Wie sich der Krieg in Syrien auf den Libanon auswirkt

Tomaten und Granaten

In Syrien kämpfen Libanesen auf beiden Seiten der Front. Nun wurden die Wahlen im Libanon verschoben, die konfessionellen Konflikte eskalieren. Droht ein weiterer Bürgerkrieg?

Auf Libanons Parlamentarier flogen am Wochenende Tomaten. Einige Hundert Demonstranten protestierten vor dem Parlamentsgebäude in Beirut gegen die Entscheidung der Abgeordneten, die Parlamentswahlen auf November 2014 zu verschieben. Derweil fliegen keine 100 Kilometer nördlich in Tripoli ganz andere Geschosse. Mehr als 30 Tote gab es in den vergangenen drei Wochen bei den Kämpfen zwischen den sunnitischen Bewohnern des Armenviertels Bab al-Tabbaneh und den kaum weniger armen alawitischen Bewohnern von Jabal Mohsen.
Der Libanon scheint mal wieder im Chaos zu versinken. Die politische Klasse ist gelähmt. Der Krieg in Syrien rückt immer näher. Die religiösen Minderheiten kapseln sich ein und rüsten zum Kampf gegen ihre Landsleute. So scheint es.
Regelmäßig schlagen inzwischen Raketen der Freien Syrischen Armee auf libanesischem Boden ein. Die meisten davon landen in der Bekaa-Ebene. Von dort schickt die schiitische Hizbollah ihre Kämpfer über die syrische Grenze, um die Truppen des Diktators Bashar al-Assad zu unterstützen. Zuletzt halfen sie dabei, die Stadt al-Kusayr wieder unter die Kontrolle des syrischen Regimes zu bringen. Aber auch in Dahiye, den südlichen Vororten Beiruts, schlugen Ende Mai zwei Raketen ein. Der Beschuss dieses mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gebiets erfolgte einen Tag nachdem Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der Hizbollah, seine Anhänger auf den Kampf für das syrische Regime eingeschworen hatte.

Zwar kämpfen Hizbollah-Milizionäre schon seit Monaten auf syrischem Boden für Assad. Doch bestätigte die Partei dies bisher nicht offiziell. In einer Ansprache am 25. Mai zum 13. Jahrestag des Abzugs der israelischen Truppen aus dem Südlibanon, den die Hizbollah als von ihr erkämpften Sieg feiert, sagte Nasrallah nun erstmals deutlich, dass die Hizbollah Kriegspartei sei. Dabei beschrieb er den Kampf als gegen sunnitische Jihadisten gerichtet, die alle Libanesen bedrohten.
Zugleich ziehen sunnitische Libanesen in den Krieg in Syrien, um gegen Assad zu kämpfen. Seit langem stehen sich in Syrien Libanesen auf beiden Seiten der Front gegenüber. Die Kämpfe in Tripoli könnte man als Vorboten eines neuerlichen Bürgerkriegs im Libanon werten. Tatsächlich geht es jedoch zumindest teilweise um Wahlkampf. Zwar haben sich in Bab al-Tabbaneh salafistische Prediger einquartiert, die die Massen aufhetzen und Geld verteilen. Doch ein Großteil der Waffen wird von Najib Mikati finanziert, ein weiterer Teil von der »Zukunftsbewegung« des ehemaligen Ministerpräsident Saad Hariri. Beide sind keine Anhänger islamistischer Experimente.
Mikati war bis Mitte März Ministerpräsident in einer Koalition mit der Hizbollah und der Bewegung des Christen Michel Aoun, eines ehemaligen Generals. Er ist Geschäftsmann; mit schätzungsweise drei Milliarden US-Dollar Privatvermögen ist er womöglich der reichste Mann Libanons, dicht gefolgt von Saad Hariri, der nach der Ermordung seines Vaters Rafiq Hariri 2005 ein Milliardenvermögen erbte. Während Hariri ein harter Gegner des syrischen Regimes ist, galt Mikati bisher als syrienfreundlich. Doch seine Machtbasis als Politiker hat er bei den Sunniten in Tripoli. In Bab al-Tabbaneh finanziert er nicht nur Waffen, sondern auch Sozialleistungen.
Der Tripolier Abgeordnete Mustapha Alloush schätzt, dass die zwischen den Vierteln Bab al-Tab­baneh und Jabal Mohsen verballerte Munition täglich 100 000 US-Dollar koste. Dass bei dem Dauerbeschuss bisher nur 30 Menschen ums Leben kamen, grenzt an ein Wunder – oder ist Teil des Spiels. Gefangene der anderen Seite werden in der Regel nach wenigen Stunden wieder freigelassen. Tatsächlich liegen die beiden Stadtteile schon seit Anfang der achtziger Jahre im Zwist. Dabei wurde oft auch scharf geschossen.

Wenn Mikati diese Schießereien nun sponsert, dann nicht, um sich gegen Assad zu stellen. Die Gefechte binden eher Kräfte, die sonst womöglich in Syrien kämpfen würden. Aber Mikati muss sich von der Hizbollah distanzieren. Lange Zeit vor allem wegen ihres Kampfes gegen Israel recht populär, hat sie unter nicht-schiitischen Libanesen deutlich an Ansehen verloren, weil sie auf der Seite Assads kämpft. Politiker, die andere religiöse Gruppen vertreten, tun deshalb gut daran, sich auf die Seite der Aufständischen zu stellen, ein bisschen zumindest.
Der Drusenführer Walid Jumblatt hat sich schon vor einem halben Jahr deutlich von Assad und der Hizbollah distanziert. Im Januar 2011 hatte er noch für den von der Hizbollah gestützten Mikati gestimmt. Jumblatt, so heißt es, wisse immer, woher der Wind weht. Nun opponiert mit General Aoun auch der wichtigste Verbündete der Hizbollah gegen sie, allerdings noch nicht gegen Syrien. Die aounistischen Abgeordneten blieben der Abstimmung am Freitag vergangener Woche über die Verschiebung der Parlamentswahlen fern. Dabei war die Hizbollah die größte Befürworterin der Verschiebung der Wahlen, die ursprünglich im Juni stattfinden sollten.
Sie muss wegen der antisyrischen Stimmung im Land mit Verlusten bei einer Wahl rechnen und hofft auf eine Klärung des syrischen Konflikts bis 2014. Die anderen Parteien sind unzufrieden mit dem Wahlgesetz. Dessen Überarbeitung steht seit langem an, seit einem Jahr wurde darüber heftig gestritten. Die christlichen Parteien wollten, dass Angehörige der jeweiligen Konfessionen nur Abgeordnete »ihrer« Konfession wählen können. Da derzeit die Wähler für eine der Listen mit Kandidaten aller in ihrem Wahlkreis vertretenen Konfessionen stimmen müssen, entscheiden auch Muslime darüber, welche der christlichen Kandidaten das Rennen machen.

Die Hizbollah wiederum plädierte dafür, den Konfessionsproporz im Wahlrecht zu überwinden. Da die Schiiten die größte Minderheit sind, könnte sie so mit deutlich mehr Stimmen rechnen. Die sunnitische »Zukunftsbewegung« von Saad Hariri will am liebsten, dass es so bleibt, wie es ist. Mit dem bisherigen Wahlrecht hat sie gute Ergebnisse erzielt. Weil keine Einigung in Sicht war, trat Mikati bereits im März zurück. Der daraufhin designierte Ministerpräsident Tamam Salam hat es bis heute nicht einmal geschafft, ein Kabinett zusammenzustellen.
Aoun hatte sich zunächst mit den christlichen Parteien verbündet. Seine Bewegung galt noch vor kurzem als die populärste unter den Christen. Doch konnte er in von Sunniten dominierten Wahlbezirken nicht gewinnen, weil Hariri Kandidaten anderer christlicher Parteien auf seine Listen setzte. Nur rund ein Drittel der libanesischen Bevölkerung ist christlich, die Christen erhalten aber die Hälfte der Parlamentssitze. Aoun hätte zweifellos bei der letzten Wahl profitiert, wenn Christen nur von Christen gewählt worden wären. Doch steht in Frage, ob dies auch bei Neuwahlen der Fall wäre. Denn immer weniger Christen können seine Allianz mit der Hizbollah nachvollziehen. Aounwürde ebenfalls besser fahren, bliebe das Gesetz zunächst so, wie es ist. Er würde so wenigstens von den Hizbollah-Anhängern gewählt. Gleichzeitig muss er sich aber genau wie Mikati von der Hizbollah distanzieren, um seine Anhängerschaft nicht zu verlieren.
Der Libanon-Experte Michael Young vermutet zudem Ambitionen Aouns auf das Präsidentenamt. Der 79jährige fürchte, dass nun auch die Präsidentschaftswahl verschoben wird – und er damit beim nächsten Mal zu alt für eine Kandidatur wäre. Auch könne er sich mit seiner unentschiedenen Position bei der Hizbollah Konzessionen erkaufen.
Der Streit um das Wahlgesetz, die Lähmung der Politik und die Kämpfe in Tripoli sind vor allem eines: jahrzehntealte libanesische Probleme. Der Krieg in Syrien heizt sie an und lähmt die Politik zusätzlich. Die meisten Libanesinnen und Libanesen sind jedoch kriegsmüde, steigende Mieten und Arbeitslosenzahlen interessieren sie weit mehr als konfessionelle Kämpfe korrupter Politiker. In Beirut lässt man sich die Laune von alldem sowieso nicht verderben. Eine Hipster-Revolution habe die Clubs erreicht, berichtet die libanesische Online-Zeitung Now.

Siehe auch Disko.