Die internationalen Kritiker der kubanischen Bloggerin Yoani Sánchez

Che hat ausgedient

Die kubanische Dissidentin Yoani Sánchez wird auf ihrer internationalen Vortragsreise von Antiimperialisten angefeindet. Sie kritisiert die anachronistische Regierungspolitik.

Es hätte eine anschauliche Lehrstunde in Sachen Verschwörungstheorie werden können. Doch der Mann, der auf sein Protestplakat »8. Mai 1945 – dieselben, die den Faschisten halfen, finanzieren Yoani Sánchez« geschrieben hatte, wollte nicht erklären, wen er damit meinte. Vermutlich macht er die Hintermänner der kubanischen Bloggerin in Washington aus. Diesen Verdacht jedenfalls brachten die etwa 40 weiteren Aktivisten zum Ausdruck, die mit ihm am Mittwoch voriger Woche in Berlin gegen den Auftritt der Dissidentin Sánchez protestierten. »Yanquí no!« und »Schweig, Yoani!« hieß es auf anderen Plakaten.
Sánchez schweigt nicht. Seit Jahren schreibt sie in ihrem Blog »Generación Y«, was sie täglich in Havanna erlebt. Da geht es um heimlich installierte Parabolantennen von Kubanern, die das Staatsfernsehen anödet, um Musiker, die der Zensur unterliegen, oder um ein Gebäude, das gerade zusammengebrochen ist. Eben um all das Marode, das die sozialistisch genannte Gesellschaft prägt. Oft wird die 37jährige wegen ihrer Arbeit von der Staatssicherheit angegriffen, Fidel Castro erklärte sie zur »Agentin dunkler Mächte«. Kritik ist nicht gewollt, obwohl nicht zuletzt das erzwungene Schweigen das revolutionäre Projekt ruiniert hat.
Fünf Jahre lang durfte die Bloggerin das Land nicht verlassen, eine Gesetzesreform ermöglichte ihr dann im Februar die Ausreise. Seither kritisiert Sánchez in den USA, Lateinamerika und Europa die »Castro-Diktatur«, die sie für nicht reformierbar hält. Wenn nun Internet und Handys zugelassen würden, sowie das Reisen, hinke die Regierung lediglich der Realität hinterher. Folgerichtig fordert Sánchez auch eine Öffnung des Landes für ausländisches Kapital. Schließlich lebt Kuba schon lange von internationalen Investitionen, längst existiert eine Zweiklassengesellschaft. Nur wer über Touristen oder in den USA lebende Verwandte an harte Währung, an »konvertible Pesos«, kommt, hat Zugang zu guter Medizin, Baumaterial oder Milch.
Vielleicht ist es nur die Angst vor der Wahrheit, die die Ewiggestrigen des schlicht gestrickten Antiimperialismus in Berlin, Mexiko-Stadt oder São Paolo gegen Sánchez demonstrieren lässt. Bestätigen die Texte der Bloggerin doch, dass die kubanische Misere auch hausgemacht und nicht nur der US-Blockadepolitik geschuldet ist. Die 37jährige ist zuversichtlich. »Die Opportunisten riechen den Wandel«, sagt sie in den vollbesetzten Räumen des Berliner Kulturinstituts Cervantes und berichtet, dass sie häufig heimlich gebeten werde, weiterzukämpfen. Das »Regime der Familie Castro« vergleicht sie mit einem Haus, das immer mehr verrottet, aber nicht auseinanderfällt. »Aber eines Tages will jemand eine Schraube ansetzen, und plötzlich bricht alles zusammen.«
Tatsächlich ist vom sozialistischen Traum nicht einmal der Schein geblieben. Jugendliche, die ihre importierten Markenklamotten zur Schau tragen, erwarten nichts von greisen Revolutionären, die als Popikone nur Che Guevara zu bieten haben. Und junge Frauen, die ein Leben ohne Armut nur durch Prostitution erreichen können, interessieren sich nicht für Durchhalteparolen. Das beschreibt Sánchez, und auch wenn man ihr nicht immer folgen mag, dürfte sie mit einer Einschätzung Recht haben: »Sollen doch die anderen gehen, wir sind die Mehrheit.«