Die Förderung der ökologischen Landwirtschaft in Bolivien

Bioanbau, selbstgemacht

Die organische Landwirtschaft ist in Bolivien nicht sehr verbreitet. Das soll sich mit der Einführung eines nationalen Biosiegels und dem landesweitem Ankauf von Bioprodukten für die Schulspeisung ändern.

Das Wasser fließt durch den kleinen Kanal, den Carlos Rainaga Vargas durch das Ziehen eines dicken Holzbretts geöffnet hat. So sorgt der hagere Mann für das nötige Nass auf seinem Acker. Dort sind die ersten Setzlinge zu sehen und sie brauchen Wasser, um in der hoch stehenden Sonne zu bestehen. »Kopfsalat, Mohrrüben, Kohl, Kartoffeln und Zwiebeln habe ich ausgesät«, sagt der 64jährige Bauer, den ein dunkler Hut vor der Sonne schützt. »Alle Setzlinge ziehe ich selbst und gegen Schädlinge gehe ich mit dem Sud von Knoblauch oder Chili vor. Das hilft, und meine Erträge können sich mit denen der Nachbarn messen«, sagt der Mann mit den optimistisch funkelnden Augen.
Seit acht Jahren gehört Vargas zu den Pionieren des Bioanbaus in der Region von Sipe Sipe. Der Landkreis liegt rund 25 Kilometer von Boliviens viertgrößter Stadt Cochabamba entfernt und weist eine kleinbäuerliche Struktur auf. Auf gerade einmal 1,5 Hektar baut Vargas sein Biogemüse an und verkauft es auf dem Markt im Dorf Itapaya oder eben in Sipe Sipe, dem nächsten größeren Ort. »Die Nachfrage steigt, aber bisher erhalten wir für unsere Ware den gleichen Preis wie die konventionelle Produzenten«, kritisiert er die schwierige Ausgangssituation für den Bioanbau in Bolivien, schiebt sich seinen Hut in den Nacken und blickt beinahe hilfesuchend in den strahlend blauen Himmel.

»Daran müssen wir etwas ändern«, sagt Ricardo Torres. Der stämmige Mann mit der Sonnenbrille ist heute gemeinsam mit seinem Kollegen Helmut Jacob in die Region gekommen, um sich über die Situation an Ort und Stelle zu informieren. Die beiden Agrarexperten arbeiten für den Nationalen Rat für ökologische Produktion (Cnape), der dem kleinen Biosektor des Landes auf die Beine helfen soll. Bei Carlos Rainaga Vargas kommt das gut an, denn der Biobauer arbeitet allein in diesem Bereich: »Meine Nachbarn bauen konventionell an, sie scheuen das Risiko, die Produktion umzustellen«, sagt er, die Enttäuschung in seiner Stimme ist kaum zu überhören. Vor einigen Jahren hat er ein paar Jugendliche angelernt, doch keiner ist beim Bioanbau geblieben. Das hat viele Gründe. »In Bolivien fehlt es an Know-how, an Saatgut und auch am Marktzugang«, sagt Torres. Er ist mit seinem Kollegen Jacob in 18 Gemeinden des Landes für einen Teil des Pilotprojekts verantwortlich, das die Infrastruktur verbessern und die Bauern bei Anbau und Vermarktung beraten soll.
Beteiligt ist auch der Landkreis Sipe Sipe, wo sich die Grundstücke von Vargas und Rosmeri Albali Holguín befinden. Die engagierte Frau lebt in dem kleinen Dorf Itapaya, in ihrem Haus treffen sich zehn Frauen, die Gemüse und Mais biologisch anbauen und etwas Vieh halten. 4,5 Hektar besitzt Rosmeri, und liebend gern würde sie die Erträge steigern und ihre Ernte auf dem Markt verkaufen. »Ich verkaufe oft an Zwischenhändler. Sie gewähren jedoch für Bioprodukte keinen Aufschlag«, klagt die kräftige Frau von Anfang Fünfzig. Torres und Kollege Jacob, der als Agrarexperte schon zum dritten Mal in Bolivien für deutsche entwicklungspolitische Organisationen tätig ist, notieren sich die Anregungen und geben der Bäuerin Tipps für die Schädlingsbekämpfung und den Einsatz von Düngemitteln. »Ein häufiges Problem ist, dass den Böden nicht genug zugeführt wird, um die Erträge zu halten«, sagt Jacob.
Der aus Saarbrücken stammende Bioexperte hat gute Erfahrungen mit der Umstellung auf den Bioanbau im Kaffee- und Kakaosektor gemacht, und die gilt es nun auf die Produktion von Grundnahrungsmitteln zu übertragen. Das ist politisch so gewollt, wie die Verabschiedung des Gesetzes 3 525 vom November 2006 zeigt. Das war der Auftakt zu einer neuen Politik, die die Gründung der Cnape nach sich zog. Diese bringt private und staatliche Organisationen wie den Dachverband der ökologischen Produzenten (Aopeb) und die verschiedenen Ministerien an einen Tisch. Neue Instrumente zur Förderung des Bioanbaus sollen sie entwickeln, und nach mehreren Jahren der Abstimmung wurde vor gut zehn Monaten beschlossen, dass die Schulenmehr Bioprodukte für die Schulspeisung kaufen sollen, um die Nachfrage zu steigern. Die rund 60 000 Bauern, die in Bolivien nach biologischen Kriterien anbauen, sollen so animiert werden, ihre Produktion zu erweitern.

Doch nicht nur die Nachfrage soll gesteigert, auch die Hürden bei der Umstellung vom konventionellen auf den biologischen Anbau sollen gesenkt werden. Dafür haben sich alle Beteiligten darauf verständigt, ein nationales Biosiegel für den heimischen Markt einzuführen, statt die Zertifizierung ausschließlich internationalen Experten in die Hände zu legen.
Das soll für mehr Akzeptanz der Produkte aus ökologischer Produktion sorgen und zugleich ein zentrales Problem bei der Umstellung lösen helfen – die Kosten der Zertifizierung. »Sie sind für viele Bauern schlicht nicht zu finanzieren«, bestätigt auch Rosmeri, »ich müsste mehr als 3 000 Bolivianos für meine 4,5 Hektar bezahlen.« Das sind umgerechnet 340 Euro oder dreimal so viel wie der bolivianische Mindestlohn. Zu viel für die Kleinbauern, die meist nur wenige Hektar bestellen und unter schwierigen Bedingungen Lebensmittel produzieren. So ist der Mangel an Saatgut und Düngemitteln ein Problem, aber auch der Klimawandel macht den Bauern immer mehr zu schaffen. So werden in der Region von Cochabamba die Regenperioden kürzer und die Trockengebiete dehnen sich aus. Deshalb wird die Entwicklung widerstandsfähigen Saatguts, neuer Anbautechniken und der Wechsel zu anderen Kulturpflanzen immer wichtiger. Doch genau dabei brauchen die Kleinbauern Beratung, und dafür sind Jacob und Torres hierher gekommen. In einem zweitägigen Workshop wollen sie rund 70 Biobauern aus der Region die Möglichkeiten, die das neue Biosiegel bietet, und dessen Vorgaben erläutern. Aber eben auch mit den Bauern darüber diskutieren, wie sich ihre Produkte besser vermarkten lassen. Eine lokale Verkaufsmesse für Bioprodukte gibt es bereits. Doch mit dem nationalen Biosiegel, das auf die gegenseitige Kontrolle durch die Bauern statt auf kostspielige Labortests und internationale Experten setzt, sollen Konsumenten gewonnen und kleinen Produzenten neue Perspektiven aufgezeigt werden. Das kommt bei Bauern wie Vicente Velasco, der Pfirsiche und Gemüse produziert und am liebsten direkt in Cocha­bamba verkaufen würde, gut an. »Der direkte Verkauf an einen Bio-Supermarkt wäre gut«, sagt er. In La Paz gibt es diese Möglichkeit bereits. Dort unterhält der Aopeb gleich mehrere kleine Supermärkte, wo Obst und Gemüse, aber auch Schokolade, Tee und Kaffee aus biologischer Produktion verkauft werden. »Ein Ansatz, um auch die nationale Bevölkerung für den Konsum von ökologischen Produkten zu gewinnen«, sagt Carmen Sotomayor, Geschäftsführerin der Aopeb. Sie hat sich lange für das nationale Siegel und den Ankauf von Bioprodukten für die Schulspeisung eingesetzt, wirbt aber auch für den Wandel der Konsumgewohnheiten in Bolivien. Vor allem in den Städten werden immer mehr Huhn, Reis und Nudeln konsumiert, so dass der Markt für traditionelle Produkte wie die zahlreichen Kartoffelsorten oder die Andengetreide Quinoa, Amarant und Culmi kleiner wird.
Kleinbauern wie Carlos Rainaga Vargas bringe das in eine schwierige ökonomische Situation, urteilen die Experten von Cnape und Aopeb. Die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten droht sich negativ auf Anbaupraxis und Artenvielfalt auszuwirken.
Mit Aufklärung an Schulen, Werbung für die nationalen Produkte auf Messen und in der Gastronomie hat der Bioverband Aopeb gegengesteuert, und auch die Cnape setzt auf Kooperationen und Veranstaltungen mit der Gastronomie. Ein Modell, das auch in Cochabamba funktionieren könnte, wo Bauern wie Vargas liebend gern direkt Restaurants mit ihren Produkten beliefern würden.

In La Paz funktioniert das bereits. Hortalizas ecológicos, Biogemüse, steht auf den Tüten der kleinen Genossenschaft der Betreiber von Gemüse-Gewächshäusern in Achocalla (ACSHA), die Teodora Quispe stolz schwenkt. Die Tüten bürgen für Qualität, denn sie tragen das Siegel des Aopeb, und die Gewächshäuser der Genossenschaft ACSHA sind seit Jahren zertifiziert. »Die Kunden schätzen unser Angebot, so zahlen sie für unsere Salatköpfe aus den Treibhäusern einen kleinen Aufpreis«, so Teodora mit stolzer Stimme. Umgerechnet 30 Euro-Cent sind es pro Salatkopf und die rundliche Frau mit der bunten Kittelschürze und dem keck auf den Kopf sitzenden Bowlerhut ist froh, dass sie es mit ihren compañeiras, ihren Genossinnen, geschafft hat: »Wir erwirtschaften Überschüsse und haben die Zahl der Gewächshäuser in den letzten Jahren stetig erweitern können.« Mehrere Dutzend Frauen und einige Männer gehören derzeit der ACSHA an. Mohrrüben, Bohnen, Kopfsalat, Kräuter und vieles mehr werden produziert und ins nur wenige Kilometer entfernte La Paz transportiert. Zu den Abnehmern gehören nicht nur Restaurants und Hotels, sondern auch die kleine Supermarktkette der Aopeb, »Super Ecológicos«, die Bioprodukte in mehreren Stadtvierteln von La Paz anbietet und deren Leiter, Victor Hugo Tor­rico, das Unternehmen weiter ausbauen will. Die Märkte bieten genau die Aufschläge, die die Produktion für kleine Anbieter und Genossenschaften aus der Umgebung von La Paz attraktiv machen. 20 Prozent mehr als der konventionelle Preis für Salat, Obst und Gemüse aus Bioanbau zahlt man hier. Doch bisher ist die Kette mit ihren drei Filialen in La Paz, Santa Cruz und der in Gründung befindlichen in Cochabamba viel zu klein, um ins Gewicht zu fallen. Zu gering ist die Nachfrage, aber das soll sich durch die neuen Maßnahmen langsam ändern. »Wir hoffen auf einen positiven Effekt bei den Produzenten, aber auch für Diskussion in den Familien. Wenn die Kinder in der Schule Bioprodukte essen, wollen sie das vielleicht auch zu Hause«, sagt Sotomayor.
Für die umtriebige Geschäftsführerin der Aopeb ist klar, dass eine gesunde Ernährung kein Privileg der Vermögenden sein darf – ein Grund, weshalb sie dafür warb, die Kosten für das neue Siegel möglichst gering zu halten. Das Zertifikat setzt auf die kollektive Selbstkontrolle der Bauern und auf die Beratung durch Experten der Ministerien und der Aopeb. »Mit diesem Siegel betreten wir Neuland, denn wir arbeiten nicht mit internationalen Experten und kostspieligen Bodenproben, wie es auf dem internationalen Markt üblich ist«, erklärt Sotomayor den wesentlichen Unterschied.

Für die Experten der Aopeb, von Genossenschaften und den staatlichen Ministerien und Kontrollstellen bedeutet das viel Arbeit, denn in der Praxis sollen die Bauern einer Dorfgemeinschaft sich gegenseitig bei der Umstellung auf den organischen Anbau helfen, aber auch kontrollieren. Doch um zu kontrollieren, ist mehr Know-how in den Dörfern nötig. Mehr Beratung, mehr Seminare und mehr Schulungen sind erforderlich, um den Bioanbau in Bolivien auf breiter Basis zu etablieren. Die Experten vom Cnape haben mit ihrem Programm bereits angefangen, doch andere Institutionen müssen folgen, denn bisher haben nur wenige Bauern eine Ahnung, wie die konkreten Vorgaben des Biolabels aussehen. »Die Vermittlung hat derzeit Priorität für uns«, sagt Jacob denn auch schulterzuckend in der Aula der Stadtverwaltung von Sipe Sipe, wo sich rund 70 Bauern versammelt haben und den Experten zuhören. Für einige Bauern wie Carlos Rainaga Vargas ist das zu wenig. Er will Hilfe bei der Vermarktung und eigentlich gleich einen Kontakt zu einem Restaurant, das er regelmäßig beliefern könnte. Doch ganz so schnell geht es nicht mit der biologischen Revolution, die in den Ministerien lange Jahre hin und her geschoben wurde. Aber das bolivianische Modell könnte Schule machen, wenn es gelingt, Bauern wie Carlos Rainaga Vargas für sich zu gewinnen. Dem will Helmut Jacob immerhin bei der Beschaffung von Saatgut und Düngemitteln helfen.