Über die Frauenquote-Debatte in der CDU

Ein angetäuschter Aufstand

Der Bundestag hat die Einführung einer Frauenquote für Aufsichtsgremien in Großunternehmen abgelehnt, die Union wird die Forderung nach einer Quote ­dennoch ins Wahlprogramm aufnehmen. Für manche Frauen in CDU-Führungs­positionen ist dies ein Sieg.

Wenn es ein schlagkräftiges Argument gegen Quoten geben sollte, dann ist es: Kristina Schröder. Die Christdemokratin wäre nicht mit 32 Jahren Familienministerin geworden, wenn sie nicht aus Hessen stammen würde. Nach der Demission ihres Parteikollegen Franz Josef Jung wegen der Kunduz-Affäre brauchte Bundeskanzlerin Angela Merkel jemanden aus dem Land des Äppelwoi im Kabinett. Immerhin: Die Gegner verbindlicher Frauenquoten können dieses Argument in der Debatte nicht anführen, denn die erzkonservative Schröder ist ihre aggressivste Frontfrau. Und bei ihnen heißt das auch nicht Quote, sondern Proporz.

Möglicherweise werden die Quotengegner bald auf ihre Agitatorin verzichten müssen. Meldungen zufolge will sich die Soziologin nach der Bundestagswahl aus dem Kabinett zurückziehen. Schröder ist geschwächt. Das ist das erfreuliche Ergebnis der Debatte und der Bundestagsabstimmung über die Einführung einer verbindlichen Frauenquote für Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen. »Auf ihre Stimme wird in der Quotendebatte künftig keiner mehr hören«, stellt die Welt am Sonntag fest. »Auch in der Wirtschaft zieht man es vor, in Sachen Frauenförderung auf die Zusammenarbeit mit der eigentlich zuständigen Ministerin zu verzichten.« Die 30 größten deutschen börsennotierten Unternehmen wollen ihren Bericht über weibliche Führungskräfte anders als bisher üblich nicht mehr mit Schröder gemeinsam präsentieren.
Das Kapital kennt keine Dankbarkeit. Dabei stemmte sich die Ministerin mit aller Kraft gegen die Einführung einer verbindlichen Frauenquote für die Aufsichtsräte auch dieser 30 Unternehmen. Noch auf dem Parteitag der CDU im Dezember in Hannover verabschiedeten die Christdemokraten ihren »Flexi-Quoten-Quatsch«, wie der SPD-Fraktionsvorsitzende, Frank-Walter Steinmeier, das Konzept der »sogenannten Frauenministerin« nennt. Es sieht vor, dass Konzerne selbst festlegen, wie hoch der Frauenanteil in ihren Führungsgremien sein soll, und sich verpflichten, das Ziel zu erreichen. Den Quotenbefürworterinnen in der Union um Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und die Vorsitzende der CDU-Frauengruppe, Rita Pawelski, reichte das nicht. Aber mit Rücksicht auf die Landtagswahlen in Niedersachsen im Januar hatten sie auf eine Konfrontation verzichtet. Jetzt haben sie mit großem taktischen Geschick Rache genommen. Dabei ging es nicht um Frauenrechte, sondern um eine Machtdemonstration in eigener Sache.
Als der Bundestag in der vergangenen Woche einen Antrag der Grünen auf Einführung einer verbindlichen Frauenquote ablehnte, tat er das nicht zum ersten Mal. Schön häufiger haben die Grünen in der Opposition versucht, das durchzusetzen. Aber anders als in der Vergangenheit sah es diesmal für kurze Zeit aus, als komme eine fraktionsübergreifende Mehrheit für die Quote zusammen. Wenige Monate vor der Wahl wäre es für die Opposition ein Triumph gewesen, mit Stimmen aus der Union den Antrag zu verabschieden. Sie hätte die Quotengegner und damit die Bundesregierung wunderbar vorführen können. Wie im Bundesrat: Dieser hat im vergangenen Jahr mit den Stimmen der rot-grün regierten Länder sowie der CDU-geführten großen Koalitionen des Saarlands und Sachsen-Anhalts einen vom Land Hamburg eingebrachten Gesetzentwurf verabschiedet, in dem die Einführung einer eher symbolischen Frauenquote vorgesehen ist. Ab 2018 sollen demnach mindestens 20 Prozent und ab 2023 mindestens 40 Prozent der Aufsichtsratssitze von Frauen besetzt werden.
Im März beriet der Rechtsausschuss des Bundestages über die Einführung der Quote. Für die CDU- und FDP-Mitglieder in diesem Ausschuss wäre es kein Problem gewesen, den Antrag von der Tagesordnung zu nehmen. Sie hätten dafür sorgen können, dass das Thema in dieser Legislaturperiode nicht mehr behandelt wird. Stattdessen legte eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten aus allen Fraktionen einen Antrag vor, mit dem die Einführung der Frauenquote vorbereitet werden sollte. Der Plan: Die Grünen sollten den Antrag für eine Quote von 40 Prozent ab 2023 einbringen. Auf eine überfraktionelle Initiative von weiblichen Abgeordneten hin sollte der Antrag geändert und so die Vorgabe von 30 Prozent ab 2018 durchgesetzt werden. 21 Abgeordnete aus den Regierungsfraktionen wären nötig gewesen, um eine Mehrheit für die Quote zu haben. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung soll Ursula von der Leyen der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Renate Künast, vor der Debatte mitgeteilt haben, dass fünf CDU-Abgeordnete den Antrag unterschreiben und mindestens 20 für ihn stimmen würden. Auch in der FDP soll es einzelne Befürworterinnen der Quote gegeben haben.

Doch aus dem Aufstand wurde nichts. Alarmiert nahm die CDU-Führung die Sache nach der Osterpause in die Hand. Sie sah eine handfeste Regierungskrise aufziehen. Denn bei einer Mehrheit jenseits der Regierungsfraktionen für eine Frauenquote hätte die FDP – die letzte aufrechte Kämpferin gegen eine Frauenquote – mit Grünen, SPD und Linkspartei für die Homo-Ehe gestimmt. Wechselnde Mehrheiten kurz vor der Bundestagswahl sind für eine Regierung bekanntlich ein ernsthaftes Problem.
Angela Merkel hat es gelöst, bevor es akut wurde. Sie besänftigte die Rebellinnen mit einem Versprechen: Die Christdemokraten würden die Forderung nach einer Frauenquote in ihr Wahlprogramm aufnehmen. Demnach sollen ab 2020 30 Prozent der Aufsichtsratssitze an Frauen gehen. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat bereits zu verstehen gegeben, dass die CSU diesen Punkt im gemeinsamen Wahlprogramm unterstützen werde. In seiner Partei gibt es allerdings großen Protest dagegen. Auch klingt das Versprechen sehr vage. Aber die Forderung nach Einführung einer Frauenquote ist für Unionsverhältnisse allerhand, vor allem fünf Monate, nachdem der CDU-Parteitag Kristina Schröders »Flexi-Quoten-Quatsch« abgesegnet hat. »Standhaft umgefallen«, kommentierte die FAZ. »Der sogenannte Wirtschaftsflügel der Partei hat mal wieder nicht gemuckst. Bald hat also auch Deutschland ein freiheitsbeschränkendes Quotengesetz«, klagte die FAZ-Redakteurin Heike Göbel. Die ersten Rücktrittsforderungen gegen von der Leyen werden erhoben – etwa von Parteifreundin und Vertriebenenfunktionärin Erika Steinbach.
Die taktierenden Quotenbefürworterinnen in der Union wurden auch in der Öffentlichkeit mit Häme bedacht. »Umfallerin« nannte die Taz von der Leyen, von Verrat und einer verpassten historischen Chance war in verschiedenen Medien die Rede. In der Bundestagsdebatte zum Gesetzentwurf mussten die Christdemokratinnen einiges ertragen, unter anderem den paternalistischen Gestus des Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei, Gregor Gysi. »Es gibt Frauen in der Union, die sich für das Gesetz einsetzen wollten. Die haben Sie so unter Druck gesetzt, dass die sich heute nicht trauen, dafür zu stimmen«, sagte er in die Richtung der Regierung.
Dabei fehlt es Ursula von der Leyen und ihren Mitstreiterinnen keineswegs an Mut. Ihr Aufruf zum Quotenaufstand und ebenso dessen Absage gehen auf ein feines Gespür für die Machtmechanismen zurück. Die konservativen Frauen haben kein Interesse daran, ihre eigene Regierung zu schwächen. Sie sind professionelle Politikerinnen, die noch einiges vorhaben, und keine verschüchterten Mädchen, die Beschützerinstinkte wecken. Manchmal müsse man eben das Gegenteil dessen tun, was man eigentlich wolle, um sein Ziel zu erreichen, sagte die CDU-Quotenbefürworterin Pawelski in der Bundestagsdebatte.

Für die Christdemokratinnen ist es auch ein Leichtes, die Angriffe aus der rot-grünen Opposition zu parieren. »Sie haben damals nicht für die Quote gekämpft!« stellte Pawelski in Anspielung auf die rot-grüne Regierungszeit fest. »Brav haben Sie die Anweisungen des Bosses der Bosse geschluckt.« Das stimmt. SPD und Grüne haben Gerhard Schröder gehorcht und ihre Pläne für eine verbindliche Frauenquote zugunsten einer unverbindlichen, folgenlosen Absichtserklärung der Wirtschaft aufgegeben. Das damals beteiligte Spitzenpersonal wie Renate Künast und Frank-Walter Steinmeier macht immer noch Politik. Die rot-grünen Kämpferinnen für die Quote haben sich seinerzeit öffentlich demütigen lassen und nichts dafür bekommen. Auch für die christdemokratischen Quotenanhängerinnen war die Abstimmung im Bundestag durchaus ein Akt der Selbsterniedrigung, aber dieser war nicht umsonst. Die CDU muss die Forderung nach einer Frauenquote ins Wahlprogramm schreiben. ­Dafür haben sich die Quotenbefürworterinnen in der Partei sicher gern disziplinieren lassen.