie entscheiden. Anders als in Griechenland und Italien ist in Spanien bislang aber auch kein Erstarken rechtsextremer und populistischer Parteien auszumachen. Von der Schwäche der beiden großen Parteien profitieren in den Umfragen vor allem die linken Sozialdemokraten der Izquierda Unida sowie die liberale Unión Progreso y Democracia.

Der Entwurf der PAH sieht im Wesentlichen drei Änderungen vor: Menschen, die ihr Wohneigentum der Bank übergeben mussten, weil sie die Hypothek nicht mehr bezahlen konnten, sollen mit der Übergabe von ihrer Schuld befreit sein – bislang blieb diese unverändert bestehen. Außerdem soll eine Sozialmiete eingeführt werden, die es diesen Menschen erlaubt, noch fünf Jahre als Mieter in ihrem ehemaligen Besitz zu wohnen, wobei die Miete 30 Prozent des Familieneinkommens nicht überschreiten darf. Schließlich soll ein Moratorium über alle Zwangsräumungen verhängt werden, durch die die Betroffenen obdachlos würden. »Wir wollen, dass dieser Entwurf das Parlament intakt verlässt, so wie er hineingelangte: Mit der Unterstützung von Millionen Menschen«, sagte Ada Colau, eine Sprecherin der PAH, am 16. Februar auf einer Demonstration anlässlich der etwas überraschenden Annahme des Volksbegehrens durch das Parlament. Um dies sicherzustellen, greift die PAH nun auf die Aktionsform der escraches zurück, die in Argentinien seit den neunziger Jahren praktiziert wird. Straffrei ausgegangene Täter der Militärdiktatur werden dort vor ihrem Haus von einer Menschenmenge öffentlich angeprangert. Dies soll nun den spanischen Abgeordneten blühen, die die Vorschläge der PAH verwässern wollen. Zuvor hatte die PAH alle Abgeordneten eingeladen, sich auf einer ihrer Informationsveranstaltungen mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen.
Ein Vergleich mit Militärdiktaturen wird nicht nur über die escraches gezogen. Der 23. Februar ist in Spanien der Jahrestag des gescheiterten Militärputsches von 1981. In diesem Jahr fanden an dem Tag Demonstrationen mit Hunderttausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern in mehr als 80 Städten Spaniens statt. Sie sprachen sich gegen den »Putsch« bzw. die »Diktatur der Finanzmärkte« und für eine »wirkliche Demokratie« aus. Auch wenn sich viele der Beteiligten durch die Institutionen der repräsentativen Demokratie nicht mehr vertreten sehen, wird die außerparlamentarische Bewegung 15M, aus der auch die PAH hervorgegangen ist, bislang inhaltlich von sozialdemokratischen und linksliberalen Positionen dominiert. In wirkungsmächtigen Medien wie El País werden ihre Forderungen aufgegriffen. Die Mehrheit der Bewegung vertritt eine gemäßigte Interpretation einer »wahren Demokratie«. Das verdeutlicht zum Beispiel die Forderung nach einer neuen Verfassung inklusive eines reformierten Wahlrechts, das es kleinen Parteien erleichtern soll, ins Parlament einzuziehen und Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Diejenigen, die eine radikalere Interpretation »wahrer Demokratie« vertreten und dieses Ziel nur durch eine Überwindung des Kapitalismus und die Etablierung basisdemokratischer Strukturen für erreichbar halten, sind bislang in der Minderheit. Man muss nicht lange suchen, um auf einer abstrakten Ebene verkürzte Kapitalismuskritik bei der Bewegung zu entdecken. Verantwortlich gemacht für die Misere werden in der Regel die etablierten Parteien, die Finanzmärkte, die EU, Angela Merkel und natürlich die Banken. Auf der konkreten Ebene der alltäglichen Kämpfe um Wohnraum ist eben diese Kritik allerdings schon gar nicht mehr so verkürzt. Zwar steckt Angela Merkel nicht hinter den Zwangsräumungen, spanische und deutsche Banken spielen hier aber sehr wohl eine entscheidende Rolle. Bei ihnen sind die Betroffenen verschuldet und sie veranlassen die Räumungen. In ihrem Besitz befinden sich Hunderttausende leer stehende Wohnungen, die langsam verfallen, während immer mehr Menschen kein Dach mehr über dem Kopf haben und es immer wieder Selbstmorde verschuldeter Spanierinnen und Spanier gibt. Neben den Politikern sind die Banken deshalb das Hauptangriffsziel der PAH. Gleichzeitig organisiert sie die Wiederan­eignung von leerstehendem Wohnraum.
Rund hundert Aktivisten und Aktivistinnen der PAH besetzten am 28. Februar den Sitz des Banco Popular in Barcelona. Schon noch wenigen Stunden verließen sie das Gebäude wieder, nachdem ihnen zugesagt worden war, dass die Bank ab dem 14. März über soziale Lösungen für ihre Schuldner verhandeln wird. Während die Verhandlungen laufen, sollen keine weiteren Räumungen und Zwangsversteigerungen angeordnet werden. Ebenfalls am 14. März wird vor dem Europäischen Gerichtshof eine Klage gegen Spanien verhandelt. Geklärt wird, ob das spanische Hypothekengesetz einen ausreichenden Risikoschutz für die »Konsumenten« gewährleistet. Es wird davon ausgegangen, dass Spanien diesen Prozess verliert. Der PP hat deshalb die Entscheidung über den Gesetzesentwurf, die zunächst für den 7. März vorgesehen war, bis in den April verschoben. Somit verbleiben noch einige Wochen für die Hausbesuche bei den Abgeordneten.