Herz und Eros

Einmal im Jahr macht die bahneigene Charity-Organisation »Allianz pro Schiene« einen Menschheitstraum wahr und unternimmt ein Forschungsprojekt vom Range der einheitlichen Feldtheorie: Sie sucht nach freundlichen Schaffnern. Unter dem Motto »Eisenbahner mit Herz« ermittelt sie die 250 freundlichsten Bahnmitarbeiter, exponiert sie auf ihrer Homepage, blamiert sie mit Lob und stellt sie so ins soziale Abseits. Die herzlosen Kollegen lachen sich ins Fäustchen: Sie bleiben von der Berichterstattung verschont, können nach Belieben motzen und stänkern, während sich die Beherzten lebenslänglich auf Freundlichkeit festlegen. In diesem Jahr verstärkt die Organisation ihre kardiologischen Untersuchungen: Laut Selbstauskunft recherchiert sie seit Januar »fieberhaft«, ob ihre Mitarbeiter richtige Menschen mit Herz sind oder ganz normale Funktionsroboter wie wir alle. Ja, das Herz, es ist ein durch und durch kapitalistisches Organ, gewissermaßen der Airbag der PR, das Instrument, die Zumutungen der Rationalisierung abzufedern! Bei einem Unfall war da ein herzhafter Kartenknipser »die ganze Zeit Herr der Lage. Er ist eine große Ausnahme unter der Masse der Zugbegleiter, die in Notlagen ausflippen.« Andere sind da schon flippiger: Einem Verspäteten bietet »der Triebfahrzeugführer des Zuges an, ihn von Gera-Hauptbahnhof in seinem Privat-Pkw mitzunehmen«. Und ein tränenreich bewältigter Taschenverlust führt sogar zu einer »zarten Liebesgeschichte zwischen Lokführer und Kundin … In jedem Sinne ist Eros D. also ein Eisenbahner mit Herz.« So weit geht die Kundenähe der Bahn: Bei Beschwerden bietet sie sogar Beischlaf an. Und in Gera werden alle vorgesehenen Privat-PKW erreicht. Herz lass nach!

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.