04.04.2013
Der Streit um ein Endlager für Atommüll

Der Gorleben-Knoten

Seit 36 Jahren wird in Deutschland über ein Endlager für Atommüll gestritten. Nun soll noch vor der Bundestagswahl ein Endlagersuchgesetz verabschiedet werden. Feststehende Kriterien für die Suche gibt es jedoch nicht.

Eine ganz große Koalition aus CDU, SPD und Grünen hat sich eigenen Angaben zufolge auf ein Verfahren zur Findung eines deutschen Endlagers für Atommüll geeinigt. Ein genauerer Blick auf die Vereinbarung zeigt allerdings, dass überhaupt nicht klar ist, wohin der eingeschlagene Weg führen wird. So wurde die in der Debatte wesentliche und längst überfällige Entscheidung, dass Gorleben als möglicher Standort für ein Endlager ausgeschlossen werden muss, erneut vertagt. Die erst im Januar gewählte rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen hat damit bereits zu Beginn ihrer Amtszeit ein wichtiges Wahlversprechen gebrochen. Vereinbart wurde nun die baldige Verabschiedung eines Endlagersuchgesetzes im Bundestag, gemeinsame Kriterien für die vermeintlich sichere Endlagerung von Atommüll bestehen jedoch nicht. Der Eiertanz rund um das als Endlager vorgesehene Gorleben wird also von allen beteiligten Parteien konsequent weiter aufgeführt.

Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und Vertreter der rot-grünen niedersächsischen Landesregierung haben stellvertretend für die politischen Lager, denen sie angehören, die Verhandlungen über die Findung eines atomaren Endlagers geführt. Am 24. März präsentierten Altmaier, der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Landesumweltminister Stefan Wenzel (Grüne) die Ergebnisse ihrer Verhandlungen. Zum einen beschlossen sie, eine Enquete-Kommission einzusetzen, welche die grundsätz­lichen Prämissen für eine Endlagersuche erarbeiten soll. Zugleich einigten sie sich darauf, einen Gesetzentwurf für ein Endlagersuchgesetz in den Bundestag einzubringen, der bereits vor der par­lamentarischen Sommerpause und somit vor der im Herbst anstehenden Bundestagswahl verabschiedet werden soll.
Zwar wurde ebenfalls vereinbart, alle Atomtransporte ins Zwischenlager Gorleben einzustellen. Diese Vereinbarung steht jedoch unter dem Vorbehalt der Zustimmung der anderen Bundesländer. Da es keineswegs als sicher gelten kann, dass diese bereit sein werden, die Zwischenlager an den Atomstandorten in ihren Bundesländern für den Atommüll aus der Wiederaufarbeitung zu öffnen, ist selbst die Einstellung von Castor-Transporten nach Gorleben nicht sicher.

Der vorgesehenen Enquete-Kommission »Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe« von Bund und Ländern sollen 24 Personen angehören. Neben Vertretern von Umweltverbänden, der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Gewerkschaften sollen auch Repräsentanten von Religionsgemeinschaften den Planungen ihren Segen spenden. Ein sicheres Endlager wird es dennoch nicht geben, denn die Abschirmung des Atommülls von der Biosphäre über einen Zeitraum von Millionen Jahren wird kein noch so sorgfältig ausgewählter Standort garantieren können. Die Repräsentanten aus Gesellschaft und Politik in der Enquete-Kommission sollen in öffentlichen Sitzungen tagen und dabei die Grundlagen für ein atomares Endlager klären. Im Idealfall wird auf diesem Weg ein Kriterienkatalog zur Findung des­jenigen Standorts für ein atomares Endlager in Deutschland erstellt, der zumindest am wenigsten unsicher erscheint. Bis Ende 2015 soll die Enquete-Kommission ihre Arbeit abschließen.
Welchen Sinn aber kann es haben, unter selbsterzeugtem Zeitdruck ein Gesetz für das Verfahren zur Suche eines Endlagers zu verabschieden, das die grundlegenden Kriterien für die Auswahl eines Standortes zur Endlagerung hochradioaktiven Atommülls enthalten muss, die jedoch von einer Enquete-Kommission erst nachträglich erarbeiten werden müssen, die noch gar nicht eingesetzt wurde? Die Vereinbarung, die Altmaier, Weil und Wenzel getroffen haben, sieht vor, dass nach dem Abschluss der Arbeit der Enquete-Kommission das Endlagersuchgesetz »im Lichte der Ergebnisse evaluiert und gegebenenfalls von Bundestag und Bundesrat geändert« werden soll. Erst danach soll die Suche beginnen. »Gegebenenfalls« könnte allerdings auch heißen, dass die Ergebnisse vom Bundestag lediglich zur Kenntnis genommen werden, das Endlagersuchgesetz aber unangetastet bleibt. Da die Ergebnisse der Kommission für den Bundestag keinerlei Verbindlichkeit haben, könnten letztlich die Regierungsfraktionen, die Ende 2015 über die Mehrheit im Bundestag verfügen, darüber entscheiden, welche Kriterien am Ende wirklich im Gesetz stehenbleiben und damit für die Auswahl eines Standorts gelten. Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation »Ausgestrahlt«, fordert daher die von SPD und Grünen regierten Bundesländer auf, die Verabschiedung des Gesetzes zurückzustellen, bis die Ergebnisse der Enquete-Kommission vorliegen: »Es besteht keine Veranlassung, das Gesetz bereits jetzt zu verabschieden, vor allem, da das Suchverfahren sowieso erst beginnen soll, wenn die Kommission ihre Arbeit abgeschlossen hat.«

Sollte das Gesetz beschlossen werden, bevor die Enquete-Kommission ihre Arbeit aufgenommen hat, dürfte das auch die Arbeit der Kommission beeinflussen. Dann dürften die Antworten auf viele zu erörternde Fragen hauptsächlich im Hinblick auf die Debatte um Gorleben als Endlager gesucht werden. Unter solchen Vorzeichen ist fraglich, ob in der Kommission objektiv, ohne Vorfestlegung, über geologische Kriterien beraten werden kann. Es besteht das Risiko, dass die Kriterien für ein Endlager dahingehend abgewogen werden, ob sie für oder gegen Gorleben als Standort für ein atomares Endlager sprechen.
Sollte sich die Kommission dennoch auf Prämissen einigen, die Gorleben als Standort ausschließen, stiege die Wahrscheinlichkeit, dass der Bundestag und der Bundesrat die Empfehlungen der Kommission ablehnen und am dann bereits bestehenden Endlagersuchgesetz festhalten. Tendenziell scheint es für Gorleben eine Mehrheit zu geben, schließlich möchten die meisten Ministerpräsidenten ihrer Wählerschaft kein Endlager zumuten, darüber hinaus wird von der Energiewirtschaft immer wieder darauf verwiesen, dass für die Erkundung des Salzstocks Gorleben als Atommüllendlager bereits Milliardenbeträge ausgegeben wurden.
Der CDU-Umweltmininster Altmaier und sein Amtsvorgänger Jürgen Trittin (Grüne) arbeiten derzeit gemeinsam daran, den Eindruck zu erwecken, dass die Standortsuche für ein Endlager völlig offen sei. Obwohl Gorleben ausdrücklich als Standort im Auswahlverfahren bleibt, sagte Altmaier gegenüber der Welt: »Wir starten jetzt mit einer weißen Landkarte ein ergebnisoffenes Verfahren.« Trittin, inzwischen Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, sekundierte Altmaier im Gespräch mit der Passauer Neuen Presse: »Es wird endlich ein ergebnisoffenes Auswahlverfahren geben.« Währenddessen warnt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel vor einem Scheitern und sucht schon nach Argumenten, die nach einem vermeintlichen Sachzwang für Gorleben als Endlager klingen. »Meine Sorge ist trotz der jetzt gefundenen Verständigung, dass man sich in Deutschland auf keinen Standort für ein Atom-Endlager verständigen kann und der kleinste gemeinsame Nenner das Verschicken ins Ausland wird – zu Bedingungen, die wir nicht kontrollieren«, sagte Gabriel im Gespräch mit der Welt.
Es scheint durchaus realistisch, dass man sich am Ende des von Schwarz-Rot-Grün entwickelten »ergebnisoffenen« Suchverfahrens ganz schweren Herzens überraschend auf Gorleben einigen kann.