Ohne Reue

Schon länger bemerken Beobachter der Werbeästhetik den Verfall des Präfix »Top«. Als jugendlicher Begeisterungsausbruch vital gestartet, hat das Lehnwort viel von seiner Puste verloren und hechelt jetzt im Veranstaltungsmarketing herum, wo Flyer und regionale Kinowerbung vor allem sogenannte Top-Events versprechen. Das Top beim Top-Event bedeutet, dass Lichttechnik zum Einsatz kommt und ein kleiner Snack gereicht wird, wohingegen klassische Events mit der Raumbeleuchtung auskommen und die Getränke selbst bezahlt werden müssen. Gleiches Los scheint auch der Vokabel »Genuss« beschieden. Bei Marx oft als Gegenteil zur »Arbeit« gesetzt, bei Adorno oft synonym mit »Glück« gebraucht, taumelte der »Genuss« eine Zeitlang durch Soziologie und Psychoanalyse, um dann vorerst im Hochpreissegment der Reisebüros zu ruhen: Genuss war Spa und Sternerestaurant im selben Hotel sowie die Abwesenheit von Pauschaltouristen. Stellt das Motto einer Frankfurter Restauration »Ab jetzt konsequent Genuss!« schon einen Kompromiss dar, hätte sich Jacques Lacan, der dem Genuss eine phallische Komponente zusprach, über das Angebot der Website top-genuss.com gefreut, die erotische Dienste feilbietet. Heute stolpert man über die Vokabel vor allem in Gutscheinheften, wo sie grob »mehr Kalorien zum gleichen Preis« bedeutet: zwei Mocca zum Preis von einem ist »Kaffee-Genuss«, auch schätzen Genießer ein »Sushi All-you-can-eat«. Damit bildet der Begriff eine Schnittmenge mit dem Metzgerwort »Schlemmer«, das seit Urzeiten stark versalzene, aber in Riesenportionen servierte Hausmannskost signalisiert. Immerhin: Hoteliers loben auf Portalen schon »Schlemmergenuss pur« aus. Was das wohl wieder ist?

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.