La Boheme

Man möchte die Welt kopfstehen lassen. Feiert die Verlierer, den Verlust der Anständigkeit. Man preist die Wahrheit der Lügen, sympathisiert mit den Ausgestoßenen und zelebriert sich selbst. All das in einem unscheinbaren Laden am Hamburger Fischmarkt, der, wie kaum eine andere Bar der Republik, es versteht, linke Kulturveranstaltungen mit Style zu kombinieren: Der »Golem« ist eine Marke mit Haltung. Er ist aber auch der beste Hangout der Stadt. Klar, es gibt da immer noch den »Golden Pudel Club« am Hafen und die »Mutter« am Neuen Pferdemarkt. Allein, der »Golem« versteht mehr von Inszenierung, mehr davon, einen wahren Kult zu etablieren. Das Tresenpersonal trägt feinen Zwirn, die Bücherwand beinhaltet große Werke der Literatur, die Sprache ist voll ausgedacht antiquierter Höflichkeitsformeln. Alles hier ist im besten Sinne artifiziell, so borniert, wie es nur geht, und Teil eines großen Schauspiels.
So perfekt wie der Laden ist auch das Buch gestaltet. Und es wird keine Seite ausgelassen, den Rausch tatsächlich geistreich zu legitmieren. Georg Seeßlen liefert einen Einakter über Bier; Roger Behrens betrachtet die menschliche Geschichte als Prozess der Gärung; Tino Hanekamp versucht, eine Woche nichts zu trinken; Hermann Gremliza findet Wodka-Martini nicht so schlecht. Nicht alle Beiträge sind brillant, die Mischung aber ist stark. Denn vom Mischen versteht man in diesem Laden schließlich eine Menge.

Anselm Lenz/Alvaro Rodrigo Pina Otey (Hg.): Das Ende der Enthaltsamkeit. Edition Nautilus, Hamburg 2013, 272 Seiten, 19,90 Euro