Von Amerika lernen

Was war wirklich schlimm am Terror des NSU? »Das ist vor allem sehr, sehr schlimm für das Ansehen Deutschlands in der Welt«, urteilte Außenminister Guido Westerwelle bereits im November 2011. Ähnliche Sorgen macht sich Wolfgang Bok nun im Magazin Cicero: »Auf der Anlagebank sitzt auch Deutschland.« Schön wär’s, denn Grund genug gäbe es ja. Wenn Bok ein »k« vergisst, ist das ein Fehler. Wenn Dutzende Polizisten in einer Mordserie zehn Jahre lang konsequent in die falsche Richtung ermitteln, obwohl die Indizien ein rassistisches Motiv nahelegen, und sich auch von hinzugezogenen Profilern nicht von ihrem Irrweg abbringen lassen, ist das kein Fehler, sondern entweder Absicht oder die Folge einer Ignoranz, nach deren Ursachen gefragt werden muss. Nun kann man den Ermittlern nicht vorwerfen, sie hätten sich keine Mühe gegeben, sogar ein Geisterbeschwörer wurde engagiert. Sie haben an ihre Version wohl wirklich geglaubt. Warum aber widmeten sich Polizisten, denen zumindest Grundkenntnisse der Kriminalistik zugetraut werden dürfen, lieber der Quacksalberei, als sich etwa damit auseinanderzusetzen, dass die Benutzung der gleichen Waffe bei mehreren Taten und das große Risiko, das die Täter bei fast öffentlichen Morden eingingen, nicht zu einer »türkischen Mafia« passen? Dies lässt sich schwerlich anders als durch rassistische Ressentiments erklären. Die Ermittler konnten sich offenbar »türkische« Gewerbetreibende nur als Kriminelle vorstellen.
Rassismus gibt es auch in den Polizeibehörden anderer Länder, doch nicht überall wird dieses Problem mit so behäbiger Selbstgerechtigkeit ignoriert. In den USA etwa verpflichtet die hate crime-Gesetzgebung die Polizei dazu, das Motiv zu ermitteln. Im Fall des NSU-Prozesses wäre dies paradoxerweise vor allem bei dem einzigen nicht rassistisch motivierten Mord von Bedeutung. Warum wurde die Polizistin Michèle Kiesewetter getötet? Die vorliegenden Fakten deuten darauf hin, dass sie sterben musste, weil sie zu viel wusste. Folglich ist das Motiv in diesem Fall wahrscheinlich der Schlüssel zum Verständnis der Verbindungen zwischen NSU und Staatsapparat. Die aber scheint kaum jemand erforschen zu wollen; beeindruckend ist jedenfalls die Konsequenz, mit der im Fall Kiesewetter von Behörden wie Medien Fragen nicht gestellt werden. In den USA greifen das FBI oder Bundesstaatsanwälte ein, wenn Behörden vor Ort »versagen«, ob aufgrund rassistischer Ignoranz oder weil sie von Rechtsextremisten infiltriert wurden. Vergleichbare checks and balances gibt es in Deutschland nicht. Auch in den USA hätte sich ein solches Verfahren ohne den Druck von Bürgerrechtsbewegungen nicht durchgesetzt. Doch in Deutschland genügt es weiterhin, schulterzuckend »Fehler« einzuräumen, dann kann man sich dem wohligen Schaudern über die »Nazibraut« hingeben.