Die Kubaner haben Internet. Aber keinen Zugang

Geschwindigkeit ist nicht alles

Dank eines nach Venezuela verlegten Glasfaserkabels ist nun auch in Kuba Breitband-Internet technisch möglich. Nur mit dem Zugang hapert es noch.

Iván Garcia war mit seinem kubanischen Breitband-Debüt schon recht zufrieden. »Früher bin ich immer in ein Hotel gegangen, um in Ruhe E‑Mails zu checken, Informationen im Internet zu sammeln und Artikel zu verschicken«, sagt der freie Journalist, der für mehrere spanischsprachige Zeitungen wie El Mundo und Diario Las Américas von Kuba aus berichtet. Diese Hotelbesuche gehören nun der Vergangenheit an, denn seit dem 4. Juni ist der Service des staatlichen Telekommunikationsunternehmens ETECSA deutlich schneller: Statt mit 100 Kilobyte pro Sekunde wie im Hotel Saratoga, kann man nun mit zwei Megabyte surfen – ein Quantensprung nicht nur für kubanische Verhältnisse. In Havanna und auf dem Rest der Insel musste man in der Regel zehn Minuten warten, bis sich etwa die Facebook-Startseite aufgebaut hat.
Verlegt wurde das supercable, wie das moderne doppelte Glasfaserkabel in Kuba genannt wird, zwischen dem venezolanischen Camurí und dem kubanischen Siboney, einem Stranddorf nahe Santiago de Cuba, bereits im Januar 2010. Techniker an beiden Enden der Leitung waren darauf mächtig stolz, schließlich sollte die Glasfaserleitung bis zu 3 000 mal schneller sein als die teuren Satellitenverbindungen über die USA. Der »Klassenfeind« im Norden war es auch, der immer wieder für den schlechten Internet-Zugang auf der Insel verantwortlich gemacht wurde, denn Kubas gesamte Internet-Kommunikation lief, wie in den fünfziger Jahren die Telekommunikation, über die USA. Entsprechend vollmundig wurde die technologische Abnabelung 2010 gefeiert. Das 70 Millionen US-Dollar teure Projekt im Rahmen der Bolivarianischen Allianz für Amerika (Alba) sollte nicht nur eine technologische Innovation sein, sondern auch als Beispiel für effiziente Kooperation dienen.

Doch die Erwartungen wurden zunächst enttäuscht, denn beim Verlegen der revolutionären Leitung wurde kräftig die Hand aufgehalten. Bis zu 15 Millionen US-Dollar sollen veruntreut worden sein, zwei stellvertretende Minister seien im Gefängnis gelandet und gegen Dutzende Mitarbeiter des Telekommunikations-Monopolisten ETECSA und des Kommunikationsministeriums sei ermittelt worden, berichtet Garcia. Der Journalist kennt sich aus, denn er hat gute Informanten in den Staatskonzern. Wegen der Ermittlungen musste ETECSA dann auf Weisung von oben das Kabel zunächst stilllegen. Erst knapp 20 Monate später, im August vorigen Jahres, tat sich wieder etwas in Sachen supercable, wie die US-amerikanischen Netzspezialisten des Konzerns Renesys meldeten. Da aktivierten kubanische Techniker die Leitung erstmals zu Testzwecken. Mitte Mai berichteten die Spezialisten von Renesys dann, dass das Kabel zwischen Venezuela, Kuba und Jamaika nun in alle Richtungen funktioniere. Das bestätigen die Messprotokolle des Internet-Unternehmens, das die weltweiten Netzaktivitäten auswertet. Von der kubanischen Seite wurde dies schnell bekräftigt. Nach gut 25 Monaten Wartezeit ist Breitband-Internet nun auch in Kuba möglich.
Die Mehrheit der Kubanerinnen und Kubaner wird es allerdings nur in den 118 Internet-Sälen nutzen können, die ETECSA seit dem 4. Juni landesweit eröffnen will. Diese sind meist Container mit drei bis vier internetfähigen Computern, manchmal handelt es sich auch um größere Internet-Cafés. Dort und nicht zu Hause sollen die cybernautas, wie Internet-Nutzer in Kuba genannt werden, fortan schnell, aber auch teuer surfen können. Eine Stunde kostet 4,50 Devisenpesos, umgerechnet 3,50 Euro. Angesichts von kubanischen Durchschnittslöhnen unterhalb von 20 Euro pro Monat ist dies ausgesprochen kostspielig. »Die Leute müssen sich entscheiden, ob sie essen oder surfen wollen«, meint Garcia mit einem bitteren Lächeln.
Abwarten werden wohl die Kubanerinnen und Kubaner, die zu Hause über einen alten Zugang über halblegale Wege verfügen, so wie der Zimmervermieter Oscar Almiñaque. Er hat von einer befreundeten ausländischen Journalistin den Zugangscode erhalten und geht über ein altes fiependes Modem online. Während sich dann das Bild auf dem alten Rechner aufbaut, kann er getrost Espresso kochen gehen, denn Internet in Kuba ist vor allem ein Geduldspiel. Dass sich daran etwas ändern wird, ist zunächst wenig wahrscheinlich, denn das Kommunikationsministerium gab bereits bekannt, dass es Internet zu Hause aus Kostengründen vorerst nicht geben werde. Angesichst der hohen Verschuldung des armen Landes ist das durchaus nachvollziehbar. Aber die User auf der Insel stellen sich die Frage, ob sie nun wirklich in den Genuss der vollen Leistungsfähigkeit des Unterwasserkabels kommen. »Für Videokonferenzen oder das Schauen von Filmen aus dem Netz sind mehr als zwei Megabyte pro Sekunde nötig«, kritisiert der Künstler Luiz Eligio von der Performancegruppe »Omni Zona Franca«. Er bezweifelt, dass die Kapazitäten der Leitung auch für die Bevölkerung voll ausgeschöpft werden. Dass in den Ministerien mit voller Leistung gesurft und kommuniziert wird, davon ist er überzeugt. Dass Videokonferenzen möglich sind, zeigt das Beispiel des ehemaligen kubanischen Spions René González, der nach langer Haftstrafe in den USA nach Kuba zurückkehrte. Für ein Interview in den USA wurde er per Video aus Havanna zugeschaltet – technische Probleme hat es nicht gegeben.

Immerhin scheint der Zugang rundum zu funktionieren, wie Garcia am 4. Juni festgestellt hat. Problemlos waren seine beiden Blogs »Desde La Habana« und »El Blog de Iván Garcia y sus amigos« zu erreichen. Gleiches gilt für die eher regierungskritischen Tageszeitungen El País und El Mundo und die von Exilkubanern in Madrid und Barcelona verantworteten Blogs »Penúltimos Días« und »Diario de Cuba«. Gesperrt waren hingegen Blogs wie »Café Fuerte«, »Cubaencuentro« und »Martinoticias« aus Miami. Moderne Filtertechnik macht dies möglich. Die kubanische Regierung wird beim Aufbau ihres Kommunikationsministeriums und dessen Institutionen seit 2001 von Experten der chinesischen Regierung beraten. Kubanische Dissidenten vermuten, dassdiese den kubanischen Technikern dabei helfen sollen, ein modernes Überwachsungszentrum einzurichten, um den Datenverkehr zwischen der Insel und dem Rest der Welt zu kontrollieren. Welche Rolle das Personal von ETECSA in den Surf-Containern dabei spielt, ist bisher unklar. Werden die Seiten, die die User aufrufen, notiert? Denkbar sei das durchaus, glauben Dissidenten wie Guillermo Fariñas. Er forderte 2006 mehr Zugänge ins World Wide Web und weniger Kontrolle und trat für die Durchsetzung dieser Grundrechte in den Hungerstreik.
Dieser blieb weitgehend erfolglos, wie eine im Sommer 2012 erschienene Studie der Internationalen Fernmeldeunion belegt. Demnach haben nur drei Prozent der Haushalte Zugang zum Internet. Zwar dürften es de facto deutlich mehr sein, weil es einen schwunghaften Handel mit Zugangscodes für Internet-Accounts von Kliniken, Instituten und Bildungseinrichtungen gibt, aber letztlich ist Kuba Cyber-Niemandsland. Folgerichtig liegt das Informationsmonopol zu großen Teilen beim Staat, der die überschaubare Anzahl Zeitungen kontrolliert und dafür sorgt, dass unliebsame Radio- und Fernsehsignale gestört werden, wie im Falle der US-Propagandasender Radio und TV Martí. Gleichwohl gibt es viele Kubanerinnen und Kubaner, die sich über BBC-Radio oder den lateinamerikanischen Nachrichtenkanal Telesur auf dem Laufenden halten. Intellektuelle gehören genauso dazu wie unabhängige Journalisten. Von letzteren gebe es rund 130, so der Leiter der unabhängigen Presseagentur »Hablemos Press«, Roberto de Jésus Guerra Pérez. Er stellt die Beiträge seiner Redaktion mit Hilfe von vier europäischen Botschaften zweimal pro Woche ins Netz. »Dabei wird es wohl bleiben«, so Guerra Pérez. Er hält es für unrealistisch, dass der Zugang zum Internet in Kuba wesentlich erweitert wird. Internationale Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und Freedom House machen für die fehlende Medienfreiheit vor allem die Regierung von Raúl Castro verantwortlich. Kuba zählt hinsichtlich der Medienfreiheit zu den zehn repressivsten Ländern der Welt.
Gleichwohl sind viele Kubanerinnen und Kubaner auch ohne Internet-Zugang recht gut informiert. Der Austausch von Memory-Sticks mit Daten, Filmen, Musik und DVDs sorgt genauso dafür wie die weit verbreitete Nutzung von Mobiltelefonen, die wie DVD-Recorder und Computer erst seit 2006 legal in Kuba gekauft werden können. Ein Grund für die Lockerung ist, dass die Regierung den neuen Technologien nicht weiter hinterherhinken will. Daher wurden auch mit der eigenen Wikipedia, »Ecured«, und »Red Social«, dem kubanischen Facebook, Versuche gemacht, um der Jugend Alternativen anzubieten. Etwas mehr Pluralität wurde auch der Granma, der Zeitung der kommunistischen Partei, verordnet. Bereits seit 2009 werden kritische Leserbriefe abgedruckt, und Auseinandersetzungen, vor allem über den ökonomischen Reformkurs, sind der politischen Führung zufolge ausdrücklich erwünscht. Diese finden jedoch nicht in den regierungsnahen Medien, sondern eher in kirchlichen Blättern wie Espacio laical statt. Dort schreiben die Intellektuellen Kubas, darunter viele Sozialwissenschaftler, um über die Reformschritte zu diskutieren. Dazu gehört auch der Zugang zum Internet, denn ohne schnelle Breitbandverbindungen drohe Kuba technologisch ins Abseits zu geraten, mahnt der Schriftsteller Leonardo Padura. Das ist nun theoretisch mit dem Anschluss an das Glasfaserkabel verhindert worden, doch unklar bleibt, wer es letztlich nutzen darf.